Kapitel 28

1.2K 42 2
                                    

Morgens als ich aufwachte, lag er immer noch neben mir und schlief. Langsam stand ich auf und ging in die Küche, um mich dieser Situation zu entziehen. Ich wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.

"Na, hattet ihr eine schöne Nacht?", grinste meine Mutter, die gerade den Abwasch erledigte.

"Woher-?"

Sie ließ mich gar nicht ausreden, sondern zeigte auf Vincents Schuhe, die noch neben der Tür standen. "Hör zu, ich finde das ganz und gar nicht schlimm, falls du das denkst. Ich finde es sogar gut. Nur ich möchte das du aufpasst. Zwar kenne ich Vincents Vater und weiß, dass er gut ist, aber man kann nie genug aufpassen."

Ich nickte. "Er ist das Beste was mir passieren konnte", schwärmte ich ihr vor.

"Das ist doch super", lächelte sie. "Und wegen gestern Abend, Joshs Vater wusste natürlich nicht, was dort vor sich ging und auch Josh selbst tut es sehr leid."

Ich verdrehte meine Augen. Das erste konnte ich glauben, das zweite erschien mir eher wie eine Lüge. "Okay", sagte ich nur und ließ mir nichts anmerken.

"So, ich muss dann auch los, sonst komme ich zu spät." Sie legte das Handtuch zur Seite und zog sich ihre Schuhe und war so schnell wie ein Blitz verschwunden. Sie war so dankbar für diese Arbeit, sie wollte es sich nicht leisten, auch nur einmal eine Sekunde zu spät zu erscheinen.

"Du gehst einfach?", hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum und dort stand Vincent im Türrahmen meines Zimmers. "War das jetzt eine einmalige Sache oder wie?" Er schien schockiert.

"Nein", sagte ich sanft. Ich hatte wirklich das Gefühl, ihn verletzt zu haben. "Ich bin doch noch hier. Ich wusste nur nicht, wie man sich nach so etwas verhält..."

Er grinste. "Das war doch nur ein Spaß." Vincent machte einen Schritt auf mich zu und legte langsam und vorsichtig seine Hände an meine Hüfte. "Und du verhältst dich einfach, wie davor auch. Es ist doch nichts passiert", flüsterte er.

Nichts passiert, schallte es in meinem Kopf. Wie konnte er das so nennen? Ich hatte fast meine größte Angst überwunden und er sah es als Nichts an?

Bevor ich meine Meinung dazu äußern konnte, klopfte es an der Tür. Ich löste mich also von Vincent und öffnete, obwohl ich immer noch meine Schlafklamotten trug. Ich traute meinen Augen nicht. Vor mir stand Josh. Aus Reflex schloss ich die Tür genauso schnell wieder, wie ich sie geöffnet hatte.

"Wer war das?", fragte Vincent mich und sah mich verwundert an. "Ein Räuber, oder wieso bist du so blass?"

"Josh", murmelte ich nur. Dann klopfte es wieder und ich öffnete noch einmal.

Josh musterte mich von oben bis unten, bevor er überhaupt etwas sagte. "Hey", brachte er nur heraus. Er wirkte beschämt und lächelte kein bisschen so, wie er es sonst tat. Dann sah er Vincent hinter mir und seine Mundwinkel zogen sich noch weiter nach unten. "Könnten wir reden, allein?"

Ich zuckte mit den Schultern und sah zu Vincent. Er sah mich nur fragend an und als ich nickte, verschwand er in meinem Zimmer.

"Ruf mich, wenn etwas ist", sagte er nur noch, bevor er die Tür schloss.

"Was möchtest du hier?", wollte ich von Josh wissen. Warum mussten er und Lesley mich immer weiter bedrängen? Ich verstand es nicht. Sie sollten mich doch einfach mein Leben leben lassen.

Er zögerte. "Ich wollte dir sagen", fing er an, doch redete nicht weiter.

"Was wolltest du mir sagen? Entweder du redest oder ich mach die Tür wieder zu."

"Es tut mir leid", sagte er.

"Was?" Ich wollte, dass er genau wusste, was er falsch gemacht hatte. Nicht, dass er es nur sagte, weil sein Vater oder sonst wer dies von ihm verlangt hatte. Er sollte solch einen Fehler nie wieder jemandem anderem gegenüber wiederholen.

"Das ich Lesley geglaubt habe. Ich hätte wissen sollen, dass du anders bist und das sie lügt. Und wenn es so gewesen wäre, wie sie sagte, dann wäre es nicht mein Problem gewesen und ich hätte dich trotzdem davor schützen sollen. Es tut mir leid, dass ich kein guter Freund war." Er sah mich erwartungsvoll an.

Doch er bekam nur eine kurze Antwort. "Danke."

Langsam wollte ich die Tür wieder schließen, doch er stellte einen Fuß dazwischen. "Das war noch nicht alles", erklärte Josh und nahm seinen Fuß wieder weg. Ich wartete gespannt. "Lesley sagte mir gestern Abend, sie würde abreisen und sich nie wieder bei irgendwem hier melden. Sie meinte, sie hätte ihren Fehler eingesehen." Ich sah, dass ihm das weh tat. Ich wollte auf keinen Fall durch meine Vergangenheit sein Glück zerstören, doch genau das hatte ich gerade getan.

"Es tut mir auch leid", sagte ich also. "Ich hätte von Anfang an offener mit allem umgehen sollen und von mir aus erzählen sollen, was mir passiert ist. Dann wäre alles vielleicht nicht so kompliziert geendet." Auch ich hatte Fehler gemacht und das sah ich ein. Jedoch war das Leben nicht einfach, wenn man sich für etwas zu sehr schämt, um es auch nur irgendwem zu erzählen. Doch nun wussten es so viele Menschen und nichts hatte sich ins Schlechte verändert, sondern eher ins Gute. Ich war stolz auf mich.

"Nein, ich kann dich verstehen. Niemals würde ich in solch einer Situation stecken wollen wie du, das muss grauenvoll sein. Ich hoffe, du kommst darüber hinweg und wenn nicht, dann ist das okay. Du musst deinen eigenen Weg gehen", sagte er.

Ich streckte ihm die Hand hin. "Freunde?"

Er nahm sie an und bestätigte. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Jetzt würde mir nichts mehr im Weg stehen, dachte ich zumindest...

WhyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt