"Ist das dahinten etwa Vincent?", schnatterte Hannah und starrte nur in eine Richtung.
Die Musik war so laut, dass ich sie gerade so ohne ein Hörgerät verstehen konnte.
"Natürlich ist er das. Wer sollte es denn sonst sein? Niemand anderes ist so heiß wie er", philosophierte Charlotte weiter.
Ich war kurz davor den Schluck Wasser, den ich gerade getrunken hatte, wieder auszuspucken. Vincent war alles, aber nicht heiß. Er war ein Idiot, und das muss man wissen, wenn man ihn so oft am Tag sieht, wie ich es tue.
"Alles okay, Sofia?", wandte Hannah sich an mich, weil sie meine Reaktion gesehen hatte.
Ich schüttelte den Kopf. "Ich kann einfach nicht fassen, dass ihr ihn immer noch toll findet", versuchte ich gegen die laute Musik anzureden. "Er ist ein Sexist", fügte ich hinzu.
"Gehst du damit nicht ein wenig zu weit?", wollte Charlotte wissen.
Ich sah sie entgeistert an. Ich wusste, dass Charlotte nicht die Schlauste war, aber das Vincent Frauenverachtend war, merkte man sofort.
"Nein", gab ich zurück. "Erst neulich hat er mich noch als Putzfrau betitelt. Nein, genau hat er gesagt: Putzfrauen sollten Dreck wegmachen und keinen neuen verursachen."
"Das ist schon ziemlich heftig", stimmte Hannah mir zum Glück zu.
Charlotte sah jedoch zu Boden, als wenn sie etwas falsch gemacht hätte.
In diesem Moment begann ein neuer Song, der uns aus unserem Gespräch holte. Charlotte sah wieder auf und ein kleines Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht.
"Wollen wir?", fragte Hannah und sah uns Beide an.
Bereitwillig stürmten wir auf die Tanzfläche und begannen zu tanzen.
*
Ich kam erst mitten in der Nacht in der Lobby des Hotels an, alleine. Meine hohen Schuhe hatte ich bereits ausgezogen, da meine Füße brannten wie Feuer. Charlotte, Hannah und ich hatten es zum Ende hin ein wenig mit dem Tanzen übertrieben, aber das hatte mich nicht davon abgehalten, zur abgemachten Zeit Zuhause zu sein. Meine Mutter wartete bestimmt immer noch auf dem Sofa auf mich, weil sie sich Sorgen machte. Das konnte ich ihr nach den Vorkommnissen in den letzten Jahren nicht verübeln.
"Es ist schon ganz schön spät."
Bei dem klang dieser tiefen Stimme zuckte ich zusammen. Es war eine Männerstimme, nicht die meiner Mutter und ich wusste ganz genau, wem sie gehörte. In der Mitte des Raumes saß eine Gestalt auf dem Sofa, die nur leicht vom Licht des Mondes beleuchtet wurde. Warum auch immer, wurden im Hotel nachts die Lichter ausgeschaltet.
"Ich komme nach Hause, wann ich will", gab ich zurück und wandte mich schon Richtung Ostflügel, um auf mein Zimmer zu gehen.
Er lachte leicht. "Du denkst immer noch, das Personal könnte sich verhalten, wie es will, oder?"
Ich verdrehte die Augen. "Ich dachte eigentlich, du wärst so schlau, dass du wüsstest, dass ich kein Personal bin. Und wenn ich es wäre, dann wäre ich ganz sicher nicht deins."
Wieder hörte ich sein giftiges Lachen.
Ich beschloss, mir diese Situation nicht länger anzutun. Vincent war einfach ein Idiot und die Sache, dass seinem Vater dieses Hotel gehörte, machte alles nicht besser.
Also setzte ich mich in Gang und Schritt selbstbewusst weiter in die Richtung meines Zimmers. Bei Vincent brauchte man keine Angst haben, dass er einem folgen würde. Dazu war er zu faul.
