Die Lichtung im Wald

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Triggerwarnung: Ich weiße ausdrücklich daraufhin, dass in diesem Kapitel Handlungen und Ereignisse thematisiert und beschrieben werden, die verstörend wirken könnten. Bitte lest dieses nicht, wenn folgende Umstände traumatisierend auf euch einwirken oder mit einem erlebten Trauma im Zusammenhang stehen: Selektion, Gewalt an Frauen und Kindern, Sklaverei.

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Viele Tage vergehen, so jedenfalls sagt mir mein Gefühl, denn Sonnenschein, Abenddämmerung und Morgengrauen sah ich schon lange nicht mehr. Immerwährendes Zwielicht umschließt uns. Wenn die Fackeln verbrennen und dies nicht von unseren Entführern bemerkt wird, dann versinkt die Zelle sogar in vollkommene Dunkelheit. Nur schwer vermögen die müden Zwergenaugen sie zu durchdringen, denn erholsamen Schlaf finden wir alle nicht. Hunger und Durst quält uns meist. Jedoch nichts ist so schlimm, wie die immer mehr in Hoffnungslosigkeit schwindende Zuversicht bald gerettet zu werden.

„Ich vermisse Amad so sehr", jammert Fili in meinem Schoß. Tröstend streiche ich über seinen zerzausten Kopf. Wie gerne würde ich ihm sagen, dass alles gut wird, er sie, Vater und Bruder bald wiedersieht. Allerdings selbst daran zu glauben fällt mir immer schwerer.

Der Blick erfasst Jassin, die mit einer Hand auf ihren Bauch gebettet mir gegenübersitzt und eingenickt ist. Meine Rationen an Brot und Wasser überließ ich ihr und dem zum Glück so wie es scheint gegen alle Widrigkeiten weiterhin wachsenden Kindchen in ihrem Leib. Lange können wir Zwerge ohne Nahrung überleben, jedoch immer mehr bemerke ich, wie der Mangel an den benötigten Kräften zehrt.

Plötzlich wird die Tür zur Zelle aufgeschlossen. Die Gefangenen zucken erschrocken trotz der lähmenden Angst und Erschöpfung zusammen. Alle drei unserer Entführer kommen herein, ein unregelmäßiges Ritual, um nach dem Rechten zu schauen oder uns zu versorgen, gleichwohl wird mir gewahr, dass heute irgendetwas anders zu sein scheint, denn Schwerter führen sie mit sich und sind vollständig dunkel gekleidet.

„Steht auf, alle!", harscht Abarrons Scherge uns an. Wir gehorchen, wenn auch einige der Frauen zusätzliche Hilfe benötigen. Schauderhaft schwach sind sie, ausgemergelt, verletzt, eingeschüchtert und zermürbt von Angst, Verzweiflung und der Ungewissheit, was wohl mit den Kindern und ihnen geschehen wird. Ich stütze Magda, während sich Filis Hände in den Stoff meines Kleides krallen. Die alte Zwergin hustet ob der Anstrengung. Die Strapazen und Entbehrungen über so lange Zeit setzten ihr sehr zu und kaum einen Schritt kann sie nunmehr alleine gehen. Täglich zerfiel Leib und Lebenswille immer mehr.

Die Zwerge lassen uns vor sich in einer Reihe Aufstellung nehmen, schreiten diese auf und ab, begutachten jeden Einzelnen ihrer Gefangenen genau. Ich befürchte, welchem schrecklichen Zweck diese Beschau dienlich ist, und bemühe mich daher, Magda ein klein wenig aufzurichten, damit ihre Schwäche nicht allzu sichtbar wird.

Ich flehe still, als der Einarmige genau vor uns zum stehen kommt und missgestimmt knurrt. „Zu alt und zu klapprig", bestimmt er schließlich und fasst nach Magdas Arm. Ich halte sie jedoch weiterhin fest an mich gedrückt. „Ihr könnt doch nicht ...", wage ich den Versuch, ihn umzustimmen, dennoch keinen Funken Erbarmen zeigt sich in seinem Angesicht. Grob zerrt er sie von mir fort und ohne die Unterstützung, bricht die geschwächte Zwergin unversehens zusammen.

Ich will zu ihr stürmen, aber Jassin hält mich zurück. Die Gefahr ebenfalls ausersehen zu werden, ist zu groß. Tatenlos und vor schmerzender Wut zitternd, muss ich also mit ansehen, wie Magda, die gute, alte Frau, die mir mehr als einmal bereits half, gemeinsam mit weiteren die zu greis, zu jung, zu abgezehrt, sichtbar schwanger oder einfach als nicht tauglich für was auch immer nun kommen mag, zur Wand gegenüber geschleift werden.

Mütter halten in Verzweiflung ihre Kinder fest, die ihnen entrissen werden sollen. Ihre Schreie sind schrecklich. Schrecklicher als jedes Jaulen von Orks. Schrecklicher als jedes Wehklagen über Gefallene. Tränen rinnen mir über das Gesicht. Wie grausam können unsereins nur sein, wie herzlos, wie unberührbar. Niemals vorzustellen vermochte ich mir dies.

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