Kapitel 46.

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Ich musste mich zusammenreißen um nicht zu grinsen, als ich in den Aufzug stieg, um zu Matthews Wohnung zu gelangen. Es war Sonntag, somit arbeitete er nicht und ich hoffte, ihn in seiner Wohnung anzutreffen. Es fühlte sich merkwürdig an, zu ihm zurückzukehren, nachdem er sich so benommen hatte, aber ich hatte einen Plan. Einen bitterbösen Plan, um genau zu sein und für den er mir vermutlich den Hintern versohlen würde, wenn er dahinter käme. Der Aufzug hielt und ich humpelte zu seiner Tür um zu klingeln. Einen Moment passierte gar nichts. Dann jedoch hörte ich, wie der Sichtschutz des kleinen Gucklochs in der Tür zur Seite geschoben wurde. Ich blieb ganz ruhig stehen, versuchte meine Gesichtsregung unter Kontrolle zu halten. Die Tür ging auf.

Matthew sah furchtbar aus. Er hatte tiefe Augenringe und sein Haar war zerzaust. Auch sein Bart war schon lange kein drei-Tage-Bart mehr. Eher ein drei-Wochen-Bart. Und doch sah er zum Anbeißen aus. Er starrte mich an. „Lauren?“, fragte er und ich lächelte leicht und streckte ihm die Hand entgegen. Mein Plan ging in die erste Runde. „Mr. Caulfield, schönen guten Tag.“ Ich tat so, als hätte ich ihn noch nie in meinem Leben gesehen und Matthew starrte verwirrt meine Hand an. Er nahm sie nicht entgegen und somit ließ ich meine sinken. Ich ließ mir nichts anmerken und machte einfach weiter. „Mir wurde gesagt, dass Sie bei meinem Unfall zuerst vor Ort waren und erste Hilfe geleistet haben. Ohne Sie wäre ich wohl nicht mehr am Leben. Dafür wollte ich mich bei Ihnen bedanken.“, sagte ich und wartete auf seine Reaktion.

Er sah aus wie vor den Kopf gestoßen. Er musterte mich und sein Blick blieb lange auf meinem Bein hängen, dann wanderte sein Blick wieder nach oben. „Lauren? Was ist los? Warum redest du so komisch? Erkennst du mich nicht?“ Ich tat verwirrt. „Erkennen? Mr. Caulfield, ich sehe Sie gerade zum ersten mal. Oder haben wir uns etwa schon einmal gesehen? Wenn ja, dann tut es mir wirklich leid. Die Ärzte meinten, mein Gedächtnis hätte durch den Unfall stark gelitten.“ Ich biss mir auf die Zunge um nicht laut loszulachen, als ich Matthews entsetzten Gesichtsausdruck sah. Er war vollkommen geschockt.

„Dein..Dein Gedächtnis hat etwas abbekommen? Du kannst dich nicht erinnern?“, stammelte er und ich setzte eine traurige Miene auf. „Nein, leider nicht. Sie sehen so schockiert aus. Das heißt, wir kennen uns?“ Er blinzelte. „So etwas in der Art. Möchten Sie..möchtest du hereinkommen? Wir haben uns übrigens bereits geduzt.“  Ich lächelte. „Sehr gerne.“ Ich folgte ihm in die Wohnung, die ich so gut kannte und musste mich verwarnen, nicht direkt ins Wohnzimmer zu preschen. Schließlich war ich ja eigentlich noch nie in seiner Wohnung. Matthew ging vor, schaute sich immer wieder um, wie um sich zu vergewissern, dass ich noch da war. „Darf es ein Kaffee sein?“, fragte er, als wir an der Küche vorbei gingen und ich nickte.

„Sehr gerne.“, nickte ich und humpelte ihm nach. Er bereitete den Kaffee vor und ich beobachtete ihn dabei. Seine ganzen Bewegungen waren mir so vertraut. „So, das heißt, du erinnerst dich nicht mehr an mich. Haben die Ärzte gesagt, ob die Erinnerungen zurückkehren?“, er schaute mich hoffnungsvoll an und ich schüttelte den Kopf. „Leider nein. Es ist sehr merkwürdig für mich, mich nicht zu erinnern. Ich bin froh, dass mein Mann Logan an meiner Seite ist und mich unterstützt. An ihn erinnere ich mich merkwürdigerweise.“, log ich und beobachtete, wie sich das Entsetzen wieder auf seine Züge schlich.

„Dein..dein Mann?“, stotterte er und ich nickte. „Ja, Logan gibt mir halt. Ich konnte mich an ihn erinnern, nachdem ich diese Kette gesehen habe. Er hat sie mir zu unserer Hochzeit geschenkt.“, ich zeigte ihm die abgerissene Kette und er riss seine Augen auf. „Darf ich mal?“, fragte er, seine Stimme klang heiser. Ich nickte. „Natürlich.“, ich reichte sie ihm und er schaute sie sich an. Als er die Rückseite ansah, blickte er auf. „Aber da steht In Liebe, M. Sagtest du nicht, dein Mann heiße Logan?“ Ich grinste. „Aber ja. Ich habe mir immer einen Spaß darauf gemacht, ihn Mausezahn zu nennen. Das hat er aufgegriffen.“ Ich klopfte mir innerlich auf die Schultern. Ich entdeckte gerade mein Talent für das Lügen.“

„Mausezahn..“, flüsterte er und sein Blick trübte sich. Er war furchtbar verletzt. Im ersten Moment tat es mir leid, dass ich mein Spiel mit ihm spielte, andererseits hatte er mir auch wehgetan.  Sein Blick fiel auf meinen Ringfinger. „Wo ist dann dein Ring?“, fragte er und ich erstarrte. Verdammt, der Ring! Ich hatte ihn von mir geschleudert, als ich Logan auf die Schliche gekommen war. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Auf der Stelle. „Der Ring..“ Ich schluckte. „Ach, der Ring. Den mussten die Ärzte mir abnehmen. Meine Hand war verletzt und er..ähm..drückte auf die Verletzung.“ Verflucht, so viel zu meinem Talent zum Lügen. Matthew hob eine Augenbraue.

