Hannah saß immer noch mit offenen Mund dort und überlegte, wie sie es mir am besten beibringen konnte, doch das konnte sie nicht. "Sie hat gesagt, du wärst von Zuhause weggegangen, nachdem du etwas bestimmtes mit deinem Ex getan hast..." Hannah sah beschämt zu Boden, so als sei es ihre Schuld.
Ich versuchte gar nicht das zu leugnen. Irgendwie stimmte es ja schon, nur ich wollte heute nicht noch einmal über die Details nachdenken. Meine einzige Frage war: "Wem hat sie das gesagt?"
Charlotte fuchtelte wild mit den Händen. "Mir nicht, ich weiß es nur von Hannah" Na toll, also hatte sie es auch noch weiter erzählt. Allmählich würde mir ein wenig übel.
"Sie hat es vor mir und Josh rumposaunt, als sie meinte, wir müssten unbedingt etwas trinken", redete sie. "Aber keine Sorge, die Musik war so laut, es hat keiner sonst gehört."
"Das ist egal", sagte ich. "Josh weiß es, ihr wisst es, bald weiß es jeder..." Mir kamen die Tränen.
"Vielleicht solltest du uns einfach mal genau sagen, was los ist. Wir wissen, dass das nicht leicht ist, aber es würde dich erleichtern", klärte Charlotte mich auf. So einfühlsam wie an diesem Abend hatte ich sie noch nie erlebt. Dazu hatte es aber auch keine Gelegenheit gegeben. Sonst waren wir alle ziemlich munter.
"Ja, ich denke auch, dass das ein Schritt in die richtige Richtung wäre", gab Hannah ihr Recht und ich konnte nicht mehr.
So viel Tränen wie gerade waren mir schon lange nicht mehr über das Gesicht gelaufen. Ich wollte diesen Ort nicht verlassen müssen, also musste ich meine Version erzählen... "Ich hab-e-e n-i-i-cht mit i-hm ge-sch-la-a-fen", stammelte ich unter all dem Tränenfluss. Ein Wunder, dass ich überhaupt noch eine Stimme hatte, denn mein Hals fühlte sich unglaublich geschwollen an.
"Was ist dann passiert?", fragte Hannah nun und legte tröstend ihre Hand auf meine Schulter.
Auch Charlotte rückte näher an mich heran und ihr Blick war sehr aufmunternd.
"Er hat mich vergewaltigt", platzte es dann einfach aus mir heraus. Ich konnte es nicht mehr für mich behalten. Es gab deswegen viel zu viele Probleme in meinem Leben, wahrscheinlich mehr, wie als wenn ich damit offen umgehen würde. Vielleicht gab es eine Chance, dass ich von meiner Umwelt so besser verstanden wurde.
Doch Hannah und Charlotte sagten erst einmal gar nichts. Charlotte sah sehr erschrocken aus, als wenn sie diese Aussage nicht erwartet hatte. Hannahs Gesicht konnte ich nicht sehen, da sie direkt neben mir saß.
"Was genau meinst du damit, süße?", fragte Hannah, um sich auch ganz sicher zu sein. Ich konnte es ihr nicht verübeln, denn ich hätte sicher das selbe gefragt.
Also begann ich ihnen meine Geschichte zu erzählen. Anfangs flossen viele Tränen, doch irgendwann blieben sie einfach aus und ich hörte auf, zu stammeln, sondern begann zu reden. Ein Gefühl von Stärke machte sich in mir breit.
"Du tust mir so leid", sagte Charlotte und schmiss sich schon fast auf mich, um mich zu umarmen, als ich fertig erzählt hatte.
"Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", sagte Hannah erstarrt.
"Ihr müsst gar nichts sagen", murmelte ich. "Nicht zu mir und bitte auch zu niemandem anders. Das bleibt fürs erste unser Geheimnis."
"Ist niemand anders eingeweiht?", fragte Charlotte und schien sich dabei ganz wichtig zu fühlen. Sie mochte Geheimnisse, dass hatte ich schon gemerkt. Es schien ihr ein Gefühl von Kontrolle zu geben. So lange sie die Kontrolle nicht verlor, war das auch vollkommen okay.
"Meine Mutter", sagte ich. "Aber da gibt es jemanden, der gerne eingeweiht werden will", klärte ich sie auf und dabei machte sich ein Grinsen bei mir breit. "Nur ich weiß noch nicht, ob ich ihm es wirklich erzählen möchte."
"Wie ihm?", fragten sie beide gleichzeitig.
"Das bleibt lieber noch mein Geheimnis. Ich hab euch schon zu viel verraten." Die Beiden schienen das tatsächlich zu akzeptieren.
"Sorry für die Frage, aber was machen wir jetzt mit Lesley?", erkundigte sich Charlotte. Obwohl sie Lesley nie getroffen hatte, konnte ich Abscheu in ihren Augen erkennen. Das war wahre Freundschaft.
Ich dachte nach. Sie konnte ja nicht ewig bleiben, die Ferien in meiner alten Heimat müssten bald vergangen sein und dann wäre ich sie auf jeden Fall los. Unterbinden, dass sie etwas erzählte, konnte ich eh nicht, ich konnte nur gegenwirken. "Da möchte ich mir gerade keine Gedanken drum machen", antwortete ich also und es war ehrlich gemeint. Hannah und Charlotte kannten die Wahrheit und das war das Einzige was zählte. Wen sonst hätte ich zu verlieren?
Wir saßen noch lange dort und tratschten über alles. Selbst über die Zeit vor ihnen erzählte ich nun ein wenig, aber nur über die schönen Dinge. Der Rest war es nicht wert, über ihn nachzudenken. Gegen Mitternacht machten wir uns auf, zurück zum Hotel. Die Gäste mussten unser Gegacker durch die Wände hören können und ich stellte mich schon einmal innerlich auf eine Beschwerde wegen Ruhestörung ein. Als wir am Pool vorbeigingen, erblickte ich ihn. Er saß auf der gleichen Liege, auf der er neulich noch wegen seinem Drogenrausch gelegen hatte. Seine Augen sahen mich direkt an. Auch Hannah und Charlotte schienen ihn entdeckt zu haben, denn sie begannen zu tuscheln.
"Wir müssen dann mal", sagte Charlotte und zog mich in eine feste Umarmung. "Lass dich bloß nicht runterziehen", flüsterte sie mir dabei ins Ohr, dann ließ sie mich wieder los.
Hannah tat es ihr nach. "Ja, meine Mutter wartet schon", schrie sie schon fast, damit er es auch sicher hörte. Auch sie nahm mich in den Arm und sagte danach noch "Ich hab dich lieb."
Bevor ich noch etwas sagen konnte, verschwanden sie beide Richtung Lobby. Ich trat zu Vincent und setzte mich auf die Liege ihm gegenüber. "Wieso bist du hier?", fragte ich ihn und legte meine Hände in meinen Schoß.
"Ich dachte ich versuche mal mein Glück. Du scheinst öfter nachts unterwegs zu sein", stellte er fest und grinste mich an, bis er mein Gesicht genauer begutachtet hatte. "Du hast geweint."
Nervös versuchte ich meine Haare ein wenig nach vorne zu holen, damit man nicht mehr so viel von meinem Gesicht sah, aber es funktionierte nicht.
"Waren sie gemein zu dir?" Er sah besorgt aus.
Ich schüttelte den Kopf. "Die Beiden sind die besten Freundinnen aller Zeiten", erklärte ich. "Es war etwas anderes, aber das ist jetzt egal", sagte ich nur und versuchte mich wieder so stark zu machen, wie noch vor zwei Stunden.
"Sicher?"
"Sicher."
"Darf ich deine Hand nehmen?" Diese Frage kam unerwartet, genauso wie mein Nicken, welches mein Körper einfach so von sich gab. Anweisungen vom Gehirn schien er nicht zu brauchen. Vincent streckte vorsichtig seinen Arm aus und griff sanft nach meiner Hand, um dann über sie zu streichen. Es war ein unangenehmes und ein angenehmes Gefühl zugleich. Ich versuchte, alles schlechte zu verdrängen. "Komm mit", sagte er und stand mit meiner Hand, die in seiner gelandet war, auf.
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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...