Kapitel 4

1.5K 60 2
                                    

Am Ende stand Camille, die eine Stufe höher als ich ging, mit einer ihrer vielen Freundinnen. Sie griff sich etwas aus dem Regal, packte es dann aber doch zurück.

"In diesem Dorf gibt es nichts ordentliches zu Essen", quietschte sie und ich verdrehte die Augen.

Ich machte mich daran, Sachen in meinen kleinen Beutel zu packen. Dabei konnte ich aber nicht aufhören zu lauschen. Ihre Stimme war wie ein Unfall. Man musste hinhören, auch wenn man es nicht wollte.

"Hättest du mal das Essen gegessen, was es gab, als ich bei Vincent nach der Party war. Dieses Hotel ist perfekt", schwärmte sie mir vor.

Das traf mich irgendwie wie ein Schlag. Dann wusste ich jetzt auch, wieso Vincent in dieser Nacht noch wach gewesen war. Er hatte nicht auf mich gewartet, sondern war entweder vor ihr geflohen oder hatte sogar noch auf sie gewartet. Ich verstand nicht, wieso mich das überhaupt so interessierte, immerhin ging Vincent mir am Arsch vorbei. Aber es war, als wäre sie in mein Zuhause eingedrungen.

Ihre Freundin nickte nur vor sich hin, was Camille anscheinend als eine Aufforderung zum weiterreden empfand. "Bald werden wir zusammen sein, weißt du? Und später werde ich dann mit ihm in diesem tollen Hotel wohnen."

Plötzlich hörte ich etwas auf den Boden scheppern und sofort drehten sich Camille und ihre Freundin zu mir um. Dann bemerkte ich, dass ich diesen Laut verursacht hatte. Vor mir lag ein Glas Champignons, die meine Mutter so gerne aß.

Camille wollte gerade ihren Mund aufmachen, als schon die kleine Französin herangetapst kam. "Ah, Mon Cherie, dass ist gar nicht schlimm", erklärte sie mir, aber ich war immer noch von ihr weggedreht und starrte Camille genauso an wie sie mich. Im nächsten Moment schaffte ich es aber, mich zu fassen, straffte wie immer meine Schultern und bückte mich zu der Ladenbesitzerin.

"Tut mir leid, ich war ganz in Gedanken", murmelte ich, während ich die größeren Scherben auf ihr Kehrblech packte. "Ich werde das natürlich bezahlen."

"Non, non", fing sie an, mit ihrem süßen Akzent. Ihr schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, wie immer wenn ich sie sah. "Das passiert doch jedem mal. Du willst gar nicht wissen, wie oft mir beim einräumen etwas herunterfällt. Lass mich das machen und kauf einfach weiter ein", bat sie mich und ich ging langsam aus der Hocke wieder hoch. Als ich in ihre Richtung sah, war Camille jedoch schon in den nächsten Gang verschwunden.

Als ich an der Kasse stand, sah ich sie jedoch draußen vor dem Laden stehen. Ich packte langsam meine Einkäufe in den Beutel zurück, nachdem die Französin sie abgescannt hatte, doch Camille und ihre Freundin rührten sich nicht vom Fleck. Sie warten auf dich, flüsterte die anstrengende Stimme in meinem Kopf und ich schüttelte diesen, um sie zu entfernen. Die Französin bemerkte mein komisches Verhalten zum Glück nicht, denn sie war mit ihrer Kasse beschäftigt.

Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und ging durch die Tür des Ladens ins Freie. Unmittelbar landeten Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht und erwärmten dieses. Ich versuchte mit einem schnellen Schritt, und ohne ihnen eines Blickes zu würdigen, an Camille und ihrer Freundin vorbei zu gehen. Vergeblich.

"Ey, bist du nicht die, die bei Vincent im Hotel wohnt?", erkundigte sie sich.

Langsam drehte ich mich zu ihr um. Sollte ich lügen? Sie würde es eh erfahren.

"Ja, das bin ich wohl", teilte ich ihr so selbstbewusst wie möglich mit. Gegenüber Menschen wie ihr durfte man keine Schwäche zeigen.

Sie setzte ein eindeutig gespieltes Lächeln auf. "Dann hör mir mal gut zu", fing sie an. Jetzt konnte einfach nur was schlechtes kommen. Camille machte auch noch einen Schritt auf mich zu und sah mir direkt in die Augen. Vermutlich war es ihre Mission, bedrohlich auf mich zu wirken. Das bekam sie auch ganz gut zustande. "Wenn du ihm erzählst, was ich da gerade eben erwähnt habe, mache ich dich kalt." Ihre Stimme war so steif als sie das sagte, dass mir ein kleiner Schauer über den Rücken lief.

"Ich weiß nicht was du meinst", gab ich unschuldig zur Antwort. Außerdem, was hätte ich davon, es ihm zu erzählen? Soll sie doch mit ihm zusammenkommen, wenn sie wollte. Oder war ihr das etwa peinlich.

Sie lächelte immer noch. "Süße, wir beide wissen genau, wovon ich rede. Und wenn du es nicht weißt, um so besser. Am besten hältst du dich von ihm fern."

"Siehst du mich als Bedrohung an?", platzte es aus mir heraus. Diese Frage hätte ich wahrscheinlich eher für mich behalten sollen.

Ich konnte erkennen, wie sich ihre Augen weiteten. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet.

"Nein", sagte sie ganz kleinlaut. "Ich sehe einfach nur, dass du was von ihm willst", redete sie weiter, als sie sich wieder gefasst hatte.

Ich fand die ganze Situation gerade ziemlich witzig, weswegen ich nicht aufhörte, sie zu provozieren. "Und du denkst also, er würde auch etwas von mir wollen? Sonst wäre es ja nicht so schlimm, wenn ich was von ihm will."

Hilflos drehte Camille den Blick zu ihrer Freundin, doch diese zuckte nur mit ihren Schultern.

"Ich erkläre dieses Gespräch jetzt für beendet", sagte sie, drehte ab und stolzierte zu ihrem Auto.

Ich schüttelte nur den Kopf. Was für eine Ziege, erzählte meine innere Stimme und ich gab ihr endlich mal wirklich Recht.

Auch ich machte mich auf den Weg nach Hause und ging dieses Mal aber an der Hauptstraße lang, da mein Bauch schon grummelte.

Sie denkt, er würde etwas von dir wollen, faselte meine innere Stimme jetzt. Ich wusste nicht, ob das wahr war oder nicht. Vincent war zu mir immer komisch, außerdem kam es für mich auch eher so rüber, als wenn er was von Camille wollte. Immerhin schien sie nach der Party bei ihm geschlafen zu haben. Aber was war, wenn er wirklich in der Lobby gesessen hatte, weil er vor ihr geflohen war? Oder weil er auf mich gewartet hatte?

All dies war sowieso egal, weil ich nie wieder jemanden lieben konnte. Aus diesem Grund begrub ich meinen Gedanken und lauschte den Geräuschen der Autos, die an mir vorbei rasten.

WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt