Die Bitte

62 11 1
                                    

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Wahrlich eine unvermutete Unvorhersehbarkeit leitet Jassin ein, als sie mich am späten Nachmittag erneut aufsucht. Geschlafen habe ich in der Zwischenzeit, nachdem sie mir eine üppige Portion einer kräftigen Suppe und ein großes Stück Kümmelkuchen brachte. Erholsam war dieser sogar, da frei jedweder eigenartigen Träume.

Nun jedoch steht sie vor mir und präsentiert ein Kleid aus schimmernder Seide, das so rot leuchtet wie eine gerade erst in der Morgensonne erblühte Rose. Kleine Perlen aus Mondstein wurden darauf gestickt, die tatsächlich zusätzlich die Erinnerungen an glitzernde Tautropfen erwecken.

„Es ist für dich", sagt sie, aber ich zögere, das Geschenk anzunehmen. Rot ist die Farbe des Blutes genauso wie die der Leidenschaft. Sie symbolisiert Macht sowie den Verfall an die Fleischessünde. Sie beherrscht die Aufmerksamkeit. Zieht Blicke auf sich und den Träger. Erweckt Phantasien. Unbehaglich werde ich mich in diesem Kleid fühlen, denn mich in sie zu wanden, war mir daher bislang aus gutem Grund nicht erlaubt.

Jassin jedoch beachtet das Zaudern nicht und hilft mir dabei, die Schnürung zu binden. Kühl gleitet die Seide über die darunter nackte Haut. Zudem keine Frisur gestaltet sie mir. Lang fallen die Haare den Rücken hinab. Auch dies erregt die Leidenschaft, denn sie zu berühren ist nur denjenigen Männern gestattet, denen Vertrauen und Liebe geschenkt wird. Sorgsam verteilte ich bislang diese Kostbarkeiten. Thorin erhielt das Recht als mein Herr, aber gebrauchte es erst, nachdem er sich deren Besitz sicher war. Gleichwohl befugt er die Haare offen zu tragen, sobald ich an seiner Seite stehe, symbolisieren sie auch den Besitz, den er an mir hält. Dwalin erwarb mein liebevolles Vertrauen früh, jedoch erst sehr viel später, obwohl er darum wusste, traute er sich, die grobe Kriegerhand auszustrecken, um die Weichheit der Strähnen zu befühlen.

Meine Freundin führt mich durch die kerzenscheinerhellten Gänge des Anwesens, hin zu einem Flügel, den ich bislang noch nie betrat, denn keine Räumlichkeiten die ich aufzusuchen berechtigt bin, liegen in ihm. Jedoch nur einen breiten Korridor, den wir durchqueren und an dessen Ende sich eine hohe, rosenblütenverzierte Tür ganz aus rötlich-braunen Kirschholz gearbeitet befindet, gibt es dort. In den blauen Stein eingeritzte oder herausgearbeitete Zeichnungen verschönern die Wände. Blumenranken. Efeublätter. Blütenarrangements. Stilisierte Gebilde der Natur. Runde, filigrane Formen, die so gar nichts gemein haben mit den stetig iterativ geometrischen Ausgestaltungen, die sonst zwergische Hallen schmücken und immer etwas undynamisch, unwirklich und unnatürlich wirken. Gezwungen gar. Eine Widerspiegelung der allgemeingültigen Ansicht, wir beherrschen den Stein. Wir könnten ihm nach unseren Willen formen, obwohl er genauso natürlich ist wie wir. Eine Seele hat, wie wir. Eigensinnig und störrisch ist, wie wir.

Lebenssinnige Fragen, deren Stellen ich unterbinde, als wir die Tür erreichen. Jassin lächelt mich erneut liebvoll an, bettet eine Hand auf meinen Rücken und öffnet diese langsam. Dahinter liegt ein warmer, schummrig zwielichtig erleuchteter Raum. Nicht groß, aber auch nicht klein. Kein Saal, aber auch keine Kammer. Das helle Zedernholz der Wände, lässt ihn wohl so wirken. Überall finden sich üppige, buntleuchtende Blumensträuße in bauchigen Bodenvasen. Blüten und Ranken und viele der Ornamente des Ganges, wurden ebenso hier verewigt.

Frauen stehen ringsherum. Alle mir abgewendet, so dass ich ihre Gesichter nicht erkennen kann, aber jede von ihnen trägt ein schwarzes Kleid, über das sie in unterschiedlicher Form ein blutrotes Tuch gebunden haben, sowie Jassin auch, wie mir plötzlich gewahr wird.

Als sie mich bemerken, drehen sie sich allesamt langsam um. Fenna, Yrsa, Alrika, viele der Frauen, die ebenfalls im königlichen Hausstaat dienen oder die ich bei Hofe kennenlernte, und die ich im Laufe der Jahre als Freundinnen und Vertraute benennen durfte. Zuhinterst, leicht versteckt, aber ihre Gegenwart ist mir nur allzu gewahr, sehe ich sogar Myra. Stellvertretend für alle Mädchen des Baraz Anâm ist sie wohl hier.

Menu Tessu ::: Teil 2 ::: Du bedeutest mir allesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt