Kapitel 33

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Ich war enttäuscht. Er war nicht dort und ich wusste nicht, was ich noch tun sollte. War das nun ein Beweis dafür, dass ich ihn nicht interessierte?

Circa eine halbe Stunde später kam Charlotte dann zurück zu uns. Ich hatte mittlerweile schon mein zweites Bier ausgetrunken, weil ich den Anblick von Vincents Freunden ohne ihn nicht wirklich ertragen konnte. Ich wollte so sehr, dass er hier war und wieder für mich da war.

"Habt ihr Lust, was zu trinken?", fragte sie. Sie war so glücklich, sie schien gar nicht zu merken, wie deprimiert ich war. Aber auch Hannah war dies noch nicht aufgefallen.

"Ja", sagte Hannah nur und wir folgten Charlotte also wieder ins das Haus. Ich hatte das Gefühl, dass es innerhalb der halben Stunde noch einmal doppelt so voll geworden war, aber meine Hoffnung hatte ich bereits verloren. Die Wahrscheinlichkeit, dass er noch kommen würde, lag für mich bei null Komma eins Prozent.

Wir setzten uns in eine kleine Sitzecke im Wohnzimmer. Andauernd drängelten sich Leute an uns vorbei und die Musik war so laut, dass wir uns kaum verstehen konnten. Jede von uns hatte sich auf dem Weg noch ein Bier mitgenommen. Ich nippte schon wieder an meinem, um meine Gefühle so gut wie möglich zu betäuben.

"Er war so süß", fing Charlotte an zu schwärmen. "Er hat von Sport erzählt und von seinem Tag und dann hat er auch noch gefragt, wie meiner war."

Normalerweise hätte ich nun etwas dazu gesagt, doch ich hatte keine Kraft. Stattdessen übernahm Hannah das für mich. "Das nennst du süß?", lachte sie.

Charlotte blickte etwas verletzt drein, ließ sich aber nicht lange von Hannahs Aussage stören. "Ja, er war sehr süß", bestätigte sie sich selbst. "Aber ich traue mich einfach nicht, ihn zu fragen. Er soll es endlich mal tun."

"Du bist so ein starkes Mädchen, du bekommst da hin", munterte Hannah sie trotzdem auf. "Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter, wo der Mann unbedingt den ersten Schritt machen musste."

"Leute, ich muss mal kurz weg", sagte ich nur kurz, als ich aus einer Art Trance erwachte. Ich wusste nun, was ich zu tun hatte. Ich konnte nicht ewig nur herum sitzen und mich selbst Wahnsinnig machen. Ich hatte doch immer noch eine Mission und wenn sie nicht funktionierte, dann musste man halt den Ablauf verändern, aber nicht das Ziel.

"Ist alles gut?", fragte Hannah mich zur Sicherheit. "Du bist ziemlich blass. Musst du spucken?"

Sie stand schon auf, doch ich wimmelte sie ab. Sie sollte nicht dabei sein. Ich war eher blass, weil ich nun den ersten Schritt machen musste. Denn es stimmte, was sie gesagt hatte. Nicht immer Männer mussten den ersten Schritt machen. Wenn ich etwas von Vincent wollte, dann musste ich es ihm zeigen und den Streit begraben.

Ich drängelte mich an vielen Leuten vorbei, keinen schien es zu stören. Hier waren alle viel zu beschäftigt mit sich selbst, als das sie sich für andere interessierten. Dabei kam ich auch wieder an Vincents Freunden vorbei. Ich blieb kurz stehen und überlegte, ob ich wirklich die Person war, die nachgeben sollte. Vincent war der, der gemeine Dinge gesagt hatte, aber er war auf Drogen gewesen. Konnte ich es ihm verzeihen? Würde er sich bessern? Ich dachte mir, dass es einen Versuch wert sein würde. Und wenn er sich nicht änderte, dann war er halt nicht der Richtige. Aber etwas was einem viel bedeutete, gab man nicht kampflos auf.

Also ging ich weiter. Im Vorbeigehen schnappte ich mir noch ein neues Bier, damit ich ein bisschen weniger nachdachte, und trat dann auch schon in das Freie. Ich blieb nicht direkt vor dem Haus, sondern ging ein Stück weiter in Richtung der Straße. Dort war die Musik nicht mehr ganz so laut.

Ich setzte mich auf den kalten Bürgersteig und kramte in meiner Tasche nach meinem Handy. Zögernd saß ich dort, als ich es schließlich in der Hand hatte. Ich scrollte nur langsam durch meine Kontakte, bis ich bei ihm angekommen war. Man konnte sagen, dass ich fast schon aufgeregt war. Ich wusste ja nicht, wie er reagieren würde, falls er es überhaupt tat. Vielleicht würde er mich auch wegdrücken und gar nicht erst mit mir reden. Oder er hatte sein Handy gar nicht bei sich. Es gab so viele Möglichkeiten, die mir Angst einjagten und meine Beine zum Zittern brachten und trotzdem drückte ich auf Nummer wählen.

An meinem Ohr begann es zu tuten und meine Hand zitterte wie nichts Gutes hin und her. Das Gefühl in meinem Magen war flau. Ich hätte wahrscheinlich kotzen können, hätte ich es wirklich gewollt. Doch das war gerade das Letzte, was passieren sollte.

Plötzlich hörte ich auch schon seine Stimme. "Hallo?"

Ich wusste gar nicht was ich antworten sollte. Ich saß stumm dort, zitterte immer noch und bekam kein Wort raus.

"Sofia? Geht es dir gut?", fragte er. Seine Stimme hörte sich so an, als würde er durch die Freisprechanlage seines Auto sprechen.

"Wo bist du?", presste ich nur heraus. Ich hoffte, dass er mein Zittern nicht hören konnte.

Erst kam keine Antwort. Man hörte kurz laute Motorgeräusche, dann sprach er. "In der Nähe des Berges, auf unserer Seite der Insel. Hör zu, ich kann gerade nicht sprechen." Er hörte sich gestresst an. Fast schon so, als hätte er Panik. Die Motorgeräusche kamen wieder und langsam kam mir etwas in den Sinn.

"Vincent, fährst du ein Autorennen?"

Ich hörte nur noch leise wie er sagte: "Jemand ist hinter mir her, Sofia!" Dann passierte es auch schon. Ich hörte, wie etwas zusammenprallte und Glas zerbrach. Es war ein Ohrenbetäubendes Geräusch und sofort brach die Verbindung ab. Mein Handy tutete nur noch und ich saß starr dort, wusste nicht, was ich tun sollte.

Doch dann raffte ich mich auf, wählte den Notruf, erzählte was passiert war und machte mich direkt danach auf den Weg. Ich fing an zu rennen und hörte nicht auf, ehe ich nicht dort war.

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