"Was ist denn mit dir passiert?", fragte meine Mutter, als ich die Tür hinter mir zugeschlagen hatte. Ich wollte nicht mehr an Vincent denken, er war ein Idiot. Doch ich konnte meine Mutter auch nicht anlügen. Ich beschloss, nichts dazu zu sagen.
"Es ist egal, frag lieber nicht", murmelte ich und ging geradewegs in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir ab, setzte mich auf mein Bett und starrte gegen die leere Wand. Ich wusste immer noch, dass ich nichts falsch gemacht hatte und doch fühlte ich mich schrecklich. Er war der, der den Fehler gemacht hatte. Er hatte miese Dinge gesagt, die man zu niemandem auf der Welt sagen durfte. Und doch konnte ich ihn nicht aus meinen Gedanken verbannen. Etwas nasses lief über mein Gesicht, doch ich machte mir gar nicht erst die Mühe, es überhaupt wegzuwischen.
So ging es tagelang weiter. Ich mied es, nach draußen zu gehen und bereitete einfach Sachen für das neue Schuljahr vor. Meine Mutter erzählte mir zwischendurch, dass Josh und sein Vater bereits nicht mehr im Hotel waren, doch ich hörte nur mit einem Ohr zu. Vincent meldete sich nicht bei mir und das tat mir weh. Meine Mutter fragte gar nicht erst nach ihm, sie wusste dass ich keine Ahnung hatte, wo er sich aufhielt. Und genauso wenig wollte sie mich damit belasten.
Also saß ich weinend vor meinen Ordnern, gestaltete Deckblätter, Inhaltsverzeichnisse und alles andere Mögliche, was ich nicht brauchte, nur um mich abzulenken. Doch ich schaffte es nicht. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, zu ihm. Ich wollte wissen wo er war, was er machte und ob er noch sauer war und ob es ihm leid tat. Doch so schnell würde ich keine Antworten auf meine Fragen bekommen und damit musste ich mich abfinden.
Auch am ersten Schultag war er nicht aufgetaucht. Meine Mutter hatte sich freigenommen und mich gefahren. "Für die nächsten Tage müssen wir aber eine andere Lösung finden, Schatz", hatte sie gesagt, als ich aus dem Auto gestiegen war. Ich glaube, sie hatte mir auch viel Spaß gewünscht, nur den würde ich eh nicht haben.
Ich schlug die Autotür zu und ging in die Eingangshalle, wo Hannah, Charlotte und ich uns immer trafen und wie immer waren sie auch schon dort. Beide hatte ich seit unserem Gespräch an der Bar nicht mehr gesehen, geschweige denn ihnen geschrieben oder sonstiges. Zur Begrüßung nahmen wir uns kurz in den Arm und ich hörte nur ein "Wie geht es dir?", von einer der Beiden, doch ich war zu sehr in meinen Gedanken versunken. Ich starrte die Tür, die nach draußen führte, an und wartete darauf, dass Vincent und seine Freunde hereinkamen, doch es passierte nichts.
"Sofia!", riss Hannah mich aus meinen Gedanken. Traurig sah ich zu ihr herüber. Es kränkte mich so sehr, dass er auch heute nicht auftauchen würde. Ich vermisste ihn, egal was er gesagt hatte. Doch genauso gut wusste ich, dass unsere Beziehung so nicht funktionieren konnte und das wusste ich auch schon, als ich mich darauf eingelassen hatte. Ich hätte es einfach niemals tun dürfen.
Charlotte beäugte mich ein wenig verzweifelt. Sie wusste nicht, wie oder was sie zu mir sagen sollte. Aus ihrem Mund kam nur: "Hannah hat dich gefragt, wie es dir geht."
"Gut", murmelte ich und natürlich war den Beiden klar, dass es gelogen war. Also sagte ich noch: "Er ist immer noch nicht wieder da."
"Wer?", fragte Charlotte als wäre sie zu blöd und Hannah stieß ihr genervt in die Seite.
