Kapitel 38

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Und nun saß ich dort, im Auto meiner Mutter, nach dem Gespräch mit Vincents Vater, und ließ mich ins Krankenhaus fahren.

Gerne würde ich sagen, dass ich aufgeregt war oder ähnliches. Doch ich spürte nichts. Mein Kopf verdrängte alles, aufgrund der Angst vor schlechten Gefühlen. Doch mir war klar, dass ich die Angst hatte, es nicht verkraften zu können. Denn immerhin hatte ich es dauerhaft vermieden, ihn so zu sehen. Es würde mein Bild von ihm zerstören. Das Bild von dem lachenden, glücklichen Vincent. Es würde nun ausgetauscht werden durch das Bild eines kaputten Jungen, welches mein Gehirn Tage und Nächte lang nicht einordnen können wird. Und trotzdem war ich auf dem Weg, für ihn und nicht für mich.

"Ich werde dann so lange zu Joshs Vater fahren", erklärte meine Mutter mir. Sie wollte für mich da sein, aber als sie im Krankenhaus angerufen hatte, um uns anzumelden, da hatten sie gesagt, dass wenn überhaupt nur eine Person von uns hinein durfte. Also war de Unterstützung von meiner Mutter eh hinfällig und sie ließ mich alleine gehen. "Wenn etwas ist, dann musst du aber anrufen. Sofort, ohne zu zögern."

"Ja", sagte ich nur.

Wir waren schon an einigen Schildern vorbeigefahren, auf denen das Krankenhaus ausgeschildert war, doch nun bog meine Mutter auf den Parkplatz. Mein Herz begann zu schlagen und nun konnte ich nichts mehr unterdrücken. Dort, in einem der vielen Zimmer, hinter einem der vielen Fenster, lag er und schlief.

Ich stieg aus und versicherte meiner Mutter noch zwanzig Mal, dass ich mir sehr bewusst war, was ich tat und was das bedeutete. Aber auch sie war sich bewusst, dass ich danach wahrscheinlich nicht mehr die Selbe sein würde.

Nun stand ich dort, vor dem Eingang des Krankenhauses. Es sah ein wenig schäbig aus, wie viele Dinge auf der Insel. Nicht alles war so schön, wie das Dorf in dem sich das Hotel befand. Mit einem lauten Brummen fuhr das Auto meiner Mutter davon. Ich sah ihr noch kurz nach, bevor ich einen Schritt in den Eingangsbereich wagte.

Schon dort kam mir der Geruch von Desinfektionsmittel und Fertigessen entgegen und ich musste mein Würgen unterdrücken. Ich hasste solche Orte.

Eine zierliche kleine Frau stand an einem Tresen, auf den ich zuging. Zwar hatte Mr. Connors mir bereits gesagt, in welchem Zimmer Vincent war, jedoch fand ich es unhöflich, einfach dorthin zu gehen. Genau aus diesem Grund fragte ich sie also: "Entschuldigung, ich bin hier um Vincent Connors zu besuchen. Könnten sie mir sagen, in welchem Zimmer er sich befindet?"

Sie lächelte freundlich, wühlte dann ein paar Zettel zur Seite und machte sich an ihrem Computer zu schaffen. Einige Mausklicke später wandte sie sich wieder mir zu. "Mr. Connors darf nur beschränkt Besuch empfangen. Wenn sie mir ihren Namen sagen könnten?"

Mein Herz begann einige Hüpfer zu machen. Was, wenn sie mir sagen würde, dass ich nicht auf der Liste stehe? "Sofia Castillo", antwortete ich ein wenig feige, was die Frau auch zu bemerken schien, doch sie sagte nichts dazu.

Wäre ich doch nur einfach durchgegangen, dachte ich mir. Ich war auch einfach ein wenig dämlich.

"Gut, Sofia", sagte sie und zögerte kurz. "Zimmer 217 im zweiten Stock", sagte sie nur und wandte sich dann auch schon wieder ihrem Papierstapel zu.

