Kapitel 14

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Tag für Tag verging, seitdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Das Problem, wie ich Vincent gegenübertreten sollte, existierte nur in meinem Kopf. Er ließ sich nicht blicken. Nicht einmal als Bademeister lief er am Pool entlang. Dort gab es jetzt anscheinend einen neuen, der seine Arbeit gut zu machen schien. Lesley hatte ich aus seitdem nicht mehr gesehen. Sie war wie vom Erdboden verschluckt und es war, als wäre sie nie hier gewesen.

Eines Tages stolperte ich mal wieder vor mich hin und mein Handy begann zu piepen. Ich blieb stehen und zog es aus meiner hintersten Hosentasche. Es war eine Nachricht von Charlotte, die wohl an mich und Hannah ging. Sie schrieb, dass wohl heute Abend eine Party bei einem Jungen steigen würde, denn sie so gerne mochte. Dabei konnte sie nur von Hank reden, der mit Vincent in eine Klasse ging. Sie schrieb, sie traut sich nicht alleine und würde uns gerne dabei haben. Ich wusste nicht genau, wieso ich zustimmte. Eventuell, weil ich eine gute Freundin war, oder weil ich eine Chance bekommen hatte herauszufinden, wo Vincent sich aufhielt. Seit ich hier wohnte, war er noch nie so lange verschwunden gewesen.

Als ich meine Nachricht abgeschickt hatte, ging ich zur Poolbar um einen Orangensaft zu trinken. Neben mich setzte sich eine Angestellte des Hotels. Sie ist ungefähr zwanzig und eine sehr nette Frau. Meine Mutter mochte sie. "Na, wie geht es dir, Sofia?", fragte Mrs. Lopez. Ihr spanischer Akzent war süß und bereitete mir sofort ein Lächeln.

"Ach, sowie immer. Ferien sind manchmal schon ein wenig langweilig", lachte ich, als mir der Kellner meinen Saft hinstellte.

"Oh, so einen nehme ich auch", sagte Mrs. Lopez an den Kellner gewandt. "Du warst im Krankenhaus, nicht?", wollte sie nun wissen. Als ich nicht antwortete und kurz überlegte, wie viel ich ihr erzählen würde, fügte sie schon hinzu: "Tut mir leid, wenn dass zu aufdringlich war."

"Nein, nein. Schon gut", winkte ich ab. "Ich hatte ein paar Kreislaufprobleme", log ich sie an, da das die Geschichte war, die meine Mutter oft erzählte, wenn sie jemand nach meinen Anfällen fragte.

"Ah, okay." Sie nahm einen Schluck von ihrem Saft. "Vorhin habe ich deine Mutter gesehen. Sie scheint sehr glücklich zu sein. Ist da etwa etwas im Busch?" Sie lachte.

Ich überlegte wieder kurz, da ich die Gerüchteküche nicht unnötig anheizen wollte. Jedoch konnte man Mrs. Lopez zu neunundneunzig Prozent vertrauen. "Sie hat heute Abend wieder ein Date", flüsterte ich und erwischte mich dabei, dass ich es gut fand. Josh hatte ich langsam gestrichen, das würde eh nicht mehr funktionieren. Und wenn meine Mutter nur so glücklich war, dann freute ich mich natürlich für sie.

"Ach, mit diesem jungen Mann, mit dem sie schon neulich aus war?"

Ich nickte.

"Das ist ja schön", grinste sie über beide Backen. "Sag mal, du kennst doch Vincent, richtig?"

Wieder nickte ich und spürte, wie mir rote Farbe ins Gesicht lief. "Wieso denn?"

"Den Burschen habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen." Ich musste fast lachen, weil Mrs. Lopez Art zu reden ganz und gar nicht zu ihrem Aussehen und ihrem Alter passte, aber es war toll.

"Ich habe auch keine Ahnung wo er ist", murmelte ich und warf einen Blick auf meine Uhr. Es war schon sehr später Nachmittag und ich musste noch einige Vorbereitungen für die Party treffen. Eins meiner Probleme war, dass ich mich immer viel zu früh für alles fertig machte und am Ende warten musste, dass es überhaupt losging, aber das war immer noch besser, als zu spät zu sein.

