Kapitel 23

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"Ich kann nicht einschätzen, ob du der Richtige für mich bist, Vincent. Es ist alles so kompliziert. Ich weiß doch nicht einmal, wem ich vertrauen kann und wem nicht."

"Du scheinst immerhin keine Angst zu haben, mit mir alleine in einem Raum zu sein", stellte er fest.

Mein Blick war an der Tür festgefrohren. Ich wollte mich umdrehen, um ihn zu sehen, doch es ging nicht. Ich wollte nicht, dass er mein verheultes Gesicht sah. Er hatte in dieser Nacht schon zu viel von meiner Schwäche gesehen. "Nein, habe ich nicht", gab ich kleinlaut zu. Ich schien im wirklich zu vertrauen, sonst hätte in meinem Körper schon längst der Fluchtinstinkt angeschlagen, aber war es auch richtig so?

"Ich will dich zu nichts zwingen."

Mit meinem Ärmel wischte ich mir einmal durchs Gesicht. "Ich denke darüber nach... Holst du mich morgen zum Frühstück ab? Dann reden wir", schlug ich vor.

"Ja, schlaf gut", sagte er nur noch.

Dann machte ich schon die Tür auf und stand im Flur. Es war dunkel, nur noch ein paar Lampen leuchteten. In der Lobby war es dann wirklich stockduster, nur das Mondlicht fiel wie immer in den Raum. Ich beeilte mich, denn ich wollte so von keinem anderen Menschen gesehen werden. Es war mir viel zu peinlich. Circa zwei Minuten später stand ich vor dem Zimmer von mir und meiner Mutter und hielt die Schlüsselkarte vor das Schloss. Mit einem leisen Brummen öffnete sich das Schloss und ich drückte die Tür auf. Zu meiner Verwunderung saß meine Mutter mit ihrem Handy am Ohr auf dem Sofa und lachte. Als sie mich sah, zogen sich ihre Mundwinkel schlagartig nach unten.

"Hey, ich muss auflegen, wir sehen uns dann morgen", sagte sie. "Ja, ja ich werde sie fragen", fügte sie noch hinzu, bevor sie ihr Handy auf den Tisch legte. "Süße, was ist denn passiert?"

Ich stand immer noch vor der Tür, wie als ich hereingekommen bin. "Ich habe über die Sache geredet", antwortete ich.

Sie zog eine Augenbraue hoch. "Wie haben sie es aufgenommen?", wollte sie wissen und meinte damit ganz sicher Hannah und Charlotte.

"So wie man es aufnehmen kann. Aber was ich eigentlich sagen wollte ist...", ich stockte. War es richtig ihr von Vincent zu erzählen? Ja, das war es ganz sicher. Denn sie war die Person, die mich im Notfall beschützen würde. Aber das konnte sie nur tun, wenn sie bescheid wusste. "Ich habe mit einem Jungen darüber geredet."

Ich konnte ihren Ausdruck nicht richtig deuten. Es sah überrascht, aber auch glücklich aus und doch fand man eine Art von Schmerz. "Und... Wie hat er es aufgenommen?"

"Besser, als ich dachte", fügte ich hinzu. Mehr wollte ich nicht sagen, weswegen ich vom Thema ablenkte. "Wer war das da gerade, am Telefon?"

Meine Mutter zögerte und wurde rot, aber doch antwortete sie mir schließlich. "Setz dich", sagte sie und klopfte auf das Sofa. Ich setze mich direkt neben sie und wischte noch einmal durch mein Gesicht, um den Rest der Tränen und meine Müdigkeit loszuwerden. "Du weißt ja, dass ich wieder jemanden date", sagte sie. Ich nickte nur. "Er und haben beschlossen, dass es Zeit wird, dass du ihn kennenlernst. Und bitte fall jetzt nicht aus allen Wolken, aber er hat auch einen Sohn..." Sie sah mich wartend an. Wahrscheinlich wollte sie meine Reaktion sehen, aber ich wusste ja schön längst, dass es der Vater von Josh war. Eigentlich war ich ziemlich genervt, aber ich wollte meiner Mutter nicht die Laune verderben, also hielt ich mich zurück. Aber ich wollte genauso wenig Zeit mit Josh verbringen, vor allem nicht seit dem Lesley mein angebliches Geheimnis ausgeplaudert hatte.

"Das bedeutet also...?", fragte ich nur. Denn wie sollte ich ihn kennenlernen? Hoffentlich bei einer Fahrt mit der Achterbahn, da musste man sich nicht unterhalten.

"Das bedeutet, dass er uns morgen Abend zum Essen eingeladen hat, mit ihm, seinem Sohn und auch der neuen Freundin von deinem Sohn", antwortete sie mir.

Mir klappte die Kinnlade herunter. Was wollte sie damit sagen? Lesley würde auch mitkommen? "Ich bringe auch jemanden mit", sagte ich stumpf, als ich wieder ein paar Worte herausbekam. Vincent würde mich schützen, ganz sicher. Außerdem war er ungefähr so schlagfertig wie Lesley, was ich nicht gerade war. Ihr gegenüber würde ich meinen Mund nicht aufbekommen, das war noch eine Angewohnheit von früher, als ich ihr im Prinzip nur hinterher gelaufen war. Zu jedem konnte ich ein Biest sein, nur bei ihre würde das nicht klappen.

"Den Jungen?", erkundigte sich meine Mutter, doch sie redete schon weiter, bevor ich antworten konnte. "Das finde ich ja schön. Dann geh mal lieber schlafen, damit du morgen Abend fit bist", murmelte sie, denn sie schlief selbst fast ein.

Dann stand ich also auf und murmelte nur noch: "Gute Nacht" und spazierte in mein Zimmer. Meine Klamotten streifte ich mir mit einer Leichtigkeit vom Körper und zog mir mein Nachthemd an. Ich setzte mich vor den Spiegel und starrte einfach nur mein verheultes Gesicht an. Nach einer Weile spürte ich ein Gefühl wie Stolz, denn ich hatte heute all meinen Mut zusammengenommen und gleich mehreren Personen von meiner Vergangenheit erzählt. Und zwar richtig, nicht nur stückchenweise und bröckelhaft. Aber die Angst in mir blieb nicht aus. Wie würde das Treffen morgen enden? Würde Lesley mich vor dem neuen Freund meiner Mutter zur Schnecke machen, so dass ich heulend davon lief? Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht, dass meine Vergangenheit nun auch noch das Glück meiner Mutter zerstörte. Nur eins war mir durch diese blöde Situation klar geworden, nämlich das ich Vincent dabei haben wollte. Nicht nur, um mich zu beschützen, sondern weil ich mich in seiner Nähe allgemein sicherer fühlte. Ich würde Vincent die Chance weiterhin geben. Mir war egal, dass er mit Drogen dealte oder was er sonst noch so tat. Er hatte seine Gründe und ich würde herausfinden, welches diese waren. Jeder Mensch machte Fehler, ich hatte auch welche gemacht. Ich würde sagen, ich hatte mich verliebt...

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