Nun stand ich dort, auf dem Parkplatz, und wartete auf meine ach so tolle Mitfahrgelegenheit. Wenn ich Glück hatte, dann hatte er mein Verhalten schon wieder völlig vergessen. Immerhin hatte er bestimmt wichtigeres zutun, als über mich nachzudenken. Zum Beispiel mit Camille, mit der er in der Pause durch die Gegend geschlendert war. Sie war genau sein Beuteschema. Freizügig gekleidet und blond. Vincent war halt so einer, der Frauen nur auf das reduzierte.
Ich hörte in der Ferne einen Motor aufheulen. Das musste er sein. Hätte ich gewusst, wo er sein Auto geparkt hatte, wäre ich auch dorthin gegangen, aber ich war ja heute Morgen einfach aus dem Auto gesprungen.
Die silberne Farbe seines teuren Wagens blendete mich, aufgrund der Sonne. Er hielt mit seinen quietschenden Reifen direkt neben mir. Ich straffte meine Schultern, redete mir noch einmal ein, dass er alles bestimmt schon vergessen hatte und stieg in das Auto.
Ich sagte nichts, was erst wieder zu einer unangenehmen Stille führte, bis wir auf der Autobahn waren. Vincent raste schon fast und ich hatte enorme Angst, dass wir gleich in die Leitplanke fuhren. Ich weiß nicht, ob er mich damit zwingen wollte, etwas zu sagen, denn sonst fuhr er nie so waghalsig. Ich versuchte mich auf die Umgebung zu konzentrieren und beobachtete die Palmen, an denen wir vorbei fuhren. Wenn ich nach rechts aus dem Fenster blickte, konnte ich das Meer glitzern sehen und durch den Spiegel sah ich im Hintergrund den schneebedeckten Berg. Auf dieser Insel herrschte ein komisches Klima.
Doch Vincent kam nicht auf die Idee langsamer zu werden. Mein Knie zitterte im Tackt der Musik, die aus dem Autoradio kam.
Ich konnte nicht länger nichts sagen. "Kannst du bitte ein wenig langsamer fahren? Ich möchte heile Zuhause ankommen." Mein Ton war nicht der freundlichste, aber ich hatte ja die Vermutung, dass das hier Absicht war.
"Wieso denn? Triggert dich das?"
Er hatte es also nicht vergessen. Eigentlich könnte ich jetzt ausflippen. Die Wut kochte schon in mir hoch, aber ich hielt mich zurück. Das würde die ganze Situation nicht besser machen. Wie konnte er es wagen, so etwas gegen mich zu verwenden?
"Nein", gab ich genervt zurück. "Ich will einfach nur nicht sterben. Ich glaube, dass ist ein ganz normaler menschlicher Instinkt", fügte ich noch hinzu, als er nichts an seiner Fahrweise veränderte.
"Was triggert dich dann?", wollte er von mir wissen.
Ich sah jetzt glaube ich das erste Mal heute richtig in seine Augen. Diese waren jedoch auf die Straße fixiert. War wahrscheinlich auch besser so.
"Woher das plötzliche Interesse?", versuchte ich vom eigentlichen Thema abzulenken.
Er zuckte mit den Schultern. "Ich mag Geheimnisse."
"Du willst welche herausfinden, um dich über Leute lustig zu machen, richtig?"
Während Vincent auf den Ausfädelungsstreifen fuhr, herrschte Stille. Er hatte anscheinend nichts zu sagen und ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte.
"So denkst du von mir?", fraget er dann, als er dabei war, auf die Hauptstraße abzubiegen.
Ich nickte und straffte noch einmal wieder zur Sicherheit meine Schultern. Sag ihm was du denkst, flüsterte mir die nervige Stimme in meinem Kopf zu. "Wieso bezeichnest du mich denn sonst als Putzfrau? Weil du dich über mich lustig machst."
"Man darf doch wohl mal Spaß machen", lächelte er. Er schien mein Problem wohl nicht nachvollziehen zu können.
Dieser Satz erinnerte mich an meinen Ex-Freund. Ich konnte die Gedanken so weit es ging gerade noch zurück halten, aber mein Kopf dröhnte. Immer wieder hallte der Satz in meinem Kopf herum. Man darf doch wohl mal Spaß machen. Man darf doch wohl mal Spaß machen. Man darf doch wohl...
"Hab ich dich jetzt getriggert?", wollte er wissen, als wenn es immer noch etwas lustiges wäre.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meine Knie auf den Sitz gestellt hatte, um mich so klein wie möglich zu machen. Um mich zu schützen, vor allem was passieren könnte. Meine Hände hatte ich fest gegen meinen Kopf gepresst.
Ich hielt einfach die Klappe. Glücklicherweise bog Vincent gerade auf den Parkplatz des Hotels.
"Hey, es tut mir leid", sagte er, als er auf seinem, für ihn reservierten, Parkplatz stand.