"Ich muss jetzt leider gehen, Mrs. Lopez", sagte ich nun und stellte mein leeres Glas auf den Tresen.

"Dann viel Spaß heute noch, bei was auch immer", sagte sie und nahm auch den letzten Schluck aus ihrem Glas. Dann wandte ich mich ab und ging.

*

Als wir bei Hank ankamen, war schon Gebrumme von innen zu hören, was wohl die Musik sein sollte. Während ich so vor dem Haus stand, war ich kurz davor Panik zu bekommen. Es war nichts anderes, als mit meinen Freundinnen in einen Club zu gehen, wie ich es jetzt schon des Öfteren getan hatte, aber es bereitete mir Angst. Hier gab es keine Türsteher, die mir helfen konnten, wenn mich jemand blöd anmachte. Hier gab es nur einen Haufen betrunkener Jugendlicher und mittendrinne mich. Ich bereute meine Entscheidung.

"Da hinten ist Hank", schrie Charlotte auf und zeigte auf den Eingang des Hauses. So laut wie sie war, konnte sie froh sein, dass er sie nicht gehört hatte.

"Ich kann da nicht reingehen", gab ich stattdessen offen und ehrlich zu.

Hannah überlegte einen Moment, dann schien ihr eingefallen zu sein, was ich erzählt hatte. "Wegen dem, was mal passiert ist?"

Ich nickte stumm und war schon dabei, kleine Schritte nach hinten zu machen.

"Wollen die Ladys etwa schon wieder gehen?", hörte ich auf einmal eine männliche Stimme. Hank war zu uns gekommen, wahrscheinlich wegen Charlotte.

"Hallo Hank", strahlte sie über das ganze Gesicht. Dann sah sie mich flehend an und natürlich gab ich nach.

Ich schüttelte also den Kopf. "Nein, natürlich wollen wir noch nicht gehen", sagte ich. "Ich hatte nur kurz Angst, dass ich meine Tasche im Taxi vergessen habe, aber hier ist sie ja", lachte ich falsch und deutete auf die Tasche, die über meiner Schulter hing. Das war wohl eine der dümmsten Ausreden, die mir je eingefallen war. Ich hätte sie mir selbst nicht geglaubt.

Hank runzelte seine Stirn, wandte sich dann aber wieder Charlotte zu. "Dann kommt doch mit rein und amüsiert euch." Er ging vor und wir gingen ihm nach, als wären wir eine kleine Entenfamilie. Meine Panik wurde immer größer, desto weiter wir an das Haus herankamen.

"Geht es wirklich?", flüsterte Hannah mir besorgt zu, als sie sich den Weg zu mir gebahnt hatte.

Ich nickte. "Ich kann mich nicht auf ewig verstecken. Lass mich bloß nicht allein", murmelte ich.

Im inneren des Hauses waren eine menge Menschen. Die Luft war so stickig, dass man dachte, der Sauerstoff würde komplett fehlen. Die Musik war so laut, dass man die Person neben sich anschreien musste. Ich hatte Angst.

Als ich wieder den Mut gefasst hatte, nach vorne zu gucken, waren Charlotte und Hank auf einmal verschwunden. Hannah hatte jedoch Wort gehalten und war bei mir geblieben. "Was machen wir beiden jetzt?", wollte sie von mir wissen, als wenn ich eine Ahnung hätte.

"Ich würde sagen, wir suchen uns einen weniger belebten Ort", schrie ich sie an, aber das schien sie nicht zu merken.

Ich stolzierte so selbstbewusst wie möglich durch die Menge. Jungs hatten es bekanntlich eher auf schwächere abgesehen, also durfte ich mir nichts anmerken lassen. Das Haus hatte unendlich viele Flure und die Leute wurden nicht weniger. Irgendwann waren wir bei zwei großen Türen angekommen, die in den Garten führten. Niemand war auf die Idee gekommen, sie zu öffnen, obwohl das frische Luft bedeuten würde. Hannah stieß die Tür auf. Auf dem Weg hierher hatte sie sich irgendwo einen roten Becher mit Bier oder etwas ähnlichem geschnappt, welches sie beim stoßen verschüttete.

"Mist", stöhnte sie auf.

Doch für mich war etwas anderes Mist. Denn dort sah ich ihn, wie er sie küsste.

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