Kapitel 18

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"Ich verstehe das alles hier nicht", sagte ich, als ich neben ihm im Auto platz genommen hatte.

"Was verstehst du nicht?", wollte er wissen, während er den Motor startete.

Ich zuckte mit den Schultern. "Zum Beispiel, wieso wir jetzt zusammen Essen fahren."

Vincent antwortete nicht, da er sich auf das ausparken konzentrierte. Schon vorher hatte er sich darüber aufgeregt, dass ihn jemand mies zugeparkt hatte. Er meinte, solche Gäste könnten gleich wieder aus dem Hotel verschwinden. "Wir fahren Essen weil du Hunger hast", erklärte er, so als wenn mir das nicht klar war. "Und eventuell auch, weil ich neugierig bin", fügte er hinzu. Vincent bog auf den Highway ab und öffnete ein Fenster. Meine Haare flogen nur so durch mein Gesicht, so dass er lachen musste.

"Das ist nicht witzig", erwähnte ich. Mit meinen Händen fuhr ich einige Male durch meine Haare, um zu retten, was noch zu retten war. "Auf was bist du neugierig?"

Vincent fuhr das Fenster wieder hoch. Er hatte wohl gemerkt, dass es mich nervte. "Auf dich. Du verschweigst irgendetwas."

"Du doch auch", entgegnete ich. Er verschwieg so vieles und ich im Prinzip nur eine zusammenhängende Geschichte. Das war nicht fair.

Er lachte. "Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht neugierig bist. Sonst würdest du dich doch niemals mit mir abgeben. Wenn ich so sehe, mit was für Typen du dich sonst so triffst, dann bin ich wohl gar nicht dein Typ."

"Niemand ist mein Typ", nuschelte ich vor mich hin, was aber im Gebrumme des Motors unterging. Es war wahrscheinlich auch besser so, wenn er das nicht hörte.

Schon bei der zweiten Ausfahrt fuhr er vom Highway hinunter und bog kurze Zeit später in eine kleine Seitenstraße ab. Dort sah es überhaupt nicht nach einem Ort aus, an dem jemand wie Vincent sich herumtrieb, aber er schien sich gut auszukennen. Die Häuser hier sahen nicht sehr hochwertig aus, aber es war auch kein Armenviertel. Vincent bog auf einen kleinen Parkplatz direkt vor einem genauso kleinen Café in dem sich kein anderer Gast befand. Er hielt mir die Tür auf und als wir hinein gingen, ertönte eine kleine Glocke über uns. Ein hübscher Kellner kam auf uns zu und brachte uns eine kleine Speisekarte. Er war sehr freundlich, jedoch nichts außergewöhnliches.

"Was möchtest du essen?", fragte Vincent nach.

"Ich glaube ich nehme die Pfannkuchen mit Ahornsirup und eine heiße Schokolade."

"Wie kann man bitte so etwas trinken, obwohl es draußen so warm ist?"

"Es erinnert mich an Zuhause", antwortete ich. Zuhause war es nicht immer so warm wie hier. Dort habe ich gerne einmal eine heiße Schokolade getrunken. Am liebsten die, von dem Getränkeshop, der direkt neben der Schule war. Als ich mir dort das letzte Mal etwas geholt hatte, waren meine Mutter und ich auf dem Weg zum Flughafen und heute war mir klar, dass ich nie wieder dorthin zurückkehren werde.

"Wie war denn dein Zuhause?"

Ich versuchte an die schönen Dinge zu denken. Die vier Jahreszeiten waren wundervoll ausgeprägt und jede kam mit ihren eigenen Eigenschaften. Nicht so wie hier, wo es immer Sommer war. Ich war sehr beliebt gewesen und hatte viele Freunde. In der Schule hatte ich Spaß. Doch dann wurde das alles zerstört. "Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Es war der Ort, an dem ich mich einfach wohl gefühlt habe. Wo alles zu mir gepasst hat."

Vincent sah mich interessiert an. "Ich würde gerne wissen, wieso du dann hier bist, aber es steht mir wohl noch nicht zu, dass zu fragen."

Was meinte er mit noch nicht? Hatte er die Hoffnung, dass es ihm irgendwann zustehen würde?

