Kapitel 16

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Die ganze restliche Fahrt über schwiegen wir. Ich wusste nicht, was ich zu Vincent hätte sagen sollen. Ich wusste nicht, wie er das meinte, was er gesagt hatte. War es ehrlich gemeint?

Wir bogen auf einen kleinen Weg ab, auf dem man mit einem Auto gerade so fahren konnte. Desto näher wir kamen, desto klarer wurde mir, wo wir uns befanden. Wir waren auf die gegenüberliegende Seite der Insel gefahren und standen nun mit dem Auto auf einer Klippe direkt über dem Meer.

"Was machen wir hier?", wollte ich wissen. Schließlich schnallte Vincent sich ab und richtete seinen Körper in meine Richtung.

"Wenn ich schon für dich die Party sausen lasse, dann will ich auch etwas dafür haben."

Mir wurde übel. Was würde nun passieren? Würde er mich gegen meinen Willen anfassen. Würde er mir wehtun? Aber er hatte doch gesagt, er könnte mir nichts antun. Wollte er denn nur mein Vertrauen gewinnen? Ich hatte vor einfach auszusteigen und zu rennen, doch ich befand mich in einer Art schockstarre. Nicht mal die Galle kam nach oben, was schon etwas heißen musste. Jedoch zitterte ich am ganzen Leib, aus Angst vor dem, was als nächstes passieren könnte.

"Sofia", hörte ich. "Sofiaaa!" Vincent wedelte mit seiner Hand vor meinen Augen hin und her. "Es tut mir leid, ich hätte das nicht so formulieren sollen", murmelte er, als ich mich aus meiner Starre lösen konnte. In dem gleichen Moment spürte ich aber auch, wie die Galle sich ihren Weg nach oben bahnte und schnallte mich schnell ab. Dann sprang ich doch noch aus dem Auto und spuckte das ekelerregende Gemisch in den nächstbesten Busch.

Vincent war auch ausgestiegen und kam auf mich zu, während ich mir peinlich berührt den Mund säuberte. "Ich hätte das nicht sagen sollen." Er schien sich schuldig zu fühlen und genau das vermittelte er mir auch mit seinem Gesichtsausdruck. "Ich würde dich so gerne verstehen."

"Da gibt es nichts zu verstehen", gab ich zurück und ließ mich auf den Boden fallen, jedoch weit genug von meiner Galle entfernt. Vincent tat es mir gleich.

"Ich denke, da gibt es sehr viel zu verstehen."

"Du erzählst mir aber auch nichts. Außerdem vertraue ich Menschen wie dir nicht." Nun war ich wieder zickig. Wieso sollte ich ihm etwas sagen, wenn er mir gar nichts erzählte. Ich wusste nicht, wieso er Drogen nahm oder wieso er tagelang verschwunden war. Geschweige denn, wieso wir überhaupt an diesem Ort waren.

Die Wellen des Meers brachen andauernd an den Klippen und ich versuchte mich an dieses Geräusch zu klammern, um nicht irre zu werden. Mein Hals brannte noch von der Galle und wahrscheinlich dem darin enthaltenen Alkohol.

"Menschen wie mir?" Vincent sah verwundert aus. "Wie bin ich denn bitte?"

Ich begann aus Nervosität mit ein paar Kieselsteinen zu spielen, die mir zu Füßen lagen. "Ich weiß doch selbst nicht so genau, wie du bist. Du zeigst es mir ja nicht, außer wenn du denkst, ich würde schlafen. Du tust immer auf harter Typ", sprudelte es aus mir heraus.

Vincent atmete hörbar tief ein. "Du solltest am besten niemandem von dem erzählen, was ich dir im Krankenhaus gesagt habe."

"Wieso nicht?" Dann fiel mir wieder etwas ein. "Ach, tut mir leid. Du beantwortest keine Fragen."

Er grinste, was mir noch mehr auf die Nerven ging.

"Ich hoffe du weißt, dass du nie eine Chance bekommen wirst, mich kennenzulernen, wenn ich nicht vorher dich kennenlerne, oder?", fragte ich ihn und kippte dabei die Kieselsteine aus meiner Handfläche auf den Felsen, um sie dann wieder aufzusammeln.

"Mit Charme bekommt man alles hin", murmelte er.

Ich lachte. "Bei Camille vielleicht, aber bei mir nicht."

"Camille ist doch schon lange Geschichte. Sie war viel zu nervig." Wenigstens gab er seinen Fehler zu. "Eigentlich ist es nicht richtig von mir, hier mit dir zu sitzen, schließlich hast du getrunken."

"Seit wann kümmert es dich, was richtig und was falsch ist? Ich meine, du bist doch so ein Badboy. Hauptsache, du machst alles immer falsch. Das Richtige ignorierst du doch einfach nur. Kein Wunder, dass dein Vater dich in Bademeisterklamotten gesteckt hat."

Zu meinem Verwundern, fing Vincent wieder an zu grinsen.

"Ja die Bezeichnung Badboy ist vielleicht ein wenig komisch, aber so wird es doch immer in den ganzen Geschichten genannt", klärte ich ihn auf, doch sein Grinsen verschwand immer noch nicht. Ich dachte eher, ich hätte ihn damit beleidigt.

"Ich verstehe ganz genau was du meinst. Aus keinem anderen Grund war Camille mit mir zusammen. Hätte ich halb so viel geraucht, wäre sie direkt abgezischt", lachte er. Ich verstand ihn nicht.

"Also stimmen all diese Klischees?", wollte ich von ihm wissen. "Ich meine ja nur, Camille war nie die schlauste und du warst mit ihr zusammen. Wieso? War sie gut im Bett?" Was ich da gesagt hatte, wurde mir erst danach klar. Ich hielt mir erschrocken die Hand vor den Mund. Es wurde gerade wieder bewiesen, dass ich durch Alkohol meine Hemmungen verlor.

Vincents Grinsen verschwand einfach nicht, egal wie viel Müll aus mir heraus sprudelte. "Camille ist wirklich nicht die schlauste", bekundete er. Mehr sagte er nicht dazu. Ich hatte das Gefühl, dass Vincent mir keinen Einblick in seine Seele geben wollte, was meine Stimmung betrübte. Auch der glitzernde Sternenhimmel konnte daran nichts ändern.

Wieder spielte ich mit den Kieselsteinen und ließ sie aus meiner Hand auf den Boden rollen. Ich war in einer Phase der Überlegung. "Also stimmen all dieses Klischees?", wiederholte ich schließlich.

Er zuckte mit den Schultern. "Kommt darauf an, wie man deren Hintergrund betrachtet", murmelte er.

Ich würde so viel dafür geben, diesen Hintergrund zu kennen, dachte ich mir, aber dann wurde mir klar, dass ich damit auch meinen preisgeben müsste.

"Was ist auf der Party passiert?", fragte er mich nun, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

Kurz überlegte ich, dann gab ich langsam nach. Ich wollte unbedingt mehr über ihn wissen, also sollte ich wohl den ersten Schritt machen. "Das Mädchen, was vor ein paar Wochen dort saß, als ich meinen Anfall hatte... Sie war da", erklärte ich. Vincent musste sich ziemlich bemühen, mich zu verstehen, da ich die Worte nur so leise wie möglich hervorbrachte.

"Hatte sie denn etwas mit dem Anfall zutun?"

Ich bekam ein kleines Flashback. Er wusste, dass sie etwas damit zutun hatte. Er hatte sie angeschrien, was sie getan hätte, dass ich so geendet bin. Nur genaueres wusste er nicht und das wollte er wohl mit dieser Frage in Erfahrung bringen.

"Ja", stotterte ich. Die Kieselsteine rollten zum x-ten Mal über meine Handfläche, was mich ein wenig beruhigte. Mein Puls war jedoch sehr hoch, mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Ich hatte Angst, dass er mich verurteilen würde.

"Soll ich dich nach Hause fahren?", fragte er plötzlich, wie aus dem nichts. Die Frage kam so überraschend, dass ich erst einmal schwieg. Ich musste meine Gedanken ordnen. Ich dachte vor einer Sekunde noch, ich würde mich ihm offenbaren können und nun stoppte er mich? Eventuell hatte er mich zwar vor dem größten Fehler meines Lebens bewahrt, aber es gab auch eine geringe Chance, dass er mich nicht verurteilt hätte. Das ich jemanden gefunden hätte, der damit klar kommt und mich mag, obwohl ich kaputt bin.

Ich nickte stumm. Er stand auf und ich ließ die Kieselsteine ein letztes Mal aus meiner Hand rollen. Als ich mich mit meiner Hand auf den Boden stützen wollte, hielt Vincent mir seine Hand hin. Zu meiner eigenen Überraschung nahm ich seine Geste, zwar mit ein wenig zögern, dankend an und er zog mich nach oben. Mir war ein wenig schwindelig, doch seine Berührung brachte mich nicht dazu, mich zu übergeben, was wohl ein gutes Zeichen war.

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