"Na, Vincent natürlich!", fauchte sie Charlotte an. "Hast du denn gar nichts von ihm gehört?"
Ich schüttelte nur den Kopf. Es wäre zu schön, wenn er mir auch nur irgendetwas gesagt hätte oder angerufen hätte oder sonstiges, aber das war wohl nicht seine Art. Einfach verschwinden und nicht wieder auftauchen passte da besser zu jemandem wie ihm und das hatte ich ja sowieso schon einmal erlebt. Ich hätte mich darauf einstellen können.
"Der Typ ist es sowieso nicht wert", plapperte Charlotte und erntete daraufhin nur eine bösen Blick von ihrer Freundin. "Also bei mir und Hank läuft es ganz gut. Also, ich würde es jetzt nicht als laufen bezeichnen aber wir reden hin und wieder." Hannahs Blick verdunkelte sich, bis Charlotte verstand, dass sie lieber ihre Klappe halten sollte, bevor Hannah sie umbrachte. Charlotte meinte es wahrscheinlich nur gut, doch es half mir wirklich nicht, wenn ich mir nun auch noch ihre Romanze anhören musste. Mein Herz war zu verletzt für so etwas.
Im nächsten Moment klingelte es auch schon und ich war von diesem Gespräch befreit. Am Anfang des Schuljahres hatte jede Klasse immer eine Einführung, die im Klassenraum stattfand. Ich saß fast ganz hinten und hörte nicht wirklich zu, als meine Lehrerin uns begrüßte und erzählte, wie schön sie es fand uns nach den Ferien endlich wieder zu sehen.
Mein Herz übertönte alles, obwohl es nur still war. Es klopfte nicht wirklich, aber die Schmerzen verursachten eine merkwürdiges Geräusch in meinem Kopf, was meinen Tag nicht verbesserte. Egal wie viel ich trank, aß oder versuchte, mich auf andere Dinge zu konzentrieren, es half nichts. Meine Augen suchten immer noch nach ihm und langsam begann ich mir Sorgen zu machen.
"Ich habe gehört, er hat eine Neue", hatte ich Camille sagen gehört, als wir in der Pause an ihr vorbei gegangen waren. "Vielleicht ist sie so schlimm, dass er sich nun nicht mehr heraustraut", hatte sie noch gelacht. Auch das motivierte mich nicht mehr, diesen Tag fortzuführen. Camille war ein Monster. Wahrscheinlich war es ihr genaustens klar gewesen, dass es sich um mich handelte. Sie wollte mir doch bloß eins auswischen.
"Habt ihr das mit der Party schon gelesen?", fragte Charlotte uns, als wir uns auf eine Treppe auf dem Pausenhof setzten.
Hannah schüttelte den Kopf. "Was denn bitte für eine Party? Und wann, wie, wo soll sie sein?" Hannah wollte immer so ziemlich alles über Partys wissen, vor allem wenn Charlotte vor hatte hinzugehen. Sie war wie eine Mutter, die auf ihre Tochter aufpassen musste. Vermutlich erinnerte sie mich einfach nur stark an meine eigene Mutter.
"Einer von Hanks Freunden hat es vorhin gepostet. Am Freitag, bei ihm. Sie soll für den Schuljahresanfang sein", plapperte sie. "Doch wir wissen ja alle, dass es nichts mit der Schule zutun haben wird. Seid ihr dabei?"
Nach einer kurzen Überlegung hellte sich mein Gesicht auf. Ich war zwar überhaupt nicht in der Stimmung für diese Party, doch das letzte Mal war Vincent auch auf einer aufgetaucht. Vielleicht würde er es dieses Mal wieder so tun. Freitag war zwar noch ein wenig hin, aber es war eine Chance Wert.
"Ja!", sagte ich plötzlich ganz enthusiastisch und erntete dafür zwei komische Blicke.
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Why
RomansaSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...