Kapitel 34

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Mein Atem war schwer. Ich wusste nicht wohin, obwohl der Qualm der zum Himmel stieg mir die Richtung weisen sollte. Ich konnte nicht mehr. Meine Beine taten weh und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wusste nicht was los war. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun konnte, um zu helfen. Und all diese Gedanken kamen mir schon, bevor überhaupt die Möglichkeit gegeben war, zu helfen.

Der Qualm hatte den sonst so blau rosa Himmel in ein dunkles grau gefärbt. Er warf Schatten auf die Straße und verdunkelte meine Gedanken umso mehr. Der Sonnenaufgang war fast gar nicht mehr zu erkennen. Ich hatte nicht gedacht, dass bereits so viel Zeit vergangen war.

Trotz der Schmerzen hörte ich nicht auf zu rennen. Das Stechen in meinen Seiten tat zwar höllisch weh, aber ich würde mehr Schmerzen erleiden, wenn ich zu spät kam.

Es war schon komisch, wenn man darüber nachdachte, dass hiermit alles vorbei sein könnte. Alles, von dem ich die ganze Zeit nicht wusste ob es richtig war. Aber in diesem Moment merkte ich, wie sehr ich ihn in mein Herz geschlossen hatte.

Schon aus der Ferne konnte ich die Geräusche einer Sirene hören. Der Krankenwagen musste schon vor Ort sein. Wenigstens das erleichterte mich, aber ich hörte trotzdem nicht auf zu rennen. Ich bog in die nächste Straße, aus welcher der Qualm zu kommen schien, doch dort war nichts. Ich hatte mich getäuscht. Erschöpft blieb ich stehen und verschaffte mir einen Überblick. Es schien doch noch einige Straßen weiter zu sein. Also begann ich wieder zu rennen, als würde es um mein Leben gehen und nicht um seines. Ich bog ein paar Mal ab, dann war ich dort.

Ich verlangsamte meinen Schritt, als ich das Szenario direkt vor mir hatte. Dort lag Vincents Auto in einer Leitplanke. Die komplette Beifahrerseite war in sich gequetscht und auch die Fahrerseite schien einige starke Schäden abbekommen zu haben.

Ich wusste gar nicht, wo ich hinschauen sollte. Es war zu viel für mich und ich würde sagen, dass eine abrupte Überforderung meinerseits eingetreten war. Ich konnte mich nämlich nicht mehr daran erinnern, wie ich angefangen hatte zu weinen. Mein Herz hämmerte immer noch in meiner Brust.

Dann sah ich die Rettungskräfte im Hintergrund jemand tragen. Es schien Vincent zu sein. Sofort ging ich los und machte nicht halt, bevor ich nicht dort war. Viele Personen schienen mich auf dem Weg anzusprechen, doch ich blendete sie alle aus. Nichts war in diesem Moment so wichtig wie er. Ich musste unbedingt erfahren, wie es ihm geht.

"Vincent!", hörte ich eine Stimme aus meinem Mund kommen, doch es fühlte sich nicht so an, als sei es meine. Ich war wie in Trance. Ich denke, das war ein Schockzustand.

"Ms. wer sind sie?", blaffte mich jemand von der Seite an und hielt mich am Arm fest. 7

Erst versuchte ich mich loszureißen, doch es funktionierte nicht. "Lassen sie mich los", hatte ich noch gemotzt, doch der Mann ließ mich nicht gehen.

Er sah mich mit großen Augen an. Seine Sanitäteruniform verriet mir zumindest, was er hier wollte. "Sie können nicht einfach dorthin gehen. Der Patient ist schwer verletzt", erklärte er mir bedauernd.

"Ich bin seine Freundin", quetschte ich heraus, obwohl ich gar nicht wusste, ob das noch so wahr war. "Ich habe Sie doch angerufen", beteuerte ich weiter.

"Das alles tut mir sehr leid für Sie", sagte er. "Sie können leider nicht zu ihrem Freund. Er muss ins Krankenhaus und notoperiert werden. Sein Zustand ist kritisch. Außerdem muss ich Ihnen mitteilen, dass wir die Polizei alarmiert haben. Es wurden Schleifspuren an der Fahrerseite entdeckt. Wir glauben nicht an einen gewöhnlichen Unfall."

Das alles traf mein Herz, obwohl mir bereits klar war, dass all dies von jemandem mutwillig provoziert wurde. Meine Tränen hörten nicht auf, über mein Gesicht zu laufen.

Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern. Ich wusste nur noch, dass ich irgendwann auf dem Bürgersteig saß und dem Krankenwagen beim wegfahren zugesehen habe. Ich durfte später in das Krankenhaus kommen, hatte der Sanitäter mir erklärt. Allerdings sollte ich am Unfallort auf die Polizei warten und eine Aussage machen.

Als ich dort saß, nahm ich weinend mein Handy in die Hand. Es tute nur ganz kurz, dann hörte ich auch schon ihre besorgte Stimme. "Sofia?" Ich sagte nichts. "Sofia? Wo bist du? Wir suchen dich die ganze Zeit. Wir wollen nach Hause." Ich bekam wirklich keinen Satz heraus. "Weinst du?"

"Ja", schluchzte ich, so gut es ging, aus mir heraus.

"Was ist denn passiert?", hörte ich nun auch Charlotte fragen. Hannah hatte das Handy wohl auf Lautsprecher gestellt. "Wo bist du?", fragte sie noch, nachdem ich wieder nichts herausbekam.

"Vincent ist im Krankenhaus", sagte ich, auch wenn es einige Sekunden dauerte, diesen Satz in meinem Kopf zusammenzufügen.

"Wie?" Hannah verstand gar nicht, was hier vor sich ging. Vielleicht wollte sie es auch einfach nur nicht verstehen. Ich hätte es auch gerne nicht geglaubt.

Meine Tränen liefen und liefen. Meine Augen fühlten sich schon fast trocken an und der Kloß in meinem Hals wurde eher größer als kleiner. Es war das schlimmste Gefühl, dass ich jemals gefühlt hatte. Die Gefahr zu haben, einen wichtigen Menschen zu verlieren war für mich schlimmer, als das was vor einem Jahr passiert war. Vielleicht ja auch genau deswegen, weil er der war, der mir aus all diesen schrecklichen Gefühlen herausgeholfen hat. "Er wurde mit Absicht von der Straße gedrängt", weinte ich. "Ich habe es gehört."

"Sag uns sofort die Adresse!"

Es dauert nicht lange, bis ein Taxi vorgefahren war und meine beiden besten Freundinnen ausstiegen. Sie rannten auf mich zu und vergaßen fast, den Fahrer zu bezahlen. Doch dieser schien vollkommen Verständnis für die Situation zu haben. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis die Polizei kam. Sie stellten mir Fragen über den Anruf, die ich alle beantwortete. Es dauerte etwas, wieder alles zusammenzukriegen, doch ich schaffte es. Den Rest des morgens saßen ich, Hannah und Charlotte einfach nur dort und starrten den Himmel an.

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