Kapitel 2

1.9K 64 9
                                    

Erschöpft stand ich in der Lobby des Hotels und beobachtete von hier aus den Pool, so wie jeden Morgen wenn ich auf den reichen Schnösel wartete. Einige Kinder planschten im Kinderbecken und sahen dabei so unbekümmert aus, wie ich es auch gerne wäre.

Meine Kindheit war schön. Zwar ohne einen Vater, aber ich hatte auch nie das Gefühl, einen zu brauchen. Meine Mutter hatte sich immer genügend um mich gekümmert, deswegen aber auch nicht die besten Jobs abbekommen. Vor circa einem Jahr bekam sie dann dieses Angebot hier, von einem Freund und nahm es dankend an. Natürlich auch durch ein Zusammenspiel mit der damaligen Situation.

Die Sonne prallte, wie immer, weswegen ich ein schwarzes Sommerkleidchen trug, was aber trotzdem die Voraussetzungen für die Schule erfüllte. Bei uns war nämlich nicht alles erlaubt, was ich ziemlich sexistisch fand. Die Jungs beim Sport durften oberkörperfrei herumlaufen und wir Mädchen mussten unseren Ausschnitt bedecken. Mit Sexismus an sich hatte ich sowieso ein riesiges Problem.

"Bereit?", fragte Vincent mit einem breiten Grinsen. Er hatte heute wohl einen guten Tag erwischt.

Ich antwortete einfach nicht, weil meine Laune nicht zu seiner passte. Plötzlich blieb er stehen, anstatt weiter in Richtung Auto zu gehen.

"Jetzt hör mal zu, kleine. Ich nehme dich jeden Morgen mit, da musst du mir nicht meine gute Laune verderben. Zeig mal ein bisschen Dankbarkeit", flüsterte er schon fast, während er mit einem Zeigefinger mein Kinn hob, damit ich ihm direkt in die Augen sehen musste. Meine Tapferkeit von neulich war mit einem Mal verschwunden und die Galle versuchte sich einen Weg nach oben zu bahnen. Mein Kopf dröhnte und vor meinen Augen spielte sich alles noch einmal ab.

"Hallo?", unterbrach Vincent den Schmerz in meinem Kopf.

"Fass mich nicht an", nuschelte ich, da ich keine Kraft hatte, lauter zu werden. Ich versuchte einfach weiter zum Auto zu gehen, doch alles schwankte.

"Was geht denn jetzt bei dir ab?", wollte er wissen, aber ich wusste nicht, ob es auf meine Reaktion oder meine körperliche Verfassung bezogen war.

Noch nie hatte ich mit jemanden außer meiner Mutter und meiner Therapeutin über die Vorfälle gesprochen und ich hatte auch nicht vor, das jemals zutun. Einige Leute wussten davon, weil es immer und immer weitererzählt wurde. Dies war einer der Gründe, weswegen ich meine damalige Heimat verlassen hatte. Hier sollte es keiner erfahren. Vor allem nicht so jemand wie Vincent es war.

Ich griff mit meiner Hand nach dem Türgriff. Dabei versuchte ich möglichst Vincent zu ignorieren, doch er griff an meinen Arm. Dabei breitete sich ein ungewolltes kribbeln auf meiner Haut aus. Ich konnte nicht einordnen, ob dieses kribbeln gut oder schlecht war. Dafür war ich nicht in der richtigen Verfassung. Aus Reflex schlug ich seine Hand einfach weg.

"Ich will wissen, ob alles okay bei dir ist, Sofia. Da brauchst du nicht gleich gewalttätig werden", motzte er mich schon fast an. Vincent wagte es nicht, sich von der Stelle zu rühren.

Er hatte Glück, dass ich so früh morgens meistens noch alles im Griff hatte und nicht so anfing, wie in dieser einen Nacht. Nachts waren meine Gefühle eindeutig schlimmer im Zaum zu halten, ins besonderen, wenn meine Mutter dabei war. Bei ihr konnte ich ich selbst sein. Das war bei Vincent nicht der Fall.

"Bei mir ist alles in Ordnung. Lass mich bitte in Ruhe, dass würde alles ein bisschen besser machen", murmelte ich und dann ging er auch schon zur Fahrertür.

Die Fahrt über schwiegen wir, so wie sonst auch. Nur dass es dieses Mal eine ziemlich unangenehme Stille war. Vielleicht war es Einbildung, aber ich hatte das Gefühl, dass er darüber grübelte, was mit mir los war. Allerdings müsste er schon seit langer Zeit wissen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Immerhin kannte wir uns jetzt schon ein Jahr lang und ich hatte mich eher gebessert, also war ich anfangs noch schwieriger. Jedoch kamen im Moment wieder mehrere meiner Ausbrüche vor.

"Du hattest das schon einmal", sprach er an, was meine Vermutung bestätigte.

"Was meinst du?", fragte ich unwissend.

"Du magst es nicht, wenn man dich anfasst", stellte er fest.

Ich zuckte mit den Schultern. "Und wenn es so wäre, dann wäre es nicht deine Sache. Das einzige was du dann tun könntest, wäre aufzuhören." Ich sprach mit Absicht nur hypothetisch, um auch ja nichts zuzugeben.

"Gut, dann lasse ich es", sagte er mürrisch, als wäre etwas falsch an dem, was ich gesagt hatte. "Dann kipp aber auch morgens nicht mehr fast um, wenn ich für dich verantwortlich bin."

Immer noch konnte ich nicht verstehen, was meine Freunde so toll an ihm fanden. Er spielte sich wie ein Idiot aus. Gerade machte er mir doch irgendwie klar, dass er mein Aufpasser wäre und ich es nicht schaffen würde, auf mich selbst aufzupassen. Idiot.

"Dann versuch einfach, mich nicht zu triggern", sagte ich, bevor ich überhaupt merkte, was ich da gerade gesagt hatte. Ich lief rot an, mein Herz begann zu rasen und ich war froh, dass wir gerade auf dem Parkplatz der Schule ankamen. Bevor er etwas dazu sagen konnte, riss ich energisch die Tür des Autos auf und sprang hinaus. "Dann bis später", rief ich zum Abschied, als wäre alles normal.

Tausende Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Was, wenn er bloß darüber nachdachte? Was, wenn er herausbekam, was mit mir los war? Immer noch mit einem knallroten Kopf betrat ich die Eingangshalle der Schule und sah auch schon Hannah und Charlotte in einer Ecke stehen.

"Was ist denn mit dir passiert? Musstest du zur Schule rennen?", wollte Charlotte wissen, nachdem mich beide umarmt hatten.

"Ist nicht der Rede wert", murmelte ich. Dadurch konnte ich jedoch nicht ihre Aufmerksamkeit von mir ablenken.

Hannah lächelte. "Hat es etwa etwas mit deinem Fahrer zutun?"

Ich schüttelte hastig den Kopf. Bloß nichts anmerken lassen, flüsterte meine innere Stimme, die mich schon seit meiner Kindheit verfolgte. Ich würde sie gern abstellen, aber ich konnte nicht. "Mir ist einfach nur warm. Hab ich vielleicht Fieber?", fragte ich, obwohl ich wusste, dass es nicht so war.

Schon schnellte Charlottes Hand an meine Stirn. Ihre Aussage war sowieso nicht wirklich zuverlässig. Dann schüttelte sie aber den Kopf. "Also ein bisschen warm bist du schon, aber ich glaube, dass ist jeder Mensch."

"Ah, da ist er ja", sagte Hannah aufgeregt und begann ihre Haare zu richten.

"Wer?", fragte ich noch, während ich mich umdrehte.

Dort kam er, mit seiner Jungs-Truppe. Er redete und alle stimmten in sein Gelächter mit ein. Bestimmt erzählte er ihnen von meinem komischen Verhalten. Vielleicht hatten sie etwas über meine Vergangenheit herausgefunden...

"Was ist denn zwischen euch passiert", informierte sich Hannah, die wohl wieder eine meiner komischen Reaktionen bemerkt hatte.

Zögerlich antwortete ich: "Nur das übliche. Er hat seine dummen Sprüche abgelassen und ich habe versucht, dass zu ignorieren. Mal abgesehen davon, dass er mich neulich nach der Nacht im Club in der Lobby aufgelauert hat."

"Wie meinst du das?" Charlotte schien ganz begeistert von dem zu sein, was ich vorhatte zu erzählen. Mein Ablenkungsmanöver funktionierte also.

"Ich kam in die Lobby und dort saß er. Ich weiß nicht, ob er mich wirklich aufgelauert hatte, oder einfach den Mond begucken wollte, aber dann hat er mir erzählt, dass das Personal ja früher zu Hause sein müsse."

"Wen meint er denn mit Personal?" Charlotte war wirklich nicht die Schlauste.

"Na, er meinte sie", erklärte Hannah, worüber ich sehr dankbar war. "Er bezeichnet dich immer noch als Personal? Was für ein Idiot."

"Aber deine Mutter arbeitet doch auch dort", sagte Charlotte, so als wenn das irgendetwas rechtfertigen würde.

"Und wenn schon... Das heißt nicht, dass ich auch das Personal bin. Du bist doch auch nicht dass Personal vom Chef deiner Mutter, oder?", wollte ich von ihr wissen, doch bekam keine Antwort. "Er ist halt immer noch respektlos mir gegenüber und ich finde das echt fies."

"Kann ich verstehen", sagte Hannah.

In diesem Moment hörte man das Leuten aus den Lautsprechern, welches uns zum Unterricht rufen sollte. Lustlos, aber glücklich darüber, dass diesem Gespräch ein Ende bereitet wurde, ging ich mit den anderen Beiden in die Klasse.

WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt