Nun war der Tag gekommen. Der Tag, an dem ich ihm gegenüber treten würde. Zwei Tage nachdem Vincent aufgewacht war, wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Die Ärzte haben nichts verdächtiges gefunden, außerdem soll er sowieso mit seiner Selbstentlassung gedroht haben, hatte sein Vater uns erzählt. Ich würde ihn also noch heute wiedersehen und ich wusste nicht, ob ich bereit war.
Trotzdem zog ich mir ein süßes weißes Kleid an, für alle Fälle. Doch dann, als es Zeit wurde, zur Begrüßungsfeier am Pool zu gehen, blieb ich auf dem Sofa sitzen und starrte die Wand an. Ich war ganz und gar nicht bereit, wie mir in diesem Moment auffiel. Ich konnte nicht einfach dort stehen, als wäre nichts gewesen. Er war unfair mir gegenüber gewesen. Hatte mir Vorwürfe gemacht und alles. Jetzt, wo es ihm wieder gut ging, wusste ich nicht, ob ich ihm verzeihen sollte. Ich liebte ihn, aber machte das wirklich alles in einer Beziehung aus?
Langsam ging die Tür auf und meine Mutter steckte den Kopf hinein. "Es sind schon alle dort", fing sie an. "Möchtest du nicht langsam mal kommen?"
Ich starrte sie nur an. Ich wusste gar nicht, was ich ihr sagen sollte. Sie würde mich doch für bescheuert erklären, wenn ich ihr nun, nach all den Tagen, an denen ich geweint hatte, sage, dass ich nicht gehen möchte. Dass ich nicht bereit bin, mich der Sache mit Vincent zu stellen. Denn ich wollte diese Beziehung nicht auf diese Art, aber ich wollte ihn.
"Sofia", rief sie, als ich nicht reagierte.
Mein Blick wurde immer trauriger. "Was, wenn er mich hasst?", fragte ich sie.
Sie sah mich erschrocken an und trat ein. Dann schloss sie die Tür und setzte sich neben mich. Ihre Hand legte sie auf mein Knie. Der Blick von ihr wurde so einfühlsam, wie ich ihn liebte und auch brauchte. "Wieso sollte er dich denn hassen, Schatz?"
"Weil..." Ich wusste es doch selbst nicht, aber ich fühlte mich, als hätte er tausende von Gründen dazu. "Weil wir gestritten haben. Und weil er vielleicht auch denkt, dass ich etwas mit dem Unfall zutun habe."
"Nein, nein. Er wird nicht denken, dass du es warst. Wahrscheinlich wird er sogar eher aufklären können, wer es wirklich war, so dass du entlastet wirst. Und wegen dem Streit, mach dir mal nicht zu viele Gedanken. Jedes Pärchen streitet mal."
"Streitest du denn auch mit dem Vater von Josh?", fragte ich sie, denn auf mich wirkte es immer friedlich zwischen den beiden.
"Natürlich", erklärte sie, als sei es etwas selbstverständliches. Irgendwie beruhigten mich ihre Aussagen. "Auch wenn es nur um die Farbe der Tischdecken für die Hochzeit geht. Ich meine, wer möchte denn schon beige?" Sie musste lachen, was mich zum schmunzeln brachte. "Aber wenn du dich heute der Sache nicht stellst, dann wirst du es morgen tun. Man kann solchen Dingen nicht aus dem Weg gehen. Und meistens wird es sogar noch schlimmer, desto länger man es aufschiebt."
Ich nickte. "Dann lass uns gehen", sagte ich. Bevor mich der Mut wieder verlassen konnte, reichte sie mir ihre Hand und zog mich vom Sofa, heraus aus der Tür, in den Flur. Schon von dort konnte ich durch die Fenster einige Ballons am Pool sehen. Auf vielen stand Willkommen oder ähnliches.
Mein Herz pochte, als meine Mutter mir die Tür aufhielt. Die Feier war schon im vollen Gange und es schienen sich auch Gäste des Hotels mit unter die Bekannten gemischt zu haben. Einige hatten Getränke in der Hand, aber alle unterhielten sich ausgelasssen.
Und dann entdeckte ich ihn. Auch er unterhielt sich mit einigen Leuten. Ich bekam in diesem Moment nur die lilane Seite seines Gesichtes zu sehen. Ich spürte einen leichten kotzreitz, denn ich musste wieder an alles aus dem Krankenhaus denken, doch schnell verdrängte ich die Erinnerung.
Und dann sah er in meine Richtung. Fast schlagartig hörte er auf zu reden und starrte nur noch in meine Richtung. Genauso, wie ich es auch ihm gegenüber tat.
"Geh zu ihm", flüsterte meine Mutter mir zu und entfernte sich danach von mir. Doch bevor ich mich regen konnte, schien Vincent sich aus der Konversation zu entschuldigen und trat auf mich zu.
Er sah müde aus, aber ich denke, dass ich nichts anderes erwarten konnte. Trotzdem hatte er ein Lächeln im Gesicht, so schmerzverzerrt es auch auf mich wirkte.
"Hey", sagte er und musste sich räuspern, als er direkt vor mir stand.
Es war schwer für mich, meinen Mund überhaupt aufzumachen und ich betete, dass er das Hämmern meines Herzens überhörte. "Hey", antwortete ich nur.
Eine kurze Weile standen wir dort und sahen uns einfach nur an. Keiner wusste so richtig, was man sagen sollte, zumindest war es bei mir so. Und doch fing ich wieder an zu reden.
"Wie geht es dir?"
"Na ja, sowie es einem halt geht, wenn man angefahren wurde", grinste er. Danach kam jedoch ein kleines "autsch", hinterher. Er hatte wohl zu sehr sein Gesicht verzogen.
"Es tut mir so leid", sagte ich und versuchte, seine Hämatome nicht zu doll anzustarren. Doch das war schwer, wenn jemand mit einem zerstörten Gesicht vor einem stand. Und doch sah er immer noch wunderschön aus. Seine Augen strahlten mich beinahe an, wie sie es vorher auch immer getan haben.
"Wieso? Du hast doch nichts getan."
Ich war verwundert und dezent verwirrt. "Habe ich nicht?", fragte ich ihn. Natürlich war das eine dumme Frage, denn ich wusste selbst, dass ich nicht Schuld hatte an dem, was ihm wiederfahren hatte. Dennoch wunderte es mich, dass er es auch wusste.
"Ich habe viel aus dieser Nacht vergessen, aber wer es war, weiß ich genau, Sofia. Und ich weiß genauso gut, dass du mir nie so etwas antun würdest." Er sah sich kurz um, bevor er weitersprach. "Komm, wir gehen ein Stück."

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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...