"Hey, sorry für die Verspätung", murmelte Vincent, als er auf mich zu gestolpert kam. Ich lag auf einer Liege am Pool, genoss die Sonne und wartete schon seit circa einer Stunde auf ihn. Er setzte sich auf die Liege neben mir und legte seine Beine hoch.
"War es so schwer einen Ersatzbademeister zu finden?", fragte ich. Allerdings glaubte ich nicht, dass das der Fall war, denn Vincents Gesicht war blass, als hätte er einen Geist gesehen.
Jedoch nickte er und ich war mir sicher, dass er log. Außerdem wies sein Tshirt einige Flecken auf, die nicht beim Frühstück entstanden waren. Doch ich beließ es bei seiner Lüge. "Joey, der Kellner macht es jetzt."
"Hab ich schon gesehen, er war früher da, als du", sagte ich stumpf. Komisch aber auch, fügte die nervige Stimme in meinem Kopf hinzu und ich war kurz davor, mich selbst zu schlagen. Ich wollte Vincent nicht mistrauen, jedoch war es schon komisch, dass er nur einen Ersatz finden wollte, der dann aber früher wieder kam als er.
Er verdrehte sichtlich die Augen. "Was soll das denn jetzt heißen?" Seine Augen funkelten dabei, doch ich machte mir nicht daraus. Wenn Vincent schon anfing zu lügen, war er vielleicht doch nicht der Richtige für mich. Aber ich konnte das nicht so geradeheraus sagen, denn ich würde ihn an diesem Abend brauchen. So mies es auch war ihn auszunutzen, es musste sein.
"Nichts, es war nur eine Feststellung", murmelte ich, schloss wieder meine Augen und drehte mein Gesicht nach oben zur Sonne. "Wie viel wollte er denn dafür haben?", wollte ich wissen, um abzulenken.
"Tatsächlich nur zwanzig. Er ist ein echt netter Typ, dafür schulde ich ihm aber noch einen Gefallen", redete er vor sich hin.
Ich überlegte kurz, ob ich diese Frage wirklich stellen sollte. "Was für einen Gefallen? Hat es etwas mit Drogen zu tun?" Joey war mir schon immer komisch vorgekommen und ich hatte ihn und Vincent des Öfteren zusammen gesehen. Sonst trieb Vincent sich nie mit Angestellten herum. Aber ich bekam keine Antwort. "Das sollte kein Vorwurf sein, lediglich eine Frage", erklärte ich ihm.
"Ich hab dir aber schon gesagt, dass ich dich da nicht mit reinziehen werde. Außerdem redet man über so etwas nicht am Pool. Erzähl mir lieber mehr über dich", faselte er. Er wollte gar nicht mit mir darüber reden, das war mir klar. Nicht am Pool und auch sonst nirgendwo. Aber nun wusste ich wenigstens, wieso er so dreckig war. Er hatte gedealt und das, obwohl wir verabredet waren.
Ich zuckte mit den Schultern. "Was soll ich denn noch erzählen?", fragte ich ihn, denn ich hatte kein Gesprächsthema parat.
"Was findest du an mir am attraktivsten?", fragte er mich dann geradeheraus, als wäre es eine normale Frage.
Ich zögerte, denn ich kannte die Antwort selbst nicht. "Dein Lächeln", gab ich also nur zurück, obwohl es wahrscheinlich gelogen war. Denn auf eine komische Art fühlte ich mich hingezogen zu ihm und auch zu seinem Körper, aber das konnte ich nicht so sagen. Vielleicht würde er es falsch aufnehmen oder vielleicht würde er mir das Herz brechen. Man musste vorsichtig bei solchen Jungs sein, vor allem wenn sie einem Dinge verheimlichten. "Wenn du wüsstest, dass heute der letzte Tag deines Lebens wäre, was würdest du alles tun?"
Auch er zögerte. So nachdenklich wie in diesem Moment hatte ich ihn noch nie gesehen. Doch dann öffnete er den Mund. "Ich würde mich bei allen entschuldigen, denen ich je weh getan habe, ob körperlich oder innerlich. Und ich würde Bungee Jumpen gehen, alleine. Das wollte mein Vater immer mit mir machen, als ich klein war, er hat es aber natürlich nie getan."
Wieder schloss ich meine Augen. "Das tut mir leid für dich."
"Braucht es nicht, nur manchmal wünsche ich mir ein wenig mehr Aufmerksamkeit von ihm", gab er zu und es war schön, diese Seite von ihm näher kennenzulernen. Ich hatte nicht gewusst, dass er seine Gefühle so offen zeigen konnte. Vor allem nicht, wenn man ihn durch die Schulflure gehen sah, wie er mit seinen Freunden über andere lachte. Vorher war er angsteinflößend gewesen. "Welche Lügen erzählst du dir selbst immer wieder?", erkundigte er sich nun und ich lief rot an.
"Einige", gab ich zu. "Ich glaube die größte ist, dass es normal oder nicht schlimm wäre, was mir passiert ist."
"Das ist eine ziemlich große Lüge", bestätigte er. "Ich glaube, das was dir passiert ist, ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann und es ist keineswegs normal, nur weil es anderen auch passiert. Aber trotzdem solltest du dich von so etwas nicht unterkriegen lassen, denn das ist genau das, was solche Menschen wollen. Ich bin immer für dich da", sagte er und mir schossen schon wieder Tränen in die Augen. Diese Worte waren schöner als jedes Ich liebe dich. Sie waren perfekt.
"Danke", flüsterte ich und ließ diese Worte noch einen Moment auf mich wirken. "Glaubst du, dass sich Menschen ändern können?", fragte ich ihn nun. Eigentlich war meine Frage eher, ob er seine Drogengeschäfte für mich verändern können, denn es störte mich. Ich hatte immer im Hinterkopf, was für ein Mensch er war, wenn ich nicht bei ihm war, aber diese Frage wollte ich nicht so direkt stellen.
"Es kommt darauf an, was genau du meinst. Sein Aussehen zu verändern ist leicht, zu Schauspielern auch. Aber ich denke, dass Menschen sich nur ändern, wenn sie es wirklich selbst wollen und nicht wenn jemand anderes es von ihnen verlangt."
"Sehr tiefgründig", gab ich zu. "Du bist dran."
"Ohne was könntest du niemals leben?"
"Meine Mutter." Bei dieser Frage musste ich nicht lange überlegen, denn sie war das wichtigste in meinem Leben.
"Wieso?"
"Weil sie alles mit mir durchgemacht hat. Sie war mehr da für mich, als jeder andere in meinem Leben und ich liebe sie. Sie würde überall mit mir hingehen, nur um mich zu schützen."
Vincent und ich saßen noch eine Ewigkeit so dort und stellten uns die komischsten Fragen, bis es Zeit wurde, sich für das Abendessen vorzubereiten. So langsam kam meine Aufregung zurück, meine Knie begannen zu zittern. Ich wusste immer noch nicht, was auf mich zukam, doch dass Vincent meine Hand hielt und dabei war, beruhigte mich und somit konnte ich mir auch seine Lüge vom Nachmittag aus dem Kopf schlagen.

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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...