Blinzelnd öffnete ich die Augen.
Ich lag unter einer niedrigen Decke, an der ein kleiner Kronleuchter hing und den Raum in schwummriges Licht tauchte.
Aus einem Fenster hinter mir drangen die Schatten der Nacht.
Über mir schwebte eine Zauberstabspitze, die von einem bleichen Gesicht abgelöst wurde.
Entsetzt sog ich die Luft ein.
Der Dunkle Lord grinste mich hämisch an.
"Samantha. Guten Abend."
Er trat an mich heran und strich mit seinem Fuß meinen Ärmel nach oben, um das dunkle Mal zu entblößen.
Ich erschauderte bei der Berührung.
Aus einer Ecke des Raumes drang ein Keuchen.
Als ich sah, woher es stammte, fuhr ich hoch. Augenblicklich kehrten die Erinnerungen der vergangenen Stunden zurück und ich tastete alarmiert nach meinem Zauberstab. Meine Taschen waren leer.
Duncan saß in einem Sessel hinter einem schweren Schreibtisch und schien außerstande zu sein sich zu bewegen- seine Arme ruhten regungslos auf den Lehnen, während sein Mund geschlossen blieb, obwohl sein Kiefer sich anspannte.
Er starrte mich entsetzt an.
In seiner Position konnte er sich zwar nicht bewegen, doch er hatte perfekte Sicht auf das Geschehen und auf mich.
Ich wich seinem Blick aus und versuchte, die aufkommende Panik herunterzuschlucken.
Auf zittrigen Beinen rappelte ich mich auf.
Der Dunkle Lord ließ mich gewähren, seine Finger ruhten auf seinem Zauberstab.
"Was macht Duncan hier?", wollte ich wissen, "Lasst ihn frei."
Der dunkle Lord hob eine Augenbraue. "Ich glaube du bist nicht in der Position, Befehle zu geben, Samantha", erwiederte er, "im Gegenteil. Als meine Gefolgsfrau ist es an dir, mir zu gehorchen und meine Befehle nicht zu hinterfragen."
Ich schluckte nervös und mein Überlebensinstinkt schaltete sich wieder ein.
"Entschuldigt", brachte ich hervor, "Mylord. Ich- Ich war nur etwas aufgewühlt."
"Oh, da bin ich mir sicher", schoss der dunkle Lord zurück, "nach zwei Monaten des Wegrennens!"
Seine Augen blitzten Rot auf und ich zuckte zurück.
"In deiner Position erwarte ich von dir, dass du dich ohne zu fragen an meine Seite begibst, dass du bereit bist, Befehle entgegenzunehmen. Stattdessen versteckst du dich und behinderst mich, indem ich wertvolle Zeit und Männer für deine Suche aufwenden muss! Unter normalen Umständen würde ich dich jetzt bestrafen..."
Er strich über seinen Zauberstab und lief langsam um mich herum, begutachtete mich wie ein Jäger seine Beute.
Mein Blick streifte angstvoll den Duncans, der meine eigenen Gefühle wiederzuspiegeln schien.
Die Finger des dunklen Lords strichen über mein Kinn, welches ich daraufhin anhob, um seiner Berührung auszuweichen.
Für einen Moment betrachtete er meine entblößte Kehle, dann stellte er sich wieder vor mir auf.
"Aber du bist keine gewöhnliche Gefolgsfrau."
Ich schloss die Augen und bemühte mich um einen ruhigen Atem.
Der dunkle Lord fuhr fort. "Heute werde ich Gnade walten lassen. Nicht, weil ich inkonsequent bin, nein. Sondern weil du nicht diejenige bist, die Schuld an den jetzigen Umständen hat. Vielmehr sehe ich die Frau in der Verantwortung, die mir schon vorher deine Anwesenheit verwehrt hat. Die Frau, die mich verriet, die sich vor mir versteckte, die seit jeher meine Erbin von mir fernhielt, sie unter Muggeln aufwachsen ließ."
Das Wort "Muggel" betonte er mit so viel Abscheu, dass ich zusammenzuckte und in seinen Augen glühte ein alter Hass auf.
Ich vermied es unter allen Umständen, in Duncans Richtung zu sehen, fürchtete mich vor seiner Reaktion, wenn er Eins und Eins zusammenzählte.
Es wäre mir lieber gewesen, vor ihm gefoltert zu werden, als auf diese Art und Weise entblößt zu werden.
Der Grund, aus dem ich nun mit ihm hier gelandet war, war Jenny, die mich dazu überredet hatte, fortzulaufen. Sie hatte den dunklen Lord als Bedrohung für mich angesehen, hatte mich schützen wollen.
Und ich war gescheitert.
"Nein Samantha", unterbrach der dunkle Lord meinen Gedankengang, "Jennifer Pears wollte dich nie vor mir schützen."
Er sah mir eindringlich in die Augen.
"Die einzige Person, die sie immer schützen wollte, war sie selbst. Sie hat Angst vor dir, Samantha. Sie verabscheut dich für das, was du bist und fürchtet das, was du an meiner Seite sein könntest."