„Und wo ist er jetzt?“, fragte er und ich tat verwirrt. „Wer? Der Ring oder mein Mann?“ Er erschauderte, als ich das letzte Wort sagte. „Beide.“ Ich seufzte erleichtert. „In unserem Zuhause. Ich bin so froh, wieder Zuhause zu sein. Ich habe es im Krankenhaus sehr vermisst. Haben Sie..ich meine hast du eine Frau oder eine Freundin? Ich sage dir, es gibt nichts schöneres, als mit dem Menschen, den man liebt, zusammenzuleben. Er gibt einem halt, man kann ihm alles anvertrauen und braucht keine Angst haben, dass er einen verurteilt. Jedes Geheimnis kann man ihm anvertrauen und man kann sich sicher sein, dass es gut aufgehoben ist.“ Langsam ging ich in die Offensive. Matthew schluckte und reichte mir eine Tasse Kaffee. Ich nahm sie dankend an.

„Ich..ich hatte eine Freundin.“, stammelte er plötzlich und ging voraus ins Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa fallen ließ. Ich setzte mich neben ihn. „Was ist passiert?“, fragte ich leise und er erstarrte. „Ich habe mich furchtbar benommen. Ich habe ihr meine Vergangenheit verschwiegen und ihr Angst gemacht. So habe ich sie von mir gestoßen. Es tut mir so leid.“ Jetzt war ich die jenige, die schlucken musste. Doch ich wollte meinen Plan noch nicht aufgeben. Ich musste wissen, wie er über mich dachte. „Vermisst du sie?“, fragte ich und er wendete mir den Kopf zu. „Mehr als je gedacht habe.“ Sein Blick durchbohrte mich und ich musste mich extrem zusammenreißen, um ihm nicht in die Arme zu fallen. „Dann sag es ihr. Sag ihr, was du für sie fühlst. Frauen brauchen das.“

Er schüttelte den Kopf, ließ die Schultern hängen. „Es ist zu spät. Sie wird nie mehr zu mir zurückkommen.“ „Es ist nie zu spät! Versuch es doch erst einmal, bevor du aufgibst.“ Schnell drehte er sich zu mir um. „Es geht nicht verdammt! Sie ist verliebt. Und das nicht in mich.“ Tränen stiegen ihm in die Augen und liefen ihm über die Wange. Das war das erste mal, dass ich ihn weinen sah. Ich konnte nicht länger so tun, als würde ich ihn nicht kennen. Sein Schmerz tat auch mir weh, vermutlich noch mehr. „Sie ist noch immer in dich verliebt, glaub mir. Ich denke, ich kenne sie besser als irgendjemand sonst. Sie liebt dich. Aber sie muss wissen, was du ihr verheimlichst.“

Matthews Blick flog zu mir, bohrte sich in meinen. Dann lag ich plötzlich in seinen Armen. „Oh Lauren! Du kannst dich an mich erinnern! Mein Gott! Ich..ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich…“ „Sag mir die Wahrheit.“ Er verkrampfte sich. „Ich kann nicht.“, seine Stimme war von Tränen heiser. „Du kannst, Matthew. Ich werde dich nicht verurteilen, aber mein Gott, aber du musst es mir sagen. Denn wenn du das nicht tust, dann werde ich gehen, Matthew. Ich halte das nicht aus. Ich habe Angst vor dir, wenn du so ausrastest. Du tust mir damit weh.“

Er lehnte sich ein Stück von mir weg, sah mich an. Seine Augen waren gerötet. „Du wirst mich hassen. Du wirst denken, dass ich ein Monster bin.“ Ich legte ihm die Handfläche an die Wange. „Ich werde dich nicht hassen. Dazu bin ich gar nicht in der Lage. Ich liebe dich, Matthew. Das wird sich dadurch nicht ändern.“ „Dann küss mich. Küss mich ein letztes mal, bevor ich es dir erzähle. Wenn du gehst, habe ich zumindest diese Erinnerung an dich.“, flehte er und ich seufzte. Er glaubte mir nicht, dass ich nicht gehen würde. Also musste ich es ihm beweisen. Ich lehnte mich vor und legte meine Lippen auf seine. Stöhnend griff er in meine Haare, zog mich näher an sich und küsste mich mit einem Verlangen, das mich schwindelig machte. Die Schmetterlinge flogen in meinem Bauch auf und machten sich in meinem ganzen Körper breit. Es kribbelte überall.

„Ich habe dich so sehr vermisst. Ich liebe dich, Lauren. Ich liebe dich so sehr. Ich wollte dir nie wehtun. Wirklich.“ „Dann sag mir endlich die Wahrheit.“, flüsterte ich und er zog meinen Kopf an seine Brust und hielt mich fest. „Du willst also die Wahrheit.“, sagte er leise und ich nickte. „Dann hör mir gut zu. Und sag mir dann nochmal, dass ich kein Monster bin.“ „Du bist kein Monster.“ Ich spürte ihn an meinem Scheitel lächeln. Doch dann wurde er ernst. „Ich habe jemanden getötet.“

Lustful - Erwachte BegierdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt