Kapitel 36

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Es dauerte nicht lange, da hatte meine Mutter mich schon auf die Polizeiwache geschleppt, auf die wir zitiert worden waren. Vor uns stand eine junge Polizistin, die uns in einen kleinen weißen Raum führte, in dem wir uns an einen Tisch setzten. Dort sollten wir auf eine Kommissarin warten.

Die Frau erschien mir ein wenig älter, als sie eintrat. Sie setzte sich gegenüber von uns und begrüßte uns dabei. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, so wie sonst, wenn ich spucken musste. Doch ich unterdrückte es. Ich wollte auf keinen Fall vor dieser Frau nervös wirken, doch das war ich.

Wenn Vincent doch nur wach wäre, dachte ich mir. Er weiß genau, wer es getan hat und dass ich es nicht war.

Die Kommissarin rückte ihre schwarze Bluse zurecht, bevor sie anfing. "Schön, dass Sie es einrichten konnten", sagte sie so freundlich zu uns, als seien wir alte Bekannte. Doch ich wollte diese Frau nicht kennen. Sie sollte mich in Ruhe lassen und sich auf die Suche nach dem wahren Täter machen und wenn sie nicht fähig war, wie es mir erschien, sollte sie jemand anderem den Fall überlassen. "Ich denke, sie wissen wieso Sie hier sind", fing sie an.

"Nein, das verstehen wir nicht so ganz", unterbrach meine Mutter sie. Und damit hatte sie recht. Denn es gab, meiner Meinung nach, kein Indiz, welches mich in diesen Fall verstrickte, außer dass ich Vincents Freundin war.

"Sie auch nicht?", fragte die Kommissarin mich, doch ich schüttelte nur unbeholfen meinen Kopf. "Gut, dann werde ich es Ihnen erklären", sagte sie und legte einen kleinen Ordner auf den Tisch. Sie blätterte herum und legte uns dann einige Bilder auf den Tisch, auf denen Vincents kaputtes Auto am Unfallort zusehen war. "Kennen Sie diesen Wagen?"

Ich nickte, immer noch unbeholfen. "Es ist das Auto von Vincent." Als ich diese Bilder ansah, kam alles, was ich in den letzten Tagen verdrängt hatte, wieder hoch. Doch ich unterdrückte die Tränen weiter. Ich wollte nicht schwach vor dieser Frau wirken. Vielleicht würde sie es als Zeichen von Angst sehen.

"Vincent Connors verunglückte neulich in diesem Wagen. Sie waren in dieser Nacht am Unfallort, davon habe ich bereits gehört", erklärte sie uns, während meine Mutter neugierig die Bilder betrachtete und mich verstört ansah. Sie hatte eindeutig Angst, was geschehen würde und doch sah man ihr an, dass sie es mir auf keinen Fall zutraute. Ich war froh, dass ich noch nicht alt genug war, um hier ohne sie zu sitzen. Ich würde es nicht durchstehen. "Und ich denke, Sie wissen auch, dass dieser Unfall mutwillig herbeigeführt wurde. Immerhin haben Sie die Aussage gemacht, dass er sagte, es sei jemand hinter ihm her oder Ähnliches, Sofia. Oder haben Sie dies nicht gesagt?" Sie zog eine Augenbraue hoch. Die Kommissarin mistraute mir eindeutig.

"Doch, das habe ich gesagt. Denn das ist es, was er mir sagte, als ich ihn in dieser Nacht anrief", rechtfertige ich mich. Meine Stimme bebte leise vor sich hin.

Sie nickte zufrieden. "Wieso haben Sie ihn angerufen?"

Ich wollte gerade meinen Mund öffnen und ihr antworten, als meine Mutter mich unterbrach. "Das ist privat", sagte sie. "Ich denke nicht, dass der Grund ihres Anrufs zur Lösung beiträgt. Ich möchte hier eher erfahren, wieso meine Tochter verdächtigt wird. Wegen etwas anderem sind wir nicht hergekommen." Ich war sehr erstaunt über die Schlagfertigkeit und den Mut meiner Mutter. Und so sehr dankbar.

Die Kommissarin grinste kurz frech und sah uns dann wieder ernst an. "Das kann ich Ihnen gerne sagen. Nur ich möchte vorher wissen, dass es ihrer Tochter vor Gericht angerechnet werden kann, wenn sie kooperiert."

