Das Angebot

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Der große, zentral gelegene Marktplatz der Feuerhallen ist nicht weniger eindrucksvoll denn alles andere in diesem Berg. Der runde Platz ist von riesigen, mit Bögen verbundenen Säulen umgeben. Starre Efeuranken schlingen sich um das schwarze Gestein, kriechen die gewölbte Decke entlang und um weite Lichtschächte, bis sie sich in der Mitte vereinigen und einen natürlich gewachsenen Stalaktiten hinab folgen. Das von ihm tröpfelnde Wasser fällt in einen Brunnen, der zusätzlich wohl noch von einer anderen Quelle gespeist wird, denn die in seiner Nähe Blumen aus dem Höhlengarten und erste Frühblüher anbietenden Händler entnehmen es großzügig, um ihre Ware damit zu begießen.

Während wir flankiert von Wachen der Königsgarde unter dem Befehl ihres Hauptmannes Morrak durch die Reihen schreiten, erzählt Lothin eindrucksvoll von der Architektur und lobt die Qualität der dargebotenen Güter. Gerüche und Eindrücke strömen dabei auf uns ein, die mich wohlig zurückversetzen in die heimatliche Markthalle. Das Aroma von edlen, farbenfrohen Stoffen. Zartschimmernde Seide. Dicker, weicher Samt. Steife Baumwolle. Leder, von denen die Gerbstoffe noch nicht abgetragen wurden. Gewürze und Kräuter. Majoran, Eisenhut, Pfeffer, der in der Nase kribbelt, Brennnessel, die Frische der Minze, die Schwere von Myrrhe. Obst und Gemüse. Fische mit schillernden Schuppen. Fleisch, geschlachtete Kaninchen, ihres flauschigen Felles bereits beraubt, hängen kopfüber an Stäben. Eier und lebendige Hühner dazu. Ochsen mit großen Hörnern, die schwerbeladenen Karren ziehen. Pferde, die mit den Hufen gelangweilt über den steinigen Boden kratzen, während Händler und Interessent bezüglich ihres Preises streiten. Bücher. Nach altem Staub und zerknitterten Pergament duftend. Ein Stand mit Bonbons und Pralinen und Schokolade und bunt-dekorierter Patisserie, die bereits beim Anblick ihre cremige Süße auf die Zunge zaubern. Kostbar-glitzernde Geschmeide für Hals, Hand und Haar. Ewig könnte ich hier verweilen. Mich dennoch nicht sattsehen und genügend befriedigen an all dem dargebotenen.

„Ihr sucht Kleider", höre ich plötzlich Lothin enthusiastisch ausrufen, indes ein Händler Balin und mir einige alte Schriften zur Geschichte der Ered Luin präsentiert, für die wir uns interessierten. Nur um die meinen kann es sich handeln. Wahrscheinlich erzählte Thorin ihm davon, dass ich zu wenige einpackte, um bei allen Anlässen zu repräsentieren. „Ich kann Euch zu einer unweit von hier gelegenen Schneiderei führen, bei der auch meine Gemahlin pflegt einzukaufen. Die hier angebotenen Gewänder sind offenkundig etwas zu gewöhnlich und unedel für Eure Begleiterin." Ich blicke verstohlen zu beiden hinüber. Eigenartig unbehaglich lastet der Vorschlag, als würde ein Unheil mit ihm einhergehen. Thorin jedoch nickt dankbar und legt das gerade in den Händen gehaltene dunkelblaue Kleid mit dem bezaubernden Feinrüschenbesatz am Kragen zurück.

In eine breite Straße, die von der Markthalle abgeht, führt uns Lothin daraufhin. Sauber ist sie und gut ausgebaut, wie jede, die wir bislang zu sehen bekamen. Die säumenden Häuser verputzt mit weißem Kalk und reichhaltig mit Gold ornamentiert. Dennoch vermute ich, auch hier wird es abseits allen gerichteten Prunk und Protz Gassen geben, in denen die Armut an verfallenen Wohnhöhlen und hageren Gestalten, die hungrig und verwahrlost in Nischen hocken und betteln, nur allzu ungeschönt sichtbar wird.

Ein Geschäft erreichen wir schließlich, dass von außen nicht spektakulärer erscheint als jedes andere, an denen wir bislang vorbei flanierten. Das über der Tür baumelnde Zunftschild, dass Schere, Nadel und Faden zeigt, zeichnet es unverkennbar als Schneiderei aus. Ein von der Tür angestoßenes helles Glöckchen erklingt, als wir unbegleitet von den Soldaten eintreten. Schneiderpuppen aus Drahtgeflecht präsentieren das Angebot. Edle Gewänder für Damen und Herren. Auffällig bunt oder dezent in Erdfarben gehalten. Mit Akzenten aus Spitzenfalbeln, Schleifen, farblich abgesetzten und mit Ornamenten verzierten Borden, Brokatüberwürfen, Fellbesatz, goldglänzenden Gürteln und ledernen Zierbändern. In den Regalen stapeln sich Stoffballen. Kleine Lavendelsäckchen, die das kostbare Material vor Ungeziefer schützen sollen, verbreiten einen betörenden Duft. Meine Mutter war ebenfalls Schneiderin, aber für ein eigenes Geschäft, reichte weder Geld noch Ansehen, so dass wir ihre Erzeugnisse lediglich auf dem Markt verkaufen durften. Ein Vergleich zu dem Angebot hier ist kaum möglich, obwohl sie kunstfertige und trotz der oft minderwertigen Qualität der Stoffe, die wir uns einzig leisten konnten, hochwertige wenn auch pragmatische Gewänder fertigte. Keinen Adligen zählte sie zu ihrer Kundschaft, jedoch Bürgerliche und sogar Kaufleute.

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