Schlaflied

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Oh Mahal, ich flehe dich an. Jedweden Tribut, den du von mir verlangst, erbiete ich dir ohne aufbegehren, wenn du nur dieses neuerliche Unglück verhinderst, das uns droht heimzusuchen.

Nur wenige Schritte sind es zum Gemach der Prinzessin. Jedoch sie fallen mir so unfassbar schwer. Alles um mich herum wirkt so surreal, verschwommen, dumpf, wie in Nebel gehüllt, beinahe, als würde ich sie im Traum gehen. Zur Tür stürme ich herein. Im Vorzimmer wuselt es von Zwergen. Dienerinnen, Hebammen, inmitten von ihnen Thorin, der leise mit Oin spricht. Erschlagen von Kummerschwere und Sorgenlast wirkt er und das Lächeln, dass er mir schenkt, ist unleidlich gekünstelt. „Versucht euer Bestes", heißt er Oin, mit dem Wissen, dass sie natürlich alles in ihrer Macht Stehende bemühen werden, aber die Aussicht dennoch trüb ist.

In Dís Schlafgemach ist es warm und nach dem Gedränge im Salon angenehm ruhig. Jedoch allzu erschreckend laut hört man dadurch das Schnaufen und Stöhnen der Herrin, die verzweifelt versucht, die Wehen zu bekämpfen.

Yrsa kommt auf mich zu. Die Geburt – sollte es, so Mahal es nicht verhindern kann, dazu kommen - wird sie als Hebamme leiten und ich werde ihr und Dís als Nan'ul hasûna Beistand leisten. „Was ist geschehen?", möchte ich unvermittelt wissen. Meine Freundin nimmt mich bei der Hand und sucht eine Ecke der Stube, um so die Gefahr zu mindern, dass die Gebärende uns hört.

„Nach etwa einer halben Stunde wachte sie aus der Ohnmacht auf, war aber weiterhin sehr benommen und weinte fürchterlich über den Verlust. Wir versuchten sie zu beruhigen, wohlwissend, welche Auswirkungen der Kummer haben könnte. Aber ... sie ... Mahal weiß, ich würde an ihrer Stelle ebenso tief und unstillbar trauern." Yrsa schlägt die Augenlider nieder. Einen kurzen Moment stellte sie sich dieses Unglück vor. Gloin ist gleichfalls ein Krieger, wenn er auch weniger oft der Gefahr der mit Schwertern bewaffneten Feinde ins Angesicht blicken muss. Seine Gegner sind vielmehr die Finanzen des Berges. „Wir gaben ihr bereits starke wehenhemmende Mittel, aber sie zeigten bisher keine Wirkung."

Ein Zittern durchschießt mich. „Wie weit ist die Geburt schon fortgeschritten?" Sie senkt den Kopf und atmet schluchzend. „Beinahe so weit, dass wir sie nicht mehr aufhalten können. Das Kind ist zu klein, es wird diese wohl nicht überleben." Viel weinte ich in den letzten Tagen. Trauerte um Vilí und die anderen Gefallenen. Grausam waren ihre Tode, aber ich weiß nicht, ob ich diesen einen, der bald unweigerlich hinzukommen soll, verkraften kann. Und wenn ich bereits daran verzweifeln werde, wie wird es wohl der Herrin ergehen.

Daher einen starken Beistand will ich ihr darin sein. Einen dafür benötigten Moment der Schwäche nehme ich mir deswegen heraus und bitte Yrsa, da ich weiß, gerade sie wird ihn mir nicht als solchen auslegen, mich tröstend in die Arme zu schließen. Ich weine nicht. Schluchze nicht. Tränen habe ich nicht mehr. Die Kehle ist bereits wund. Gleichwohl schmerzt der Kummer unverändert sehr.

Erst danach getraue ich mir an ihre Seite zu treten. Beruhigend streiche ich ihr über die schweißnasse Stirn. „Es tut mir so leid", flüstere ich und selbst der stärkste Wille verhindert nicht, dass die heißere Stimme zersplittert. Aber Dís greift nach meiner Hand, betrachtet mich mit sanften Augen, in denen jedoch die Furcht nur allzu deutlich loht. „Ich bin so froh, dass ihr bei ihm ward und wiedergekommen seid." Ich öffne den Mund, will etwas erwidern, gleichwohl kein Wort des Trostes oder Zusprache getraut sich, über die Lippen zu kommen. Überdies das Verlangen danach ist zweifelhaft. Existiert ein solches überhaupt in ihrer Situation? Eine schmerzhafte Wehe verhärtet plötzlich ihren Körper. Stark ist sie. Verzweifeln lässt sie uns.

Sie bleibt nicht die Letzte, obwohl die Hebammen alles versuchen. Baldrian, Hopfen, Melisse, Thymian ... als Sud, Öl, Riechmittel, damit getränkte Einlagen ... nichts vermag zu wirken. Schließlich unabwendbar ist das Schreckliche geworden und Yrsa muss die Prinzessin bitten zu pressen. Die Wehen sind treibend und da das Kindchen noch sehr klein ist, geschieht die Geburt schnell. Nur wenige Male Anstrengung, in denen ich sie unterstützen kann, benötigt es, dann hält Yrsa das winzige, blasse Bündel in den Händen. Kein Schrei erklingt. Nicht nach einem Augenblick, nicht nach zwei. Niemals ...

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