Gericht?!, schrie die Stimme in meinem Kopf auf. Meine Beine begannen zu zittern, doch bevor schlimmeres geschah, legte meine Mutter beruhigend ihre Hand auf mein Knie.

"Wir werden nicht vor Gericht gehen, also wird das nicht das Problem sein", sagte sie, mit monotoner Stimme.

"Wenn Sie sich da sicher sind... Also, ihre Tochter ist aufgrund eines anonymen Tipps hier. Uns wurde berichtet, dass Sie in einer Beziehung mit Mr. Connors war und einige Streitigkeiten auftraten. Einige Hotelgäste konnten dies bestätigen. Es gab einen größeren Streit an einem Nachmittag am Pool."

Meine Mutter sah mich mit ihrem Antworte-Bloß-Nicht-Blick an. Und ich hielt auch den Mund. Zwar stimmte es, was diese Frau sagte und doch war es kein Grund, Vincent zu schaden. Es gab nur einen Grund, der mir in den Sinn kam und das waren seine Drogengeschäfte oder was er sonst noch so trieb. Doch ich konnte ihn nicht verraten. Nicht hier und jetzt.

"Genau deswegen habe ich ihn angerufen", klärte ich die Sache auf. "Ich wollte mich wieder gut mit ihm stellen." Während dieses Satzes verdrängte ich immer noch jegliche Emotionen und Bilder, die ich seit dieser Nacht mit mir herumtrug. Sie sollten nicht wieder auftauchen.

Die Kommissarin notierte sich meine Antwort auf einem Zettel, der vor ihr lag und sah mich dann wieder an. "Und er wollte sich nicht mit Ihnen versöhnen?" Meine Mutter hatte genauso ein großes Fragezeichen auf der Stirn wie die Kommissarin. Sie sah bange aus. Ich wusste, dass ich es mit meinen Antworten nicht unbedingt besser machte, doch wenigstens sagte ich dir Wahrheit. Sie würden doch ohnehin herausfinden, dass ich es nicht war, oder nicht? "Sie waren vorher auf einer Party", sagte sie, als ich nicht antwortete.

"Ja, das war ich. Mit zwei meiner Freundinnen. Und zu dem Thema, ob wir uns versöhnen, hatte er gar nichts gesagt, denn er hatte keine Zeit. Es ging doch alles viel zu schnell."

"Ich verstehe. Also hatten Sie Alkohol getrunken?"

Ich nickte beschämt. Partys waren wohl ein Albtraum für mich. Immer passierte danach etwas, was für mich nicht gut ausging.

"In Ihrer Akte steht, dass sie einmal eine Vergewaltigung angezeigt haben, ohne Erfolg."

"Was hat das denn nun damit zutun? Lassen Sie doch das arme Kind in Ruhe! Sehen Sie denn nicht, wie fertig sie schon ist?!" Meine Mutter war aufgesprungen und hatte sich schützend vor mir aufgebaut.

"Was das damit zutun hat, kann ich Ihnen gerne sagen, Ms." Die Kommissarin sah mich kurz an, doch es schien sie nicht zu interessieren, dass ich mittlerweile weinte. "Ich habe da meine ganz eigene Theorie. Der Streit, der stattgefunden hat, basierte auf dem Thema, dass ihre Tochter keinen Sex mit dem Jungen haben wollte und statt sich wieder mit ihm zu versöhnen, hat sie Panik bekommen und sich einen Plan ausgemalt, wie sie ihn am besten loswerden kann, denn sie hatte Angst."

Meine Mutter war fassungslos. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und sagte: "Gehen Sie mal lieber zu einem Psychiater", nahm mich danach an der Hand und zog mich aus dem Raum.

"Was denkt diese Frau sich?", regte meine Mutter sich auf, als wir ins Freie traten. "Einfach deine Vergangenheit damit reinspielen. Du bist doch offensichtlich das Opfer!" Sie war total aufgebracht. Als wir vor dem Auto standen, blieb sie stehen. "Hey, Süße. Mach dir bloß keinen Kopf. Ich werde mich über sie beschweren und wenn dann erst einmal jemand anderes, der nicht voreingenommen ist, den Fall übernimmt, dann wird das alles schon. Es gibt doch nichts, was auf dich hinweist, außer die gestörten Gedanken dieser einen Frau. Und wie viel zählt das schon."

Sehr viel, Mama. Sehr viel.

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