Kapitel 39

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Achtung: Dieses Kapitel beinhaltet unschöne Ausdrücke und Szenen, die manche eventuell nicht verkraften könnten.

Ich muss zugeben, dass ich sehr viel Panik verspürte, als ich nun dort vor dem Zimmer 217 stand. Der Pfleger nahm mir die Entscheidung, wieder zu gehen und wegzulaufen, ab indem er die Tür öffnete. Mein Blick fiel in ein kahles weißes Zimmer, in dem sich nur ein Bett, ein Fernseher und ein Tisch mit zwei Stühlen befand. Wer in dem Bett lag, blendete ich immer noch aus.

Der Pfleger trat ein und sah mich aufmunternd an. Ich tat es ihm nach und erblickte sofort Vincents Füße, die unter der Bettdecke hervorguckten. Es war ein leises Piepen im Hintergrund zu hören, was mich beunruhigte. Ich traute mich erst gar nicht, weiter zu schauen, doch dann zwang ich mich, in sein Gesicht zu blicken.

Der Anblick war grauenvoll. Eine seiner Gesichtshälften war komplett lila gefärbt, genau wie einer seiner Arme. Und trotzdem lag er dort, friedlich am schlafen. Mein Blick ging nach oben, zum piependen Monitor. Er zeigte einen Puls von siebzig. Das war wohl normal, hoffte ich zumindest.

"Möchten Sie sich setzen?", fragte mich der Pfleger und zeigte auf einen der Stühle, die noch immer am Tisch standen.

Ich nickte und er zog mir einen an das Bett heran, auf dem ich dankend Platz nahm. Nun bin ich bei dir, richtete meine innere Stimme einige Worte an Vincent, obwohl er sie nicht hören würde.

"Ich glaube, ich würde doch gerne lieber alleine mit ihm sein", sagte ich dem Pfleger und er nickte nur und ging. Als ich hörte, wie die Tür zufiel, griff ich nach Vincents Hand. "Hallo", flüsterte ich. Ich bildete mir kurz ein, dass er lächelte, schüttelte dann jedoch selbst über meine Dummheit den Kopf. Ich wusste gar nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Was erzählte man jemandem, der nicht antworten konnte? Ich konnte ihn schlecht fragen, wie es ihm geht.

"Unser Streit tut mir leid", sagte ich und konnte dabei auf dem Monitor beobachten, wie sein Puls ein wenig höher ging. Bedeutete das, das er sich über meine Entschuldigung freute? Konnte er mich denn überhaupt hören? "Nur du hast auch nicht alles richtig gemacht. Das brauchst du dir jetzt gar nicht einbilden", grinste ich. "Nur, in einer Beziehung streitet man nun mal. Ich möchte dich nicht verlieren, Vincent. Nicht aufgrund eines Streites und auch nicht auf diese Weise." Schon wieder schienen sich seine Mundwinkel ein wenig nach oben zu bewegen. Die nächsten Minuten saß ich nur so dort und beobachtete ihn. Er sah, trotz seiner Verletzungen, so friedlich aus, wie er schlief. Ich fand es so süß und ich bedauerte, dass ich ihn nicht schon öfters so gesehen hatte.

Plötzlich schwang die Tür auf. Als ich mich umdrehte, sah ich nicht wie erwartet den Pfleger, sondern die Kommissarin, bei der ich noch vor einigen Tagen auf der Wache saß. Wieder trug sie ihre schwarze Bluse. Was wollte sie nur dort.

Sie musterte mich. "Ms. Castillo. Sie hier?", fragte sie, als wenn sie es nicht erwartet hätte.

Ich wusste gar nicht, wie ich antworten sollte. Auf diese Situation war ich nicht vorbereitet gewesen. "Ja, Vincent ist mein Freund. Das besuche ich ihn wohl auch im Krankenhaus", antwortete ich kleinlaut. Ich konnte spüren, wie eine Röte in mein Gesicht schoss. Meine schweißige Hand umklammerte immer mehr Vincents, durch die Panik, welche ich verspürte.

"Ich weiß nicht, ob das so vorteilhaft für sie ist, während ich gegen Sie ermittle", sagte sie und trat auf mich zu.

"Und was tun Sie hier?", stellte ich die Gegenfrage, um von der Tatsache, das sie Recht hatte, abzulenken.

"Aufpassen, dass Sie nichts tun, was Sie bereuen würden. Ich habe der Empfangsdame bereits mittgeteilt, dass sie mich darauf aufmerksam machen soll, wer hier wie ein und ausgeht. Und als ich gerade Ihren Namen gehört habe, bin ich wachsam geworden."

"Sie denken, ich wäre hier um ihm zu schaden?" Ich war entsetzt? Was sollte ich hier denn tun, in einem Krankenhaus voller Menschen? Ihm die Schläuche aus dem Arm ziehen? Was dachte diese Frau nur von mir, dass sie mir so etwas zutraute.

"Ich habe schon viele Mädchen gesehen, die verbittert genug waren", stellte die Kommissarin klar. Von dieser Aussage war ich schockiert. Was wollte sie mir unterstellen? Das ich verbittert war, weil ich vergewaltigt worden war und nun keinen Streit mit Jungs mehr abkonnte? Was dachte sie sich, wer sie war?

Ich stand auf und schob den Stuhl beiseite. Zum Abschied drückte ich Vincent einen Kuss auf die Stirn, was ich mir von dieser Frau nicht nehmen ließ. Dann spazierte ich an ihr vorbei, ohne weiteres zu sagen. Denn ich musste so schnell es ging auf die Toilette, um alles loszuwerden, was sich in mir befand.

Ich stürmte schon fast auf das Damen WC und schlug die Tür hinter mir zu. Gerade so schaffte ich es zeitlich noch, den Toilettendeckel nach oben zu klappen und mich auf den Boden zu knien. Dann begann meine Speiseröhre auch schon zu brennen und alles kam in einem Schwall aus mir heraus. Ich musste stark husten und würgen. Monatelang war ich nun frei davon gewesen und diese Frau hatte es wieder hervorgebracht. Und wenn sie es nicht war, dann hatte es sich angestaut, vom Stress der letzten Tage. Aber was sicher war ist, dass sie der endgültige Auslöser war.

Als ich fertig war, stand ich auf und drückte die Spülung. Zum Glück schien ich die einzige hier zu sein, so dass niemand meinen Ausbruch miterlebt hatte. Trotzdem würde der ekelerregende Geruch wohl noch ein wenig bleiben. Ich stellte mich vor den Spiegel, spülte meinen Mund aus und säuberte diesen von außen, dann wusch ich noch meine Hände. Als letztes griff ich zu meinem Handy und erklärte meiner Mutter, dass sie mich dringend abholen musste.

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