"Brauch es nicht", sagte ich und schnallte mich ab. Er konnte zwar nicht wissen, was mich triggerte und was nicht, aber er hätte auch nicht darüber lachen müssen, dass er einen Auslöser gefunden hatte.
Ich stieg aus dem Auto aus und begab mich auf den Weg in mein Hotelzimmer. Mr. Williams begrüßte mich freundlich in der Lobby: "Na, wieder zurück?", fragte er, wie jedes Mal wenn er mich nach der Schule sah. Er war der Chef meiner Mutter und einer der nettesten Menschen in diesem Hotel, so lange man sich ordentlich verhielt und nichts kaputt machte.
"Ja", antwortete ich nur kurz.
Im Hintergrund hörte ich wie die Türen der Lobby aufschwangen. Vincent musste auch gerade hereingekommen sein.
"Ah, da sind sie ja auch, Mr. Connors", begrüßte der Hotelmanager nun auch Vincent, dessen Blicke ich auf mir spüren konnte. Das Mr. Williams einen achtzehnjährigen siezte kam mir von Anfang an komisch vor. Aber Vincents Vater gehörte halt das Hotel und deswegen musste hier so ziemlich jeder nach seiner Pfeife tanzen. Nur ich tat das nicht.
"Ja ja, Mr. Williams", winkte Vincent direkt ab und machte einen Schritt auf die Rezeption zu. "Sagen sie dem Zimmerservice bitte, dass ich in einer halben Stunde etwas essen möchte. Ich habe solchen Kohldampf. Die sollen sich irgendwas besonderes ausdenken", plapperte er den Manager voll.
Wie konnte man nur so hochnäsig sein? Hauptsache ihm ging es gut.
Im Vorbeigehen hörte ich noch, wie Mr. Williams antwortete: "Natürlich, Mr. Connors", und dann verschwand ich in den Ostflügel.
Meine Mutter war nicht da, als ich in unser Zimmer, Apartment, oder was auch immer, kam. Wahrscheinlich war sie gerade am arbeiten. Zu meinem Glück hatte ich keine Hausaufgaben auf, da das Schuljahr aufs Ende zuging und die Lehrer sich keinerlei Mühe mehr gaben. Ich riss also die Tür zum Kühlschrank auf und starrte in gähnende leere. Es passierte schon einige Male, dass meine Mutter vergaß einzukaufen. Also schnappte ich mir einen kleinen Beutel, ihr Portmonee und ging schnellen Schrittes den Gang entlang. Ich beschloss, nicht an der Hauptstraße entlang zu gehen, sondern einen Umweg über den hoteleigenen Strand zu gehen. Die Kinder planschten wie üblich im Pool und ihre Eltern versuchten aufzupassen, dass auch ja kein Kind ertrank, obwohl sie alle im Becken stehen konnten. Es war ein komisches Gefühl, dort zu wohnen, wo andere Urlaub zu machen. Ich hatte von Anfang an ein merkwürdiges Empfinden dabei, überhaupt auf diese Insel zu ziehen, doch es war meine einzige Möglichkeit zur Flucht vor meiner Vergangenheit. Und trotzdem lässt sie mich nicht in Ruhe.
Ich betrachtete das glitzernde Meerwasser des pazifischen Ozeans und versuchte, meine Gedanken vollkommen auszublenden. Das war nicht leicht, aber wenn man nur über das blaue Wasser nachdachte, hatte man wenigstens das Gefühl an gar nichts zu denken. Der Laden war einen ganzen Fußmarsch weit entfernt, da sonst niemand aus dem Hotel einkaufen ging. Meine Mutter und ich bekamen zwar auch gratis Essen im Hotel, jedoch war es ihr peinlich, vom Geld der anderen zu essen. Vor allem weil die Gäste ziemlich viel Geld für das Essen im Hotel ausgeben mussten. Aus irgendeinem Grund hatte ich diese Einstellung übernommen.
Nach einer Weile konnte ich schon wieder den schneebedeckten Berggipfel sehen und weiter im Vordergrund auch den Laden. Er war nicht sehr groß, da das Hotel im kleinsten Dorf der Insel stand. Bis in die Stadt, wenn man es so nennen konnte, war es jedoch viel weiter. Meine Mutter und ich fuhren dort nur hin, wenn wir wirklich etwas außergewöhnliches brauchten. La petite Boutique stand auf dem Schild des Ladens, der von einer kleinen süßen Französin geführt wurde. Es war eigentlich keine Boutique in dem Sinne, aber ich hatte keine Ahnung, ob man so einen Lebensmittelladen nennen konnte. Sie wusste es wahrscheinlich besser als ich.
Ich betrat den Laden und hörte schon gleich eine nervige Stimme.

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Why
RomanceSofia Castillo hat in ihrer Vergangenheit schreckliches erlebt. Aufgrund dessen ist sie leicht zu verängstigen und bekommt schnell Panikattacken. Sie versucht dies in den Griff zu bekommen, doch immer wieder kommt ihr Vincent in den Weg, der versuch...