Blut für Leben

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Die hölzerne Plattform inmitten der Lichtung ist nicht groß. Über drei Stufen lässt sie sich erklimmen, liegt damit so erhöht, dass ein darauf stehender von überall her gut sichtbar zu betrachten sein wird. Am Grund der Treppe wartet ein älterer Zwerg auf uns. Geschäftig sieht er aus, gelehrt und übelgesinnt, denn unter der schwer auf der einem unserer Sippe zugeschriebenen knolligen Nase liegenden Brille, funkeln steingraue Augen verschlagen hervor und mustern uns, die wir vor ihn getrieben werden, mit durchdringenden Blick. Ich schiebe Fili hinter mich. Wenn er wirklich ein Vertriebener aus Durins Volk ist, so besteht schlechterdings die Gefahr, dass er ihn erkennt.

„Wie viele hast du dieses Mal mitgebracht und woher?", fragt er Mirschag in einer Stimmlage, die verdeutlicht, dass eigentlich nichts weniger von Interesse sein könnte als dies. Der Angesprochene hebt seinen Kopf, stolz zu verkünden, dass wir zu zwanzig sind und alle aus Thorins Hallen geraubt wurden. Der Alte nickt diese Informationen dankend entgegennehmend und trägt sie mit geschwungener Schrift in ein zerfleddertes Büchlein ein. „Alle gesund und gut verkäuflich?", will er danach wissen. Das verabscheuende Lachen darüber, das emporsteigen möchte, schnürt mir den Hals zu. Abgezehrt sind wird. Manche verletzt. Andere zutiefst traumatisiert von dem bisher erlebten und der Gefangenschaft. Und veräußerlich erst recht nicht!

Eine giftige Wut baut sich in mir auf. „Wir sind nicht verkäuflich!", schnaufe ich unter ihr die gefährliche Situation vergessend, in der wir uns befinden. Der alte Zwerg schaut von seinem Büchlein auf. Geradezu erschüttert wirkt er, dass jemand es wagt, dermaßen respektlos mit ihm zu reden. „Schweig still, kleine Hure!", maßregelt Mirschag sofort und schlägt mir ohne Vorwarnung ins Gesicht. Ich schmecke in den Mund schießendes Blut und ein kurzes Fiepen in meinem Ohr nimmt mir für den Moment die Orientierung, so kräftig war der Schlag. Jedoch keine Schwäche darf ich jetzt zeigen. Ich taumle nicht, obwohl Schwindel den Kopf vernebelt. Kein Laut entkommt mir, wenngleich mein Innerstes vor Schmerzen aufschreit.

Ich wende den zur Seite geschlagenen Kopf zurück, mit kampfesstarken Blick. Dwalin meinte einst, dass er sogar Steinen das Fürchten lernen könnte. Dwalin ... wie sehne ich mich seiner. All die Tage verbot ich mir an zuhause zu denken, denn die Aussicht womöglich niemals wieder dorthin zurückzukehren, hätte mir das Herz aus der Brust gerissen. Er lehrte mich Mut selbst im Angesicht des stärksten Gegners und in der ausweglosesten Situation. Enttäuschen will ich ihn nicht, erst recht nicht heute.

„Eine kleine Widerständlerin hast du dir da eingefangen", murmelt der alte Zwerg spöttisch, was Mirschag nur noch wütender werden lässt. Er packt grob meinen Arm und schleift mich hinter sich her die Treppe zur Plattform hinauf. Fili schreit. Seine angstschweren Tränen schmerzen mehr als jede tödliche Verletzung es jemals könnte.

Dort oben steht ein weiterer Zwerg. Bullig wie ein geübter Krieger ist er und übermäßig mit schwarzen Bildnissen bemalt, unter ihnen auch eine Schlange mit rubinroten Augen, die sich über Arm und den unbekleideten Rücken windet. Das erste Mal, dass ich das Zeichen der Nachtzwerge an einem ihrer sehen kann. Das Schwert an seiner Seite steckt in einer Scheide, in dessen Leder die Sonne der Feuerbärte ziseliert wurde. Kein Volk gibt es, unter denen Verräter, Schänder oder Mörder nicht vorkommen mögen.

Brutal schuppst mich Mirschag vor ihn und nicht verhinderbar ist es, dass ich dabei stolpere und unsanft auf die Bretter aufschlage. Der Feuerbart packt meine Haare und zerrt mich auf die Knie. „Willst du uns Ärger machen, Mädchen?!", raunt er. Sein Atem stinkt nach Bier vermischt mit kaltem Tabak und von ihm aus geht der übelkeitserregende Geruch von warmen Schweiß. Kaum ertragen kann dies der leere Magen und ganz schwummrig wird mir bei jedem flachen Atemzug. Ich spucke ihn in das narbentstellte Gesicht. Angeekelt wischt er sich die blutverdünnte Antwort fort, zerrt mich auf die Füße und an den Rand der Plattform, vor die sich zu den Kaufinteressierten wohl auch aufgrund des Tumults einige der anderen Anwesenden versammelt haben.

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