Verärgert hielt ich meine Schlüsselkarte dreimal vor die Zimmertür, bis es endlich klickte. Meine Mutter saß tatsächlich noch auf dem Sofa und hatte den Fernseher eingeschaltet.
"Da bist du ja", sagte sie erfreut und erhaschte einen Blick auf die Uhr, so wie ich im selben Moment. Es war kurz nach Mitternacht.
"Ich bin ein bisschen später als geplant, tut mir leid", sagte ich und ließ mich dabei neben sie auf das Sofa fallen.
"Ach Schätzchen, ist doch nicht schlimm. Wie war es denn?", wollte sie wissen.
Ich ließ kurz den Abend Resümee passieren, um einzugrenzen, was ich ihr erzählen konnte und was ich lieber sein lassen sollte. Die Geschichte mit Vincent ließ ich aus, so wie jedes Mal wenn er mich belästigte. Das würde meine Mutter nur verunsichern.
"Wir hatten viel Spaß", erzählte ich ihr, mehr hatte ich eigentlich nicht zu sagen, aber redete trotzdem weiter. Nicht, dass sie auf die Idee kam, ich würde ihr etwas verheimlichen. "Es waren viele aus unserer Schule da, so wie eigentlich immer. Ist ja auch logisch, weil es der einzige Club in der Stadt ist, der welche unter achtzehn reinlässt."
Sie nickte. "Aber ihr seid nur in eurer Dreiergruppe geblieben?" Mit dieser Frage wollte sie erforschen, ob auch Jungs dazu gekommen waren.
Dabei hatte ich alles wieder vor Augen. Ich war im Club gewesen, mit Freundinnen und dann war da dieser Typ, mein Ex, um genauer zu sein.
Im nächsten Moment kam mir ein wenig Galle hoch und ich sprang auf, um zur Toilette zu sprinten. Meine Mutter hätte sich auch denken können, dass wir alleine geblieben sind.
"Tut mir leid, Schätzchen", flüsterte sie, während sie nach meinen Haaren griff, damit sie nicht in der Toilette hingen.
"Ist schon gut, Mama", gab ich zurück und wischte mir, so ekelig es auch war, mit meinem Ärmel den Mund ab. Dann drückte ich die Spülung und ließ mich nach hinten auf den Boden plumpsen. Beim Spucken waren mir unbemerkt Tränen in die Augen gekommen.
"Nein, nichts ist gut. Ich verstehe ja, dass das zu deiner Therapie gehört, und du nicht für immer von solchen Orten entfernt bleiben kannst, aber ich habe Angst um dich", sagte sie, nachdem sie sich zu mir auf den Boden gesetzt hatte. Meine Mutter war wirklich der einfühlsamste Mensch auf Erden.
Ich sah sie bedrückt an. Ich wusste nach all der Zeit immer noch nicht, wie ich mich in solchen Situationen verhalten sollte. "Aber ich hatte Spaß, Mama."
"Das glaube ich dir ja, aber ich hatte Angst. So gerne ich dir etwas anderes sagen würde, es macht mir einfach nur Angst, dich alleine gehen zu lassen", erklärte sie mir.
Ich nickte. "Ich denke ich sollte schlafen gehen." Erschöpft rappelte ich mich auf und zog mir das Shirt über den Kopf. Ich lies es direkt dort liegen, weil ich keine Kraft mehr hatte, es weg zu befördern.
Meine nackten Füße tapsten über die Fliesen, als ich auf dem Weg in mein Zimmer war. Dort angekommen, schloss ich leise die Tür hinter mir und ließ mich einfach nur noch in mein Bett fallen. Ich war erschöpft. Für mich war diese ganze Angelegenheit nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch mental. Ich hatte zu viel erlebet, und noch zu wenig verarbeitet. Und das musste ich dringend ändern, um wieder richtig leben zu können...

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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...