Als ich aufstand, saß meine Mutter schon am Küchentisch. Sie schien ein Müsli zu löffeln und dabei tief in ihren Gedanken versunken zu sein.
"Guten Morgen", murmelte ich und zog den Stuhl nach hinten, um mich ihr gegenüber hin zu setzen.
Sie schaute auf, räusperte sich und begrüßte mich zurück. Danach bekam ich ein: "Wir müssen über etwas reden", was nichts gutes bedeuten konnte. Sie legte den Löffel in die Schüssel, wobei er in die Milch rutschte. "Ach, Mist", stöhnte sie auf und fischte den Löffel wieder heraus. Allem Anschein nach war sie genauso nervös, wie ich es jetzt war.
"Dann musst du auch reden", erinnerte ich sie, da sie mich neugierig gemacht hatte.
"Okay, okay", redete sie vor sich hin und blickte wieder in ihr Müsli. Dann sah sie zu mir auf. "Ich habe einen Mann kennengelernt", platzte es aus ihr heraus.
Unwillkürlich begann ich an zu lachen.
"Was?", fragte sie mich fast schon beleidigt.
"Ich dachte, du erzählst mir, wir müssen wieder umziehen oder so und dann kommst du mit so etwas." Während ich das Aussprach, konnte ich immer noch nicht aufhören zu lachen. Was komisch war ist, dass ich keine Angst vor Männern in ihrem Alter hatte. Sie war immerhin fast fünfzig und es gab bis jetzt keine einzige Situation, in der ich mich von solch einem Mann bedrängt gefühlt hatte.
"Also ist das okay für dich? Ich meine, ich werde dann bestimmt mal abends ausgehen. Besser gesagt, eigentlich hatte ich schon vor, heute Abend auszugehen."
Ich nickte. "Alles vollkommen okay. Heute Abend habe ich sowieso Gesellschaft", erklärte ich ihr, denn Hannah und Charlotte hatten sich vorhin bei mir angemeldet. Allerdings blieben sie nicht über Nacht. Meine Mutter wusste auch ohne zu reden, über wen ich sprach, da ich hier keine anderen Freunde als die Beiden hatte. Und auf die Idee, Jungs mit hierher zu nehmen, würde ich sowieso nie kommen.
"Dann bin ich ja beruhigt", lächelte sie.
Nach dem Frühstück beschloss ich einen kleine Spaziergang zu machen, ehe meine Freundinnen kommen würden. Ich spazierte die Strandpromenade entlang und schaute primitiv auf das klare Meerwasser. Würde ich näher herangehen, könnte ich wahrscheinlich ein paar Fische sehen. Im Moment hatte ich jedoch keine Lust auf den heißen Sand.
Plötzlich prallte ich gegen etwas hartes, glattes. "Du hast echt ein Faible dafür, Jungs körperlich wehzutun, oder?"
Überrascht blickte ich auf und entfernte mich währenddessen mit einem riesigen Schritt nach hinten von ihm. Ich konnte spüren, wie Blut in mein Gesicht lief. Ich blickte wieder in seine schönen grünen Augen und konnte mich nicht lösen, bis ich beschloss, seinen Körper abzuscannen. Das harte, gegen dass ich gelaufen war, war sein Waschbrettbauch gewesen.
Folgend rüttelte ich mich selbst aus meiner Trance, da die Stimme in meinem Kopf mich erinnert hatte, wie peinlich die Situation sowieso schon war. "Sorry, ich hab irgendwie nur auf das Wasser geachtet", antwortete ich so selbstbewusst klingend wie möglich.
"Eigentlich ist es sogar ganz gut, dass wir uns hier treffen", erklärte er mir. "Wir müssten mal reden." Nicht noch so einer, dachte ich mir, lächelte ihn aber weiter an.
"Schieß los." Vielleicht wurde es genauso schlimm, wie die Geschichte meiner Mutter. Aber vielleicht, hatte er sich auch überlegt, dass das Essen gestern total mies gelaufen ist, er mein Verhalten für die Tonne fand und ich aus seinem Leben verschwinden sollte. Meine Knie begannen zu zittern, ohne dass ich sie aufhalten konnte.
"Ich hab dich angelogen", verkündete Josh ganz kleinlaut.
"Worüber?" Ich war nicht mehr so besorgt wie noch vor einigen Sekunden, denn anscheinend hatte er etwas falsch gemacht und nicht ich.
"Ich bin nicht mit meinen Eltern hier. Aber darum geht's auch eigentlich gar nicht. Also irgendwie schon... Das alles ist ein bisschen komisch. Können wir uns bitte setzen?", flutete es aus ihm heraus und er deutete auf eine Bank an der Promenade.
Ich schritt darauf zu und setzte mich. Er tat es mir nach, hielt dabei aber auch einen sehr guten Abstand zu mir ein, was ich ziemlich respektvoll von ihm fand. Hoffentlich zerstörte er meine Meinung über ihn jetzt nicht.
"Ich bin nur mit meinem Vater hier. Meine Eltern haben sich vor einem halben Jahr getrennt und irgendwie ist mir das peinlich gewesen", gab er zu.
"Aber wieso ist dir das denn peinlich? Ich habe doch auch nur eine Mutter", erklärte ich ihm und versuche ihn aufzuheitern. Meine Meinung musste sich wohl doch nicht ändern. Ich meine, dass war so ein kleines Vergehen, dass es nicht zählte. Immerhin konnten wir noch gar nicht so viel übereinander wissen.
"Das konnte ich ja noch nicht wissen", bestätigte er meine Gedanken jetzt. "Ich hoffe du verzeihst mir. Wie gesagt, es war mir peinlich, wieso auch immer. Ich dachte, du hättest hier das perfekte Leben in einem Luxushotel."
"Das perfekte Leben habe ich leider nicht, wie du sicherlich bemerkt hast, aber natürlich verzeihe ich dir."
"Danke. Das war eigentlich auch nur eine Nebensache. Es wird noch viel komischer", fing Josh an und brachte damit wieder meine Knie zum zittern. Langsam konnte ich eins und eins zusammenzählen, wusste jedoch nicht ob ich wirklich wollte, dass meine Theorie wahr war.
Josh schien mich auf die Folter spannen zu wollen, denn er sagte danach kein Wort. Es sah so aus, als wenn er versuchte einen dicken Kloß aus seinem Hals herunterzuschlucken. Nach einer Zeit begann ich wieder auf das Wasser zu sehen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, ich würde ihn drängen.
"Ich will eigentlich nichts zwischen uns kaputt machen", sagte er. "Also ich weiß, da ist noch nicht so viel und wir kennen uns noch nicht lange, aber ich mag dich. Auch immer noch nachdem, was da beim Essen passiert ist."
"Josh, jetzt sag mir bitte einfach was los ist", unterbrach ich sein schnulziges Gerede. Langsam war mir die Sache viel zu ernst.
"Ich glaube, mein Vater wird mit deiner Mutter ausgehen. Heute Abend."
Ich brauchte einen sehr langen Augenblick, um seine Worte auf mich wirken zu lassen. Die Geschichte die er mir erzählte, erschien mir durchaus wahr. Genau diese Theorie hatte ich mir während unseres Gesprächs in meinem Kopf ausgemalt. Aber ich wollte nicht, dass dies wahr war. Josh war der erste gewesen, den ich seit langem wieder, wenn auch nur ein kleines bisschen, an mich heran gelassen hatte und nun machte das Schicksal mir alles zunichte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Es ist doch komisch, wenn wir miteinander ausgehen, während unsere Eltern das Gleiche tun. Sollten wir etwa auf Doppeldates gehen? Was hatte sich das Schicksal dabei gedacht? Was sollte das? Wieso passierte so etwas ausgerechnet mir?
"Tut mir leid, aber ich muss das erstmal verdauen", sagte ich und stand von der Bank auf.
"Das kann ich verstehen. Ich hoffe immer noch, du schreibst mir. So etwas sollte nicht zwischen uns stehen."
Das tut es aber, Josh.

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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...