Heilung

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Tropf. Tropf.

Gleichmäßig ist das Geräusch von Wasser, das aus einer unbekannten Höhe hinabfällt und dort, wo es aufkommt, neues Gestein aus enthaltenem Mineral erwachsen lässt.

Tropf. Tropf.

Es beruhigt mich. Es leitet mich. Es gibt mir Beständigkeit und erweckt das Gefühl von Heimat, denn auch in den Hallen die es sind, ist dieses Geräusch allgegenwärtig.

Tropf. Tropf.

Ich finde mich wieder an der Schwelle zu einer Höhle stehend. Tief in den Berg hinein reicht sie wohl, denn das Echo der fallenden Tropfen hallt unendlich in ihr nach. Dunkel ist es darinnen jedoch und unbekannt, wenn ich auch spüre, Vertrautes wird mich erwarten, sobald ich den Fuß in sie setzte.

„Du kannst hineingehen." Eine tiefe, sonore Stimme spricht mich plötzlich an. Unwirklich klingt sie zugleich, nicht gegenwärtig, jedoch auch nicht fern. Niemals war sie fern. Immer begleitete sie ein Jeden von uns, nur zeigt sich ihr Besitzer selten den Sterblichen. So oft dagegen, musste ich ihn bereits ins schattige, unberührbare Angesicht blicken.

„Was werde ich darin finden?", frage ich ihn, denn auch wenn sie unendlich weit sind, niemand wird dies besser wissen als ihr Erschaffer und Hüter.

Mandos, der Totenwächter, Herr der Hallen, in denen die Seelen der Verstorbenen seit jeher Ruhe und Frieden finden nach Krankheit, Kampf und langen Leben, kommt näher. Seine Präsenz ist schwarz und flatterhaft wie sein Gewand. Die Finger, die sich auf meine Schulter legen, kalt wie Knochen und spitz wie die Dornen seiner Krone. Ich getraue mich nicht, ihn anzusehen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht, solange ich noch schwanke, den Schritt zu wagen, seine Hallen ohne Wiederkehr zu betreten.

„Das weißt du", raunt er. Ich nicke bestätigend. Mutter. Vater. Ruhe. Frieden. Keinen Schmerz, den es zu fühlen gibt. Keine Wunde, die man erlitt, und war sie noch so schrecklich, plagt den Leib. Keine Seelenqual betrübt das Gemüt. An den Seiten seiner Liebsten, bereits gegangen oder nachkommend, verbringt man die Ewigkeit. Versunken in seine Gedanken, wunderschöne Momente immer wiedererlebend oder nachsinnend über Entscheidungen, wie das Leben doch verlaufen wäre, hätte man sie anders getroffen.

Wie verlockend.

Dennoch trete ich einen Schritt zurück und spüre plötzlich frisches, taubenetztes Gras unter den nackten Füßen. Nacht herrscht um mich herum. Stille, friedliche Nacht. Gleichwohl steigt mir der süßliche Duft von Blumen in die Nase, die wohl gänzlich unberührt von der Dunkelheit blühen.

Ein kleiner See liegt vor mir. Sterne und voller Lichtmond spiegeln sich in seinem dunklen Wasser, das so eben ruht wie geschliffenes Glas. Baume, alt und groß und üppig grün, mir völlig unbekannt in ihrer Art, besäumen seine flachen Ufer, an denen Kieselsteinchen liegen, die im Mondlicht silbern glitzern. Glühwürmchen tanzen in der warmen Luft. Schweben auf und ab. Berühren sanft das Wasser, dass daraufhin seine Ruhe verliert und kleine Wellen schlägt, die von goldenen Kräuseln gekrönt werden. In seiner Mitte liegt eine Insel. Hainbedeckt und von bunten Blumen verschönert, die jedoch im Schlaf liegen.

Wie traumhaft.

„Warum bist du nicht zur Ruhe gegangen?" Eine unbekannte Stimme, die Stimme einer Frau, sanft und lau wie das Streichen des Atems des Liebsten über die Haut, erklingt plötzlich hinter mir. Ich wende mich um, spürend, dass sie mir wohlgesonnen ist. Ohne Angst, dass ihre Macht mich an diesen Ort fesseln wird.

Jedoch nicht vorbereitet auf die Herrlichkeit des Anblicks war ich. Die fürstliche Valier Este, die Heilerin von Wunden und Müdigkeit, steht dort. Sagenhaft schön und groß und von Liebe erfüllt anzusehen. Ihr fahlgraues Gewand, aus einem Stoff gefertigt, der fließt und glitzert wie Wasser, berührt den Boden und die weiten Ärmel bedecken die elegant übereinandergelegten Hände. Ihr Antlitz strahlt in mütterlicher Wärme. Die ebenfalls dämmergrauen Augen sanft auf mich gerichtet.

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