Begraben unter Stein

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Der nächste Morgen beginnt, wie der vergangene Tag endete. Trüb und schmerzerfüllt. Unwillig bin ich, die Augen zu öffnen. Trotz der Taubheit, die noch immer Körper und Seele belastet, ist mir äußerlich warm und wohlig zumute. Nur einen Moment länger möchte ich in diesem Gefühl verweilen, bevor die bitterkalte Düsternis mich erneut einholt.

Mühsam nur, entschwindet der Schlaf. Geträumt habe ich, jedoch ist mir nicht mehr gewahr, welche Gespinste diese mir zeigten. Froh darum, öffne ich schließlich die Augen und versinke unvermittelt in Iriden erfüllt mit frostklirrenden Eiswasserseen, deren Besitzer mich wohl aufmerksam beobachtete. Thorin verzieht die Mundwinkel zu einem sanften Lächeln. Besser sieht er aus. Ausgeruhter. Weniger bekümmert als am Abend zuvor, gleichwohl rot-geschwollene Stellen um seine Augen von den vergossenen Tränen zeugen.

„Konntest du ein wenig erholsamen Schlaf finden?", fragt er mit gedämpft rauer Stimme. Ich nicke, denn ja, beachtenswert angenehm war dieser an seiner Seite. Nicht nur Träume verschonten mich, die von den Ereignissen der letzten Tage handelten, sondern auch die Bilder vergangener Schlachten und von Geschehnissen die mich sonst in ihnen verfolgen, blieben ungesehen. Seltsam. Aber vielleicht ist es nur die Sicher- und Geborgenheit, die das Gemüt gewohnt immerzu in seiner Nähe beruhigt, die dies hervorbrachte.

Ruhig ist es im Anwesen, trotzdem es bereits vollständig erwachte. Jeder bewegt sich wie betäubt, achtet darauf, kein Geräusch zu verursachen, redet nur gedämpft und erledigt lediglich Notwendiges. Die Tage der Trauer sind vor allem Tage der Stille. Aber auch wenn sie vorbei sind, lange wird es dauern, bis Lachen und heitere Gespräche wieder Einzug halten werden.

Mein nächster Weg, nachdem ich Thorin und anschließend mich zurechtmachte, führt in das Gemach der Herrin. Die schweren Vorhänge halten das goldene Herbstsonnenlicht davon ab hinein zu gelangen. Kalt ist es, denn das Kaminfeuer ging unlängst aus und wird erst von mir angeschürt. Wohl keiner der anderen Dienstmägde traute sich, Dís mit ihrer ungebetenen Anwesenheit zu stören. Daher noch im Bett verweilt sie. Schlafend, wie ein kurzer Blick verrät. Ich wecke sie nicht. Dringend benötigt sie die Ruhe.

Fili und Kili sind dagegen bereits wach und werden von Fenna in der Gesindeküche mit einem opulent reichhaltigen Frühstück bestehend aus all ihren Lieblingsspeisen verwöhnt. Auch wenn sie sich an die Stille der Trauerzeit halten, es ist eine Wohltat sie zumindest mit über und über schokoladeverschmierten Mündern lächeln zu sehen. Ich setzte mich zu ihnen und obwohl keinerlei Hungergefühl herrscht, esse ich Fenna zuliebe mit Genuss eines der Omeletts.

„Meister Dwalin kam die Nacht nicht nach Hause", erzählt die alte Zwergin schließlich und serviert mir, trotzdem ich signalisiere mehr als satt zu sein, ein weiteres. Nachvollziehbar ist ihre Sorge um den Krieger, jedoch bei weitem nicht das erste Mal, blieb er seinem Bett fern. „Er wird bestimmt in einer Kneipe übernachtet haben", beruhige ich sie daher. „In einer Spelunke wohl eher. Der Junge hat ein Talent dafür, sich solcherlei auszusuchen und in seinem Zustand Streit mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten anzufangen." Sie seufzt schwer und wischt Kili sorgsam den Mund ab, an dem nun zusätzlich noch Erdbeermarmelade klebte.Ich stelle mir vor, wie sie dies einst wohl auch bei ihm tat.

Recht hat sie leider und ich hoffe auf das Gegenteil. Aber gleichwohl Balin, der kurze Zeit später zu uns kommt, weiß nicht, wo sein Bruder steckt. „Ich werde Thorin bitten, ihn suchen zu dürfen", schlage ich daher vor, eine Ahnung habend, in welcher Wirtschaft er einkehrte.

Jedoch dazu kommt es nicnt, denn als ich mich auf den Weg zum Salon mache, in dem Thorin nach einer Beratschlagung mit Ratsmitgliedern über das weitere Vorgehen und den Ablauf der Beisetzung verweilt, tritt er durch die Eingangstür. Allerdings allein ist er nicht. Ein kleiner Junge, etwas jünger als Fili, klammert sich an sein Bein und einen Säugling trägt er auf den Arm, vermutlich erst wenige Tage alt. Das Gesichtchen des Älteren wirkt vor Hunger eingefallen und ebenso davon trübe Augen blicken ängstlich umher. Ich erinnere mich ihrem Ausdruck aus einem früheren Leben, als mich solcher nicht minder quälte nur zu gut, aber gleichwohl eigenartig bekannt kommen sie mir vor. Er ist gekleidet in schmutzige und teilweise zerrissene Lumpen. Der Säugling wimmert leicht und ist kaum zu sehen zwischen den Muskeln des massigen Arms. Auch er wurde lediglich in ein wenigsten halbwegs sauberes Leinentuch eingewickelt.

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