Der Kellner kam und stellte uns unser Essen hin. Die Pfannkuchen und die heiße Schokolade dufteten himmlisch. Vincent hatte ein Sandwich bestellt, ich konnte nur Käse darauf erkennen.

"Ein Käsesandwisch zum Frühstück?" Ich lachte. So etwas hatte ich noch nie jemanden zum Frühstück essen sehen.

"Das gibt es bei mir öfters Mal. Vor allem nachdem ich Drogen genommen habe." Er sagte es so monoton, als wäre diese Aussage etwas ganz normales.

Ich war baff und wusste erstmal nicht, wie ich antworten sollte.

Vincent kam mir zuvor. "Jetzt haben wir beide was über uns erzählt. Du, was du an deinem Zuhause toll fandst und ich, was ich gerne nach Abstürzen esse." Er schmunzelte und ich tat es ihm nach. "Ich will, das du weißt, dass du mir vertrauen kannst."

Wenn ich das nur könnte. Aber es war schwer, jemandem zu vertrauen, den man nicht verstand. Vielleicht beruhte sein ganzes Interesse an mir darauf, dass er mich in der Schule bloßstellen wollte. Menschen wie er hatten nichts anderes im Sinn, soweit ich es in Erfahrung gebracht hatte.

"Ich kann Menschen nicht so einfach vertrauen", erklärte ich und aß ein kleines Stück von meinem Pfannkuchen. "Und bevor du fragst, das hat mit meiner Vergangenheit zutun und ich möchte nicht darüber reden."

Nachdem ich das gesagt hatte, schwiegen wir eine ganze Weile. Irgendwann piepte mein Handy. Ich zog es aus meiner Tasche und las eine Nachricht von Hannah, die an Charlotte und mich ging. Sie wollte sich heute Abend treffen, wir müssten wohl über viele Dinge reden, hatte sie gesagt. Ich schlug schnell vor, dass sie einfach ins Hotel kamen, das war das Einfachste. Danach steckte ich mein Handy wieder in die Tasche.

"Wenn du nett bist, könntest du mich nachher bei dem kleinen Laden in der Nähe des Hotels rauslassen. Ich soll noch für meine Mutter etwas einkaufen", bat ich ihn.

Er nickte nur, weil er noch den Mund voll hatte. Sein Sandwich schien er zu genießen und es war wirklich lustig, ihm beim Essen zuzusehen. Der halbe Käse hing ihm noch aus dem Mund heraus.

Nachdem wir beide aufgegessen hatten, musste ich nur noch meine heiße Schokolade austrinken. Das dauerte ein wenig länger, da ich mir beim ersten Schluck die Zunge verbrannt hatte. Nun tat es höllisch weh und ich musste bei jedem Schluck extrem vorsichtig sein.

"Kann ich heute noch ein Detail aus dir herausquetschen?", wollte er wissen. "Immerhin fahre ich dich zum einkaufen." Er nahm seinen Teller und meinen Teller um sie aufeinander zu stellen. Dann kam auch schon der Kellner, um diese schon mitzunehmen. Außer uns befand sich immer noch kein anderer Gast im Café. "Ich würde dann auch gerne zahlen", sagte Vincent zu dem Kellner, der ihm zunickte.

"Ich weiß nicht ob du das kannst. Kommt darauf an, was du wissen willst", sagte ich und öffnete meine Tasche, um meine Portmonee herauszuholen. Es war weiß, mit ein paar kleinen Glitzersteinchen. Es war eher ein Kinderportmonee als eins für Erwachsene, aber ich hatte es damals von meiner Oma bekommen, bevor sie gestorben war. Ich konnte es nicht austauschen.

Vincent schüttelte mit dem Kopf und deutete auf das Portmonee. "Pack das bloß wieder weg. Ich mach das." Der Kellner kam wieder und Vincent gab ihm das Geld.

"Danke", murmelte ich. Ich war wirklich dankbar. Schon lange hatte mich niemand mehr zum Essen eingeladen.

Vincent beugte sich ein wenig über den Tisch zu mir herüber. Komischerweise bereitete mir dies keine Panik. Ich fühlte mich eher zum ihm hingezogen, rührte mich aber nicht vom Fleck. "Dann möchte ich jetzt wissen, ob ich eine Chance bei dir habe."

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