Ich murmelte nur noch ein "Danke", bevor ich ging. Ich war ein wenig erleichtert, jedoch änderte dies nichts an meiner Aufregung. Zum Glück war der Fahrstuhl ausgeschildert. Ich stieg zusammen mit einer älteren Dame ein, die sich auf einen Gehstock stützte.

"Wohin möchten Sie?", fragte sie mich mit einer Stimme, die bald zu brechen drohte. Ihren Finger hielt sie schon vor den Tasten, die auf die jeweiligen Geschosse hinwiesen.

"In den zweiten, Danke", sagte ich und lächelte sie an. Vor Fahrstühlen hatte ich ein wenig Angst, weswegen ich in einer Ecke, direkt am Geländer stand. Meine beiden Hände umklammerten die Stange.

"Und, zu wem möchten Sie?", fragte sie mich nun. Die Fahrstuhltüren schlossen sich und ich hörte ein lautes Surren, das meine Angst nicht unbedingt verbesserte.

"Zu meinem Freund. Er hatte leider einen Unfall", erklärte ich ihr und war selbst überrascht, dass ich so normal darüber sprach.

Sie sah mich traurig an. "Das tut mir sehr leid für sie. Dann wünschen sie ihm eine gute Besserung", sagte sie und brachte mich dadurch ein wenig zum Lächeln, bevor der Fahrstuhl im ersten Stock seine Türen öffnete und sie hinausspazierte, auf ihren Gehstock gestützt.

Dann schlossen sich die Türen auch wieder und das laute Surren wiederholte sich, bis die Türen im zweiten Stock aufgingen. Dort stand ich nun, nur noch wenige Meter und Wände von ihm getrennt. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, was ich nun gleich wirklich sehen würde. Ihn, verletzt, am schlafen. Wahrscheinlich mit tausenden von Schläuchen, die in seinen Körper geführt wurden, um ihn zu füttern. Das Piepen eines Monitors, welcher seinen Herzschlag misst.

Übel wie mir war, setzte ich mich erst einmal auf einen der vielen Stühle, die im Flur standen. Meinen Kopf stützte ich auf meinen Arm und alles begann sich zu drehen.

"Ist alles okay bei Ihnen, Ms.?", fragte eine Männerstimme. Als ich aufblickte, konnte ich ihn als einen Krankenpfleger identifizieren. Ich antwortete nicht, also redete er weiter. "Sie sehen so blass aus. Kann ich etwas für sie tun?", wollte er nun wissen.

"Nein, danke. Ich glaube, ich muss nur einen Moment sitzen", murmelte ich. Doch das Gefühl verschwand nicht.

"Ich werde Ihnen ein Glas Wasser holen", sagte der Pfleger und verschwand. Es dauerte keine sechzig Sekunden, bis er wieder vor mir stand und mir das Glas reichte.

"Danke", sagte ich und nahm einen großen Schluck. Ich richtete mich ein wenig auf, um ihn ansehen zu können. Er war bestimmt um die dreißig, hatte aber ein sehr freundliches Gesicht.

"Weswegen sind Sie hier, wenn ich fragen darf?"

"Ich möchte meinen Freund besuchen, er hatte einen Autounfall", sagte ich und nahm noch einen großen Schluck, mit dem ich das Glas auch schon leerte. Ich stellte es auf einen kleinen Tisch, neben den Stuhl.

"Vincent Connors", stellte er nur fest. "Geht es Ihnen deswegen so schlecht?"

"Ich denke schon", gab ich zu. "Ich konnte so etwas noch nie ab", lachte ich.

"Dann werde ich Sie wohl begleiten", schlug er vor und reichte mir die Hand, damit ich leichter aufstehen konnte. Dankend nahm ich an. "Geht's wieder?"

Ich nickte. Er ging vor, bis wir vor Zimmer 217 standen.

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