Erkenntnis

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Alle schmerzt mir. Kopf, Schultern, der Arm, den ich kaum mehr bewegen kann, einige Stellen, an denen mein Angreifer mich mit der Faust traf. Hunger und Durst plagen. Die Ausweglosigkeit der Situation ist unerträglich. Nur Filis Krauskopf, der in meinem Schoß zur Ruhe gekommen ist und sein gleichmäßiger Atem, spenden ein wenig Seelenfrieden.

Mit müdem Blick sehe ich mich abermals in dem engen Gewölbekeller um, in dem wir seit Stunden harren. Seine Wände sind uneben, weisen aber keine Vertiefungen auf, dafür allerdings schmale parallel verlaufende Scharten. Vermutlich mühsam eingeritzte Zeugnisse der Zeit, die einst jemand hier verbrachte. An einigen Stellen wurden Haken in das Gestein gedreht. Längst verrostete Eisenketten, teilweise mit Beschlägen an den Enden, baumeln vor sich hinbröselnd an ihnen herab. Dieser Ort hat viel Schrecken und Elend gesehen, das murmelt der Stein mit wispernden Stimmen wie sie nur von Geistern stammen können. Die Seelen der Leidenden drangen in ihn, nachdem sie ihre Körper verließen und damit nie zu Mandos in seine immer wachsenden Hallen wandern konnten. Ich hoffe so sehr, dass die vielen Kinder die in den Armen ihrer Mütter und Ammen liegen, diese noch nicht zu hören vermögen.

„Euer Arm ... ist er gebrochen?", flüstert es plötzlich neben mir. Ich schaue zu der Lumpen tragenden, unweit kauernden Gestalt hinüber und erschrecke fürchterlich. „Bei Mahal, Magda." Die alte Heilerin, die einst verzweifelt versuchte, meine Mutter von der Schwindsucht zu heilen, nickt mir begrüßend zu. Lange sah ich sie schon nicht mehr, suchte aber nach ihr, denn in dem Spital, dass ich mit aufbaute und bei dem Balin mir die verantwortungsvolle Aufgabe zutraute, auch einige Heiler und Hebammen auszuwählen, wollte ich ihr eine Anstellung verschaffen.

Unwahrscheinlich ist es, dass sie mich erkennt, veränderte doch nicht nur das Alter mein Aussehen in den letzten Jahrzehnten seitdem. Sie sieht in mir wohl eine Adlige und verengt daher den darüber verwunderten Blick, dass ich sie mit Namen kenne. Zweifelnd, ob es gefährlich oder förderlich sein wird, wenn der Umstand aufgeklärt wird, schweige ich deshalb lieber diesbezüglich und antworte stattdessen auf ihre Frage. „Nein, vermutlich nur ausgekugelt." Die Heilerin beugt sich zu mir und berührt mit schmutzig-hageren Fingern meine Schulter. Kaum mehr zu spüren vermag ich etwas anderes außer den Schmerz, was kein gutes Zeichen ist. Einklemmt könnten wichtige Blutgefäße, der Knochen gesplittert, Muskeln und Sehnen unheilbar verletzt oder sogar gerissen sein. Je länger der Umstand andauert, umso wahrscheinlicher wird es, dass ich den Arm niemals mehr bewegen kann. All das weiß die Heilerin besser als ich. „Wir müssen ihn wieder einrenken", sagt sie daher mit Eile in der durst-heißeren Stimme.

Jassins Tochter nahm mir Fili ab und sie sowie weitere Frauen, die mit uns in dem Wagen hierher kamen, fixieren meinen Körper auf dem Boden, während sich die Heilerin neben mich platziert. Schmerzhaft wird die Prozedur werden, jedoch schnell vonstattengehen, so versicherte sie, um mir Mut zuzusprechen. Ich schließe die Augen und versuche, die Gedanken auf etwas Wundervolles zu lenken. Der Moment, als Dwalin den Dolch an mich übergab, erscheint mir deutlich. Traurig war ich zu dieser Zeit, denn ein vermeintlicher Abschied voneinander stand bevor. Auszuziehen zur Suche nach König Thráin wollte er damals, jedoch anders als gedacht, durfte ich sie begleiten. Zur Verteidigung vor all dem Bösen auf dieser Welt sollte er mir dienlich sein. Währenddessen habe ich ihn nie benötigt, auch danach nicht, trotzdem immer bei mir führe ich ihn. Mit seinem Gewicht am Gürtel fühlte ich mich beschützt, denn mehr als nur eine Waffe ist er. In unserer Kultur übergibt der Mann an die Frau sieben Werbungsgeschenke. Eines davon ist ein Mittel zum Selbstschutz ... damit Schwert und Axt der zukünftigen Liebe nichts anzuhaben vermag. Jedoch bezweifle ich, dass Dwalins Geschenk ein solches symbolisieren sollte. Dennoch war es verbunden mit so viel mehr als nur Freundschaft. Er wusste, nicht immerzu kann er mir beschützend zur Seite stehen, daher und nicht gänzlich uneigennützig, gab er mir Mittel und Fähigkeiten, mich alleine zu behaupten, in dieser Welt voller Gefahren.

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