Kapitel 5

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Seit dem Gespräch mit Camille sind nun zwei Monate vergangen. Die Sommerferien hatten begonnen und ich genoss diese in vollen Zügen. Manchmal sah ich Camille im Hotel herumlaufen, was wohl wegen Vincent war, aber ich machte mir da nicht viele Gedanken drüber.

Vincent und ich gingen uns aus dem Weg. Die Situation zwischen uns war noch komischer als sonst, seitdem ich das eine Mal aus dem Auto gestiegen war.

Als ich auf einer Liege am Pool lag und mich sonnte, spürte ich plötzlich etwas kaltes auf mir. Ich erschrak mich fast zu Tode, genau wie mein Körper, der bei der Berührung mit der kalten Flüssigkeit zusammenzuckte, was sehr unangenehm war. Ich öffnete meine Augen und vor mir stand ein braun gebrannter Kerl, in meinem Alter.

"Oh man, tut mir echt leid", sagte er und kramte ein Tuch aus seiner Hosentasche. Wahrscheinlich der Serviette, die er zum Getränk dazu bekommen hatte.

"Schon gut", antwortete ich und richtete mich auf. "War ja nur Wasser", stellte ich fest, als ich die durchsichtige Flüssigkeit in seinem Glas sah.

Er reichte mir das Tuch und sah mich schon so an, als wenn er mir gleich eine Frage stellen wollte. "Wie lange machst du noch Urlaub hier?"

"Ich wohne hier", sagte ich, während ich mir das Wasser mit der Serviette vom Bauch wischte.

"Wie?" Er schien eindeutig verwirrt zu sein.

Ich lachte. Natürlich war so etwas für ihn nicht so selbstverständlich wie für mich.

"Du meinst, du wohnst auf dieser Insel? Das tu ich auch", sagte er, nachdem ich ihm keine Antwort gegeben hatte.

"Nein, ich wohne hier in diesem Hotel. Meine Mutter arbeitet hier", sagte ich und musste lächeln, weil er nicht gleich sein Gesicht verzog. Eigentlich dachte ich, andere würden es abstoßend finden, wenn sie erfuhren, dass ich eigentlich gar nicht genug Geld hatte, um hier zu sein.

"Das ist ziemlich Interessant." Er lächelte nun auch und setzte sich auf die Liege neben mir. "Ich bin Josh."

Er wollte mir die Hand reichen. Ich starrte diese kurz an und sagte dann einfach nur: "Ich bin Sofia."

Dann zog er seine Hand auch schon weg und man konnte keines Wegs erkennen, ob ihm es etwas ausgemacht hat, dass ich ihm nicht die Hand gegeben hatte.

"Hast du denn Lust, mal etwas mit mir im Hotelrestaurant essen zu gehen?", erkundigte er sich jetzt.

"Ich weiß nicht", sagte ich kleinlaut. Das letzte Mal als ich mit jemandem ausgegangen bin, den ich zu wenig kannte, hatte es mein Leben ruiniert.

Du musst dich was trauen, hatte meine Therapeutin gesagt. Leb einfach dein Leben und lass nicht zu, dass dieser Typ es dir kaputt macht. Ich weiß, es ist nicht einfach und eventuell, wird es nie wieder einfach sein, aber es ist dein Leben und nicht sein. Lass nicht zu, dass er gewinnt.

"Ja, okay. Aber ich möchte die ganze Zeit irgendwo sein, wo andere Menschen sind", brachte ich zur Sprache. Entweder er akzeptierte das, oder nicht.

"Hat das einen bestimmten Grund, oder sollte ich lieber nicht fragen?", wollte Josh von mir wissen.

Ich schüttelte den Kopf. "Lieber nicht fragen."

"Okay, dann werde ich dich heute Abend abholen."

"Wir treffen uns in der Lobby, das ist mir lieber", sagte ich und fragte mich langsam, ob ich ihn gleich mit meinen ganzen Wünschen vergraulte.

Er nickte und stand auf. Dabei grinste er noch einmal so sehr, dass man seine gebleichten Zähne sehen konnte. Dann ging er weg.

"Du weißt schon, dass er das Wasser mit Absicht über dich geschüttet hat?", hörte ich Vincents Stimme und zuckte erneut zusammen.

Als ich mich umdrehte sah ich ihn dort stehen, in einer Bademeisteruniform. Gleich darauf brach ich in Lachen aus, auch wenn man durch das Shirt perfekt seinen durchtrainierten Körper sehen konnte.

Ich zuckte mit den Schultern. "Und wenn schon. Er ist nett. Außerdem, woher willst du das überhaupt wissen?"

Er beobachtet dich.

"Beobachtest du mich etwa?", fügte ich also hinzu, um meine innere Stimme ruhig zu stellen.

"Das ist als Bademeister ja wohl meine Aufgabe. Du hättest ertrinken können", sagte er, ganz monoton. Diese Aussage waren mir, auch ohne hohe oder tiefe Laute, Einblick genug in seine Seele.

"Vincent, geh doch einfach wieder arbeiten, wieso auch immer du reicher Schnösel das tust", nörgelte ich vor mich hin und Schloss wieder meine Augen um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich eigentlich doch ein wenig Gesellschaft nötig hatte. Aber die würde ich nun heute Abend bekommen.

Ich spürte, dass Vincent nicht wegging und konnte mich aufgrund dessen nicht ganz entspannen. Als ich meine Augen wieder öffnete, saß er auch auf der Liege neben mir, auf der eben gerade noch Josh gesessen hatte.

"Du hast nie wieder über das geredet, was im Auto passiert ist." Natürlich musste er das Thema zur Sprache bringen. Was hatte ich bloß erwartet.

"Schon mal darüber nachgedacht, wieso? Alles hat einen Grund, Vincent", murmelte ich genervt und richtete meinen Blick lieber auf die planschenden Kinder, als ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken.

"Er durfte dich auch nicht anfassen", stellte er fest und bezog dies eindeutig auf Josh und wie ich ihm nicht die Hand gegeben hatte.

Ich zuckte mit den Schultern. "Man muss ja auch nicht jeden Fremden direkt antatschen-"

"Aber mit ihm ausgehen?", unterbrach er mich.

"Das geht dich einen Dreck an. Und du hast mich nicht zu belauschen, Vincent."

"Ich hab von meinem Vater immer noch den Auftrag, auf dich aufzupassen." Wieso mussten unsere Eltern bloß befreundet sein?

"Es ist nicht mehr der erste Schultag und ich bin schon lange nicht mehr neu hier", gab ich Vincent zu verstehen. "Kümmer du dich lieber um Camille. Die rennt hier ja so gerne durch die Gegend. Du solltest mehr bei ihr sein." Ohne zu gucken, was ich mit meinen Worten bei ihm auslöste, stand ich auf, griff mein Handtuch, richtete meine Klamotten, die immer noch nass waren und machte mich auf und davon.

Auf meinem Zimmer war es schön kühl und ich schmiss mich direkt auf mein Bett. Vor meinen Augen spielte sich schon mein heutiges Date ab. In guten und schlechten Ausführungen. Aber was sollte schon groß passieren? Immerhin werde ich immer in der Nähe anderer Leute sein. Er konnte mir nichts anhaben. Und wenn doch, dann hatte ich ein Leben voller Pech und einen Grund weniger, auf dieser Welt zu sein.

Aber ich hatte mir vorgenommen, es zu versuchen, als würde ich es auch tun. Immerhin war der größte Schaden meines Lebens Monate her.

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