Nachdem meine Mutter seine Frage mit einem "Ja" beantwortet hatte, waren auch schon leise Schritte zu hören. Was wollte er denn bloß hier?
"Dann gehe ich wohl in die Cafeteria und schaue mal ob ich etwas zu essen bekomme", erklärte meine Mutter mir und streichelte noch ein letztes Mal über meine Hand, bevor sie hörbar aufstand.
Jemand anderes setzte sich stattdessen auf ihren Platz, direkt neben mein Bett. Er wartete, bis sie aus dem Raum verschwunden war, dann begann er mit seiner dunklen Stimme zu reden: "Ich hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen." Wieso sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Immerhin hatte er mir doch geholfen. Ich würde ihn so gerne Fragen wieso, aber ich konnte meinen Mund nicht bewegen. "Deswegen bin ich hier", fuhr er fort. "Das du schläfst macht die Situation natürlich umso besser, dann hörst du wenigstens die Momente meiner Schwäche nicht." Vincent konnte ja nicht wissen, dass ich alles hörte. "Ich glaube ich muss mich dafür bedanken, dass du mir geholfen hast. Immerhin hast du das jetzt schon zweimal getan. Und auch wenn ich dich vorhin gerettet habe, finde ich, dass wir noch nicht quitt sind. Weißt du, ich habe schon lange ein Problem mit Drogen. Es war schon immer da und mal ist es ein bisschen schlimmer und mal nicht, aber ich habe von niemandem erwartet, dass er mir in so einer Situation hilft, vor allem nicht von dir. Du bist immer so schreckhaft und ich verstehe nicht wieso, aber trotzdem hast du all deinen Mut zusammen genommen und mir geholfen. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich beide Male von irgendwelchen Gästen gefunden worden. Falls es dich beruhigt, mein Vater hat es sowieso schon mitbekommen, das ist der Grund für meinen Bademeisterjob." Danach sagte er eine lange Zeit nichts, sodass ich die Worte auf mich wirken lassen konnte. Dies erklärte mir eigentlich gar nichts, sondern warf nur noch mehr Fragen auf. Ich wollte verstehen, wieso Vincent Drogen nahm. Ich wollte wissen, wieso er mir geholfen hatte, denn normalerweise hätte er das bei keinem getan. Wollte er denn wirklich nur, dass wir quitt waren? Immerhin hatte er doch gerade gesagt, dass wir das noch nicht wären.
"Danke." Ich konnte hören, wie er dieses Wort aus sich heraus pressen musste. So oft hatte er es wohl noch nicht gesagt. "Ich hoffe einfach, dass du dich mir auch irgendwann noch mal offenbarst", murmelte er und ich hörte, wie er den Stuhl nach hinten schob und aufstand. Ich mich ihm offenbaren? Ganz sicher nicht. Das hatte er ja nicht einmal selbst getan. Er dachte ja, ich würde schlafen.
Lange nachdem Vincent gegangen war, begann ich wieder Kraft in meinen Knochen zu spüren. Das Beruhigungsmittel hörte also auf zu wirken. Vorsichtig versuchte ich meine Augenlieder zu bewegen und schaffte es tatsächlich, sie zu öffnen. Nun konnte ich meine Umgebung betrachten. Die Wände waren schneeweiß, genau wie die Fliesen auf dem Boden. Ich fühlte mich wie im Himmel, außer dass das Bett harter war, als eine Wolke. In meinem Arm steckte ein einziger Schlauch, der wohl das Mittel in mich gepumpt hatte. Jedoch schien das Mittel alle zu sein, sonst wäre ich kaum wieder aufgewacht. An meinem Finger steckte noch so ein Dings zum Puls messen. Ich wusste schon genau, wieso ich keine Ärztin werden wollte, denn all das hier ekelte mich auf irgendeine Art und Weise extrem an.
Die Tür schwang auf und ich sah das glückliche Gesicht meiner Mutter, die einen Kaffee in der Hand hatte. "Du bist wach!", schrie sie überglücklich, als hätte ich eine schwere Operation überlebt oder wäre aus einem Koma erwacht.
"Ja", nuschelte ich und fand es noch ein wenig schwer, meinen Mund zu bewegen. Dann schluckte ich einmal und sagte "Hab schön geträumt." Damit wollte ich sie aufheitern, was auch funktionierte. Sofort bewegten sich ihre Mundwinkel nach oben. Sie setzte sich wieder zu mir und stellte ihren Kaffee, welcher einen starken Geruch verströmte, neben mir auf dem Nachttisch ab.
"Vincent war hier", erzählte sie mir und fing natürlich an zu schwärmen. "So ein netter junger Mann. Das einzige was er hätte besser machen können, wäre dass er hätte Blumen mitbringen können. Aber so etwas kann man heutzutage nicht mehr erwarten." Ob ihr Verehrer das denn neulich getan hatte?
Ich war kurz davor ich weiß zu antworten, als mir wieder einfiel, dass ich lieber vorgeben sollte, dass ich es nicht wusste. "Das ist aber nett von ihm", sagte ich also und setzte ein gespieltes Lächeln auf. Ich wusste nicht, wie ich mit der Situation nun umgehen sollte. Vincent hatte recht gehabt, es wäre besser gewesen, wenn ich geschlafen hätte. Dann hätte ich all das nicht mitbekommen und dieses komische Gefühl in meinem Bauch wäre mir erspart geblieben. Ich konnte dieses Gefühl nicht deuten.
"Er war auch der, der dir direkt geholfen hat", erzählte sie freudestrahlend.
"Ich weiß, ich kann mich an alles erinnern, Mama", brummte ich, bevor sie die Erinnerung wieder hochholte.
"Dann weißt du auch, wieso es passiert ist?", wollte meine Mutter wissen doch ich ignorierte es. Konnte sie denn nicht mal nichts sagen? "Ich hatte es vorhin schon einmal erwähnt, als du geschlafen hast. Also du kannst gern sagen ich bin bescheuert, aber das Mädchen, was dort bei dir saß, das sah aus wie Lindsey. Du weißt schon, Lindsey deine alte Freundin."
Zum Glück flog genau in diesem Moment die Tür zu meinem Zimmer auf und ein Mann in einem weißen Kittel spazierte herein. "Ah, sie sind wach", stellte er fest. "Mrs. Castillo, ich hatte sie doch gebeten, mir bescheid zu geben", sagte er an meine Mutter gewandt und schlenderte zu mir. Er stellte sich direkt vor mein Bett und betrachtete mich von allen Seiten.
"Ich hab es doch auch eben erst gemerkt", gab meine Mutter genervt zurück.
Nun kam auch ein hübscher Krankenpfleger herein, der mich anlächelte. Er sah Josh ziemlich ähnlich. Er könnte fast sein Bruder sein. Der Krankenpfleger machte sich an der Kanüle in meinem Arm zu schaffen, die mit dem Schlauch verbunden war und zog sie vorsichtig heraus.
"Wie fühlen sie sich?", wollte der Arzt nun von mir wissen.
"Gut", antwortete ich stumpf und es war nicht einmal gelogen. Immerhin konnte es mir nur besser gehen als bei meinem Anfall.
"Ihre Mutter meinte, sie hatten eine Panikattacke. Ist das der Fall?"
Ich nickte stumpf.
"Stehen sie im Kontakt zu einem Psychologen?", fragte er nun wieder meine Mutter. Ich war erleichert, als ich realisierte, dass er mich nicht nach einem Grund fragen würde, wie jeder andere es wahrscheinlich getan hätte. Er unterhielt sich noch kurz mit meiner Mutter, dann sagte er an mich gewandt: "Sie müssen nur noch ein paar Stunden bleiben, dann sind sie entlassen."
Während meine Mutter fast Freudensprünge machte, wusste ich immer noch nicht, wie ich mich nun Vincent gegenüber verhalten sollte.
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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...