Bilsenkraut und Mohn

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Die Tage nach der Schlacht vergehen unwirklich, als wäre alles in einen traumschleierhaften Nebel gehüllt. Das Essen schmeckt nicht, wenn es mir denn überhaupt gelingt, etwas hinunter zu würgen. Mittagssonnenschein oder taubenetztes Gras am Morgen fühlen sich weder warm noch frisch an. Jede Bewegung schmerzt und dennoch scheinen die Glieder wie empfindungslos. Beschwerlich Schlaf finde ich. Gleichwohl, wenn die Müdigkeit und weiterhin hart an mir zehrende Erschöpfung doch ihren Tribut fordert, schrecken mich langsam verblassende Augen, laut gerufene Befehle, surrende Pfeile, das Wiedererleben von Tod und Grausamkeiten und besonders schrecklich, der Anblick von Sigruns blutbeflecktem Gesicht, nach unruhigen Minuten wieder auf.

Ich versuche, mich von all dem abzulenken. Zuerst half ich dabei, die vielen Toten vom Schlachtfeld zu bergen und für die traditionellen Beisetzungen herzurichten. Es erleichterte mir den Abschied von ihnen.

Die gefallenen Zwerge wurden dabei in einer nahen Höhle beigesetzt. Wunderschön war diese. Frei von Gram und jeglichem Schmutz. Durch in das Gestein gebettete und beständig von herausquellendem Wasser benetzte Mineralien, glitzerten ihre Wände wie gerade erst herabgerieselter Schnee im Morgenlicht. Ein kleiner, gleichwohl tiefer See lag in ihrem Herzen. Auf den Steinbänken, die ringsherum herausstanden, betteten wir unsere Toden zur letzten Ruhe.

Bofur stand mir bei, Sigrun die Ehre zu erweisen, indem ich ihr stellvertretend für Freunde und Familie das Schwert auf die Brust legte und Worte des Abschieds sprach. Schwer fielen sie mir, obwohl ich wusste, der Ort, an dem sie nun verweilt, ist schöner noch als dieser.
Die Rohirrim verbrannten die ihren unweit des Schlachtfeldes. Auf hohe Holzhalden gebettet, zusammen mit Waffen, Schild und Pferd. Die Rauchsäulen vergrauten viele Stunden lang den Sommerhimmel und die Klagelieder der Frauen, gesungen in ihrer Sprache, drangen, obwohl ich sie nicht verstand, so tief in mein Herz, dass ich sie ebenfalls in den Träumen hören kann. Jedoch seltsamen Trost spenden sie.
Die Orks indes schafften wir in die restlos von ihrem Leben gesäuberten Höhlen und verschlossen alle Eingänge mit Holz, Steinen und bannenden Runen. Niemals wieder soll ihrer Art hierher zurückkommen.

Danach gelang es mir Ablenkung zu finden, indem ich die Heiler dabei unterstützte, die unzähligen Verwundeten zu versorgen. Es erleichterte zu begreifen, wie Mahals Segen mir doch zuteilwurde.

Schwere Wunden tragen Zwerge wie Menschen. Abgetrennte Glieder, Finger und andere Körperteile. Ausgestochene Augen. Tiefe, obwohl schnell von Schmutz und Fremdkörpern gesäubert, durchdringend entzündete Schnitte. Der unangenehm süßliche Geruch, der von ihnen ausgeht, schwebt über allen und vermischt sich nur unzureichend mit dem der Kräutertinkturen. Salbengetränkte Verbände wechsle ich beständig, die innerhalb von Stunden blutdurchweicht an den trotzdem nicht heilen wollenden Verwundungen kleben. Ich verzweifle bei ihrem Anblick. Die ausgefransten Ränder färben sich allzu oft schwarz, Eiter tropft heraus und eine rote Linie beginnt je nach Lage unter der fieberheißen Haut entlang zu krauchen. Wenig Linderung können die kundigen Heiler dem Verwundeten in diesem Stadion noch zukommen lassen. Bilsenkraut und Mohn und einen gnädigen, schmerzensfreien Dämmerschlaf, die beide schenken, ist häufig das Einzige. Zu oft muss ich sie in den nächsten Tagen reichen und die darum wissenden Augen der Leidenden, während ich ihnen die mit Wasser oder Wein vermischte Paste einflöße, verfolgen mich bis in meine Träume.

„Dwalin erkundigte sich nach dir", unterrichtet mich Óin am Abend eines besonders schrecklichen Tages. Viele Seelen übergaben wir an diesem in Mandos' Obhut. Machtlos rannen uns die Leben durch die blutbefleckten Hände und müde sind wir des unaufhaltsamen Elendes. Jedoch meist verheißt der Tod derer, die unrettbar schwer verletzt aus einer Schlacht zurückkamen, auch einen Wendepunkt im Sterben. Die, die nun noch in den Wundbetten liegen, haben eine lange Heilungszeit vor sich, aber sie werden überleben.

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