Oh wie fühle ich den Abschied

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Unser letzter Abend in den Feuerhallen brach an. Von meinem Fenster aus, konnte ich im Sonnenuntergang die ersten sich an den Hängen der Berge ausbreitenden blauen Flecken des Frühlingsenzians erspähen. Immer wärmer wurde es, Regen fiel kaum noch und viele Stunden Tageslicht werden die bevorstehende Rückreise angenehm und schnell vonstattengehen lassen. Wie freue ich mich bereits auf die heimatlichen Hallen. Auf Dís und Vilí und Jassin und oh den kleinen Fili. Einen ganzen Monat sah ich ihn nicht mehr und die Erwartungen, was er in diesem alles Neues lernte und wie groß er geworden ist, lässt mich freudig erzittern. Zuvor allerdings, müssen wir eine letzte hochoffizielle und steife Verpflichtung wahrnehmen ... das Abschiedsbankett.

Eines der mitgebrachten Ballkleider trage ich anlässlich. Trotz schlichtem Schnitt und enzianblauem Stoff, wirkt es edel an mir, nicht zuletzt aufgrund des farblich abgestimmten Seidenhalsbands, an dem ein herzförmig geschliffener Anhänger aus Grandidierit baumelt und den dazu passenden Ohrringen. Bisher zufrieden mit dem von Amia gezauberten Aussehen, betrachte ich mich im Spiegel. Bei allem das mir in diesem Reich Schlechtes widerfuhr, was ich sah und hörte und erlebte, sie wird eine der wenigen sein, die mir dennoch fehlen werden.

„Wie möchtet Ihr Eure Haare frisiert haben?", fragt sie schließlich und hält bereits Kamm und Haarklammern in den Händen. Überlegend neige ich den Kopf. „Überrasch mich einfach", gebe ich letztlich als Antwort. Kunstvolle Frisuren vermag sie mit den goldenen Locken herbeizuzaubern, in denen Perlen und Samtblüten, Silberspangen und Seidenbänder lediglich ergänzende Zierden sind. Sie lächelt schüchtern und die Traurigkeit, die ob des bevorstehen Abschieds uns beide gleichermaßen dunkel umhüllt, verblasst für einen Augenblick.

Jedoch noch bevor sie beginnen kann, klopft es an der Tür. Ein wohlbekannter Schlag. Kräftig und selbstsicher ausgeführt. Die Bitte einzutreten nur der Höflichkeit und des Anstands willen erfolgt, denn das Recht hat er seine Dienerin jederzeit aufzusuchen. Daher schnell erteile ich die Erlaubnis und erhebe mich, um ihn respektvoll zu begrüßen. Auch Amia knickst ehrerbietig vor dem König der Langbärte, tiefer noch als ich, wohl überdies, damit er die aufsteigende Aufgeregtheitsröte in ihrem Gesicht nicht entdecken kann. Unlängst gestand sie mir, dass besonders seine Augen einen undefinierbaren Reiz auf sie ausüben. So unerforschbar wie ein kalter Bergsee und genauso überwältigend in faszinierender Schönheit, schwärmte sie voller Entzücken.

„Würdest du uns alleine lassen, Mädchen", befiehlt Thorin wortkarg mit der gewohnt strengen Stimme, die er bei nicht nahestehenden Dienern verwendet. Amia nickt schnell, aber entfernt sich nicht ohne einen letzten flüchtigen Blick auf ihn. Ich finde die leichte Röte bezaubernd, die sogar vermag die Sommersprossen ihres Gesichtes zu verschlucken. Früher einmal, reagierte ich genauso auf ihn.

„Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Majestät?", möchte ich wissen, sobald die Tür hinter ihr klackend in ihr Schloss fiel. Einen Grund muss er haben mich aufzusuchen. Verärgert darüber, dass ich mich bisherig nicht um ihn bemühte, kann er nicht sein, denn eine ganze Stunde ist es noch bis zum Bankett und er legte bereits alleine einen großen Teil seiner Festkleidung an.

Er senkt daraufhin allerdings befremdlich den von plötzlicher Demut erfüllten Blick. „Wie kann ich es dir?" Zutiefst verwirrt von dieser Frage, schüttle ich den Kopf. „Warum solltet ..." Nur flüsternd-gehaucht kommt die Nachfrage über die zitternden Lippen und nicht ungelegen, wird sie von ihm unterbrochen. „Du hast mir ... uns ... unserem Volk ... unserem Reich ... einen großen Dienst erbracht, für den ich dir nicht nur schnöden Dank schuldig bin. Du kannst von mir verlangen, was auch immer du begehrst. Reichtümer, Titel, Ehren, Habschaften, Gefälligkeiten, Vergünstigungen, was ich zu geben fähig bin, soll dir gehören."

Ich schlucke schwer, denn das Angebot überfordert unmäßig. Was ich alles von ihm einfordern könnte. Dass er mich in den Rang einer Fürstin oder noch darüber hinaus erhebt, verbunden mit Würden und Besitztümer jenseits meiner Vorstellungskraft, auch wenn dieses beschwerlich umzusetzen wäre, denn unmündig darf ich so hohe Stellung eigentlich nicht tragen. Dass er mich aus seinem Dienst freigibt. Dass er mir ein Leben in Luxus und Eigenverantwortlichkeit bereitet, fern von den Verpflichtungen und Zwängen, Regeln und Beschränkungen einer in dem Besitz ihres Herren stehenden Zofe. Frei wäre ich dann zu entscheiden, welche Tätigkeiten ich nachgehen und vor allem, wem ich irgendwann einmal freiwillig angehören will. Er riskiert viel mit diesem Angebot und ist sich dessen gewiss nur allzu bewusst. Jedoch weiß er genauso gut, dass ich aus solcherlei keinen Wert lege. Macht, Ansehen, Besitz ... nicht davon ist mir wichtig.

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