Der fremde Besuch, der mir bekannt sein sollte

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Jeder der sieben Zwergenvölker gestaltet seine Rüstungen eigen. Symbole, Runen, Materialien, Verzierungen, Machart, kein Harnisch, kein Helm, keine Bein- oder Armschiene gleicht denen einer fremden Sippe. Das gleichwohl auch innerhalb dieser Unterschiede bestehen können, erahnte ich jedoch nicht, bis die klirrende Kriegerschar aus den Eisenbergen Ehrfurcht gebietend in unsere Hallen einmarschieren. So viel anders als die unseren erscheinen sie mir. Grober, raubeiniger, ernster, größer sogar. Ihre Gesichter verborgen unter klobigen, eisengrauen Helmen, die einzig neben den Nasenstegen hervorblitzenden Augen dunkel und die oft rotstichigen Bärte zausig, in dicken Zöpfen geflochten und ungeschmückt.

Ebenfalls zu den Langbärten gehören sie, stammen aus Durins Geschlecht, zogen jedoch weiter, als unser Volk unter König Thrór den Erebor erneut besiedelte, und fanden ihr Heim im östlicher gelegenen Gebirgszug, das reich an ergiebigen Eisenvorkommen ist. Allerdings forthin in Gutsinn verbunden blieben wir. Kämpften in der Schlacht um Azanulbizar Seite an Seite, treiben selbst über die weite Entfernung hinweg untereinander Handel und ab und an, lassen es die Verpflichtungen des jungen Königs Dáin zu, dass er auch die verwandtschaftlichen Beziehungen mit einem Besuch pflegt. Thorins und Dís' Vetter ist er, jedoch sehr viel anders als und doch eigenartig mit ihnen vergleichbar erscheint er mir.

Seine Rüstung entspricht in ihrer grobkantigen Einfachheit und materialverschwenderischen Stärke denen der Krieger unter seiner Führung. Lediglich der Brustpanzer, der zusätzlich mit zwei goldenen Ebern die sich mit mächtigen Hauern gegenüberstehen, verziert wurde, und ein Kamm aus langen Borsten, der den übergroßen aber dennoch in seiner Machart edel geformten Helm krönt, zeichnen ihn als obersten Heerführer aus.

Beachtenswert behände steigt er von seinem Reittier, einem winterfellzausigen Widder mit gewaltigen nach hinten gebogenen Hörner, ab und wirft dem bereits dienstbeflissen neben ihm wartenden jungen Anwärter der Torwache die Zügel zu. Auffallend groß und breit gebaut ist er. Bei einem Nachfahren des Hauses Durins nichts Ungewöhnliches, dennoch erscheint er im Vergleich zu Thorin und Dwalin geradezu riesenhaft. Herzlich breitet er die Arme aus und der steinrote in einem einzelnen Strang geflochtene und mit zwei hohlen Eberhauern verzierte Bart rutscht durch die Bewegung hinter seinem goldenen Gürtel hervor, während er auf uns zukommt.

„Thorin, mein Bester!" Seine Stimme dröhnt donnernd tief durch die Eingangshalle. Der Angesprochene senkt den Blick zur Begrüßung. Nur minimal, lediglich genug, um der Höflichkeit zu entsprechen. Nahezu gleichgestellt in Rang und Namen sind sie. Ihre beider Reiche mächtig, wenn auch gemessen an der Herrlichkeit und dem Reichtum vergangener wenig überwältigen. Zumindest in ihren Augen.

Geradezu befremdlich herzlich schließen sich die beiden Zwerge in die Arme, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und scheinen dabei sehr vertraut. Selten sehe ich Thorin vor aller Augen so offen jemanden gegenüber handeln. Gemeinsam in Schlachten kämpften sie, ihre Väter standen sich bereits nahe und einige Jahre lebte Dáin als Envoyé am Hofe des Erebors, um Manier, Anstand und Staatskunst des alten Reiches unter König Thrór kennenzulernen. Nur wenig jünger ist er als Dís, die er danach nicht minder innig in die Arme schließt. Von plötzlicher schwerer Trauer ist sein Gesicht jedoch dabei gezeichnet. Er flüstert ihr etwas zu, das ihre Augen sich mit Tränen füllen lässt.

Thorin nimmt Kili auf seine Arme und Fili an die Hand, um sie mit sichtbaren Stolz als seine Schwestersöhne zu präsentieren. Seinem Schwager hätte diese Ehre eigentlich gebührt und erneut huscht Trauer über das Antlitz des bulligen Zwerges, als er sich zum Älteren hinunterbeugt, die große Hand auf seine noch zierliche Schulter legt und ihm ebenfalls etwas zuflüstert. Fili nickt jedoch eifrig und scheint begeistert von dem Erzählten. Auch Vilí und Dáin werden sich also gekannt haben. Traurig und glücklich zugleich stimmt es mich, denn kann er den Kindern wohl einiges an Geschichten und Abenteuern berichten, die sie gemeinsam erlebten und ihnen noch nicht bekannt sind..

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