Ein Freund in der Schlacht

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Spät ist es geworden. Während ich in meinem Gemach in die Flammen des Kaminfeuers starrte, beschloss ich, den Brief Thorin nur auf Verlangen zu zeigen oder von seinem Inhalt zu berichten. Zu viel steht darin, von dem er vielleicht bereits aus der Korrespondenz mit König Lothin weiß und andererseits nichts wissen sollte. Unmut könnten Lórids Worte bei ihm heraufbeschwören. Antworten würde mein Herr ihm mit Unmissverständlichen. Ihn zurechtweisen und verdeutlichen, dass er solcherlei zu unterlassen hat. Möglicherweise sogar seinen Vater davon unterrichten und dies würde zu erheblichem Ärger führen. Nicht umsonst wurde der Brief wohl zwar in der einsamen Ruhe seiner Gemächer geschrieben, aber hastig versiegelt, damit er unauffällig einem Soldaten oder Händler vor der Rückkehr in unsere Hallen mitgegeben werden konnte.

Als ich den erwärmten Blick vom Feuer zur kleinen Uhr hebe, die auf dem Sims des Kamins neben einer beachtlichen Sammlung von Steinen, Drusen und zu unterschiedlich großen Kugeln polierten Kristallen steht, erschrecke ich fürchterlich. Viel zu spät ist es bereits. Thorin erlaubte das Zurückziehen nur für die Zeit, die er benötigt, um den ihm zugegangen Brief zu lesen und ihn zu beantworten. Längst fertig wird er damit sein und ich aufgrund dessen unerlaubt abwesend.

Schnell springe ich auf und haste zur Tür. Während des ruckartigen Öffnens stoße ich beinahe mit Jassin zusammen, die wohl gerade anklopfen wollte. „Astâ", japst sie erschrocken und fast sich theatralisch an die linke Brust. „Wegen deines Ungestüms bekomme ich irgendwann noch einmal einen Herzinfarkt." Ein Lächeln lässt sich trotz der schrecklichen Androhung nicht unter dem tadelnden Gesichtsausdruck verbergen. Jedoch sogleich ernst wird sie wieder. „Ihre Majestät sucht nach dir, du sollst sofort in die Bibliothek kommen." Ich schlucke die aufsteigende Beklemmung hinunter, entschuldige mich kurz für den Beinahezusammenstoß mit einer Umarmung bei ihr und stürme dann weiter.

Das harte Eschenholz der Bibliothekstür fühlt sich warm an, als ich zur Ankündigung mit festem Schlag dagegen klopfe. Jedoch nicht so wie ihr vielleicht vermutet das Feuer des großen Kamins, eingelassen in die ihr gegenüberliegende Wand, bewirkt diese Erscheinung. Vielmehr sind es die abertausenden Bücher die dahinter geduldig darauf warten bestaunt und gelesen zu werden. Jeder der heldenhaften oder phantastischen Geschichten in ihnen, das in Jahrhunderten zusammengetragene Wissen, die vielen Sagen und Mythen, der Mut, die Courage und Liebe der Protagonisten zueinander, strahlt eine mächtige, in ihrer Eigenheit beispiellos Wärme aus, die selbst die ideenloseste Umgebung vermag zu erfüllen.

Die vertraute tiefe Stimme von Thorin bittet hinein. Verärgert klingt sie nicht, gleichwohl mir dem Vergehen der Verspätung bewusst, wird der höfliche Knicks, nachdem ich eintrat, begleitet von einem Verzeihung erbittend gesenkten Blick. Jedoch beachtet werde ich nicht. Als gerechte und vor den anderen Anwesenden unbemerkte Strafe könnte dies bewertet werden, denn ist es doch einer Dienerin höchste Freude, sie von ihrem Herren geschenkt zu bekommen. Stattdessen wird das durch mein Erscheinen unterbrochene Gespräch weitergeführt. Vilís Stimme erkenne ich. Sie erzählt von einem bedeutenden Ereignis, das gut vorbereitet werden muss.

Balin brummt zustimmend, jedoch auch ein Maß an Missmut findet sich darin. Nut zwei Dinge vermögen es ihn in solch mürrische Gemütsverfassung zu versetzen: Eine von Thorin impulsiv erdachte Torheit oder viel Arbeit ohne ersichtlichen Gewinn. Das eine beschwört zuweilen das andere herauf, gleichwohl glaube ich nicht, dass sie dieses Mal von ihm direkt verursacht wird. Ein eigenartiger Hauch durchwogt die Bibliothek. Von Erwartung gebunden dringt die Luft nur unter Anstrengung in meine Brust, auf der schwer ein Gemisch aus Vermutungen und Neugierde liegt und mich erzittern lässt ob der verunsicherten Stimmung, die selbst Thorin zu ergreifen scheint.

Mit weiterhin demütig gesenktem Haupt erlaube ich mir daher, rebellisch-besorgt aufzuschauen. Mein Herr verweilt umgeben von engsten Vertrauten und Beratern inmitten des Raumes, den Brief König Folcas, den ich ihm kürzlich überreichte, vor sich auf dem Tisch platziert. Ich erkenne, wie lose er beschrieben ist. Was auch immer die Anwesenden so aufwühlte, nicht vieler Worte bedurfte es dafür.

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