Kapitel 11

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Verschlafen wälzte ich mich in meinem Bett hin und her. Meine Kopfschmerzen waren besser geworden, jedoch fühlte ich mich immer noch wie ein Häufchen elend. Mir schwirrten tausend Gedanken durch den Kopf, vor allem, was in der letzten Nacht passiert war. Ich war mir noch nicht ganz so sicher, ob es richtig gewesen war, dass ich Vincent geholfen hatte. Was hatte er denn schon mal für mich getan? Außerdem schien er nicht aus seinen Fehlern zu lernen, denn er hatte so einen Unfall immerhin schon einmal gehabt.

Was mich aber noch mehr beschäftigte, war Josh. Beziehungsweise, wie wohl das Date unserer Eltern gelaufen war. Schließlich würde das darüber entscheiden, wie komisch ich es in Zukunft finden würde, in Joshs Nähe zu sein.

Mit zitternden Knien stand ich auf und zog mir meinen Morgenmantel über die knappen Schlafklamotten, die ich mir gestern Abend mühevoll angezogen hatte. Erst jetzt fiel mir ein, dass Vincent mich wahrscheinlich genau in diesem Knappen Outfit gesehen haben musste. Hoffentlich kann er sich nicht daran erinnern, betete meine innere Stimme für mich, als ich den Gürtel des Mantels zuband.

Meine Mutter saß genau wie gestern am Küchentisch und aß Müsli. Als sie mich durch die Gegend trampeln hörte, sah sie erschrocken auf. "Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr aufstehen", äußerte sie sich. "Du siehst aber auch ganz schön verschlafen aus." Wahrscheinlich meinte sie damit auch den Knoten, der sich auf meinem Kopf befand und aller Voraussicht nach aus meinen Haaren bestand.

"Hatte eine unruhige Nacht", sagte ich. Ich hatte nicht vor, die Geschichte mit Vincent zu erwähnen, weswegen ich schnell ablenkte. "Du warst lange weg", behauptete ich einfach. Ich hatte keine Ahnung, wann sie nach Hause gekommen war, aber es musste gewesen sein, nachdem ich bei Vincent war.

"War ich auch", gab sie zu. Ich setzte mich zu ihr an den Tisch und überlegte kurz, was ich essen sollte. Ich hatte komischerweise null Appetit, weswegen ich es komplett sein ließ.

"Wie war denn das Date?", fragte ich nach einiger Zeit. Es hatte mich einige Überwindung gekostet, diese Frage zu stellen, denn nun würde es sich entscheiden.

Sie zuckte mit den Schultern. Was hatte das nur zu bedeuten?

"Sag doch", neckte ich sie schon fast, damit nicht auffiel, wie viel mir ihre Antwort ausmachen würde. Ich strahlte sie einfach erwartungsvoll an, wie als wäre ich die Sonne.

Sie zögerte kurz. Vielleicht wollte sie mir allgemein nicht wehtun. Vielleicht wollte sie nicht, dass ich Angst davor habe, dass ein fremder Mann in mein Leben tritt. "Es war nett", sagte sie schließlich.

Es war nett, philosophierte die Stimme in meinem Kopf. Nett konnte so vieles bedeuten. Nett kann heißen, es hat Spaß gemacht. Nett kann heißen, er ist nett. Nett kann heißen, sie mag ihn sehr gerne. Aber nett kann auch heißen, dass es nicht perfekt genug für sie war. Nett kann so vieles heißen...

Ich stand auf und nahm mir ein Glas aus dem Schrank. Dieses füllte ich an der Spüle mit Leitungswasser. "Was bedeutete nett?", hakte ich nach, als ich mich mit meinem Glas wieder an den Tisch setzte. Sie sollte mich nicht so auf die Folter spannen, das war nicht fair. Allerdings war es genauso unfair, dass ich ihr die Sache mit Josh verschwieg.

"Nett bedeutet, dass wir uns wiedersehen werden." Ein Schauer durchfuhr mich. Ich wusste genau, dass ich auf eine andere Antwort gehofft hatte und auch das war unfair ihr gegenüber. Ich durfte nicht immer nur an mich denken, vor allem weil ich immer noch nicht bereit für einen Jungen in meinem Leben war. Und doch wollte ich Josh bei mir haben, aber nicht auf die Art, auf die es im Moment hinauslief. "Geht's dir gut, Schätzchen? Du bist ganz blass geworden."

"Ja, alles okay. Ich war nur so lange wach", gab ich ihr zu verstehen. Das war zumindest nicht gelogen. Und schon spielten sich die Ereignisse der gestrigen Nacht wieder vor meinem Auge ab. Vincent kam mir immer in die Quere, egal bei was und ich fragte mich langsam, ob das wirklich nur Zufall war.

"Hattet ihr denn Spaß?", fragte sie jetzt.

Ja, so viel Spaß das Charlotte das Badezimmer vollgekotzt hat und ich alles putzen musste, murmelte die anstrengende Stimme in meinem Kopf genervt.

"Sehr viel Spaß sogar", lächelte ich. Ich nahm noch einen Schluck von meinem Wasser und stand dann auf, um es neben die Spüle zu stellen. "Ich werde mir dann wohl mal was ordentliches anziehen", sagte ich mit einem Blick auf die Uhr. Es war schon elf.

Meine Mutter nickte mir zu und ich verschwand in meinem Zimmer.

*

Als ich das Hotel durchquerte, ging mir die Antwort meiner Mutter immer noch nicht aus dem Kopf. Sie würden sich wiedersehen, aber was bedeutete das für mich und Josh? Irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, wo wir eine Patchworkfamilie werden und genau das galt es zu vermeiden, falls Josh und ich uns noch weiter trafen. Allerdings gab es auch die Lösung, Josh einfach für immer aus dem Weg zu gehen und somit auch allem Komischen, was dazu gehörte.

Beim Betreten der Lobby wurde meine Aufmerksamkeit jedoch auf etwas ganz anderes gelenkt. An der Rezeption stand Mr. Williams und schien sich mit einer jungen Dame zu zoffen. Ich hörte nur Fetzen wie: "Ich kann ihnen keine Informationen über die Bewohner dieses Hotels geben" und: "Sehr geehrte Dame, wenn sie nicht selbst in dieses Hotel einchecken wollen, dann muss ich sie bitten zu gehen." So in Aufruhr hatte ich Mr. Williams das letzte Mal gesehen, als ein Mann sein Zimmer nicht bezahlen konnte, was noch nicht allzu lange her war.

Desto näher ich kam, desto bekannter kam mir das Mädchen vor. Ihre goldblonden Haare waren lang und zu locken geschwungen. Sie hatte eine große Statur und schien sehr sportlich zu sein. Sie sah ein wenig anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte, doch ich erkannte sie an ihrer Stimme. "Ich bitte sie, ich suche sie jetzt schon fast ein Jahr", piepste sie. Das brachte mich so aus der Fassung, dass ich über meinen eigenen Fuß stolperte. Im nächsten Moment lag ich schon auf dem Boden und hatte einen lauten Knall verursacht. Alle Augen waren nun auf mich gerichtet, auch ihre, was es eigentlich zu vermeiden galt...

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