Für einen Moment ließ er das Gesagte einwirken.
Ich wollte protestieren, doch etwas stimmte nicht- ich riss entsetzt die Augen auf, als es mir auffiel.
"Ihr- ihr habt meine Gedanken gelesen!"
Der Mund des dunklen Lords verzog sich zu einem schallippigen Lächeln.
"Ich dachte, Jennifer hätte dich darüber aufgeklärt, dass ich ein Legilimentiker bin- noch etwas, das sie dir anscheinend vorenthalten hat- nun, an deiner Miene lässt sich ablesen, dass du zumindest etwas mit dem Begriff anfangen kannst."
Angesichts des Entsetzens, das in mir hochstieg, blitzte Vergnügen in seinen Augen auf.
"Du dachtest, du wärest durch deine Okklumentik-Mauern vor mir geschützt? Ich habe jahrelange Erfahrung in den geistlichen Künsten. Du kannst mich nicht abwehren."
Mit diesen Worten drang er in meinen Kopf ein. Nicht still und unbemerkt wie zuvor, sondern brutal und gnadenlos. Sein anfänglich nachsichtiges Verhalten war wie weggefegt.
Ich wurde in einen Strudel aus Erinnerungen gerissen, dunklen Erinnerungen- Matthew, der mich hänselte, Nelly, die mich auslachte, Leas anfängliche Abneigung mir gegenüber, Mitschüler, die mich als Freak bezeichneten, Lehrer, die mich anschrien für etwas, das ich nicht kontrollieren konnte.
Sprechende Schlangen, brennende Hefte, herumfliegende Stifte, einfrierende Wasserhähne, funkensprühende Lampen- Angst.
Das hier war anders als mein Okklumentik-Training im letzten Sommer. Jenny hatte schreckliche Erinnerungen hervorgerufen, Lebensabschnitte, die mir heute noch Angst machten.
Doch das hier war schlimmer. Der dunkle Lord machte nicht bei meinen Erninnerungen an ein paar böse Nachmittage halt- er ging weiter, holte Erlebnisse an die Oberfläche, die ich längst verdrängt hatte, mit denen ich nie hatte abschließen können.
Er war brutal, riss alle alten Wunden auf, all die Angst vor denen, die mich verachteten- und allem voran vor mir selbst.
Ich hatte meine Kindheit in Angst verbracht, hatte mich für ein Monster gehalten- zumindest ließ er mich das in diesem Moment glauben.
Ich war immer anders als die Kinder gewesen, immer anders, gefährlich-
"Verstehst du jetzt, Samantha?"
Ich zitterte. Auf einmal stand ich wieder in dem Arbeitszimmer der Malfoys.
Zwei knochige Hände ruhten auf meinen Schultern.
"Du bist anders, Samantha. Anders als die Muggel, mit denen du aufgewachsen bist, die Kinder, die dich verspottet haben.
Du kannst sie alle mit nur einem Gedanken vernichten, wenn es dir danach verlangt.
Aber du bist auch anders als die Hexen und Zauberer, die du kennst. In dir fließt mächtiges Blut und dieses Blut ist deine Bestimmung."
Der dunkle Lord ließ mich los, ließ für einen Moment seine Worte auf mich einwirken.
"Jennifer fürchtet dieses Blut, wie viele andere auch. Du bist für etwas Höheres bestimmt, du bist dazu bestimmt, an meiner Seite zu herrschen, als meine Tochter deinen rechtmäßigen Platz an der Spitze der Zauberergemeinschaft einzunehmen.
Verstehst du, wieso Jennifer deine Angst vor mir angestachelt hat?
Nun, diese Angst ist berechtigt. Ich behaupte nicht, ein gütiger Mann zu sein.
Doch ich sehe, wer du bist. Ich sehe deine Macht, dein Potenzial.
Jennifer hat dich dazu gezwungen, dies zu verleugnen, vor dir selbst und deiner Familie fortzurennen.
Dabei hat sie den Tod ihrer eigenen Schwester in Kauf genommen, hat deinen Bruder sterben lassen."
Er trat dicht an mein Ohr.
"Sie hätte Matthew retten können, weißt du? Aber du warst ihr wichtiger. Sie wollte unter allen Umständen verhindern, dass du zu mir gelangst, denn ich bin die Quelle deiner Macht. Ich bin dein Blut und es ist deine Bestimmung, an meiner Seite zu sein.
Und soll ich dir noch etwas verraten?
Sie verabscheut dich. Sie hat dich schon immer für das verabscheut, was du bist, für die Bedrohung, die du darstellst.
Sie hat in dir nie ein Kind gesehen, nie ihre Nichte. Nein, sie sah dich als ein Monster, ein Monster, das von der Welt und von der Zauberei ferngehalten werden musste.
Ist sie jemals eingeschritten, als du von den anderen Kindern gehänselt wurdest? Wenn dir wieder und wieder bewusst gemacht wurde, dass du anders warst, wenn sie die Angst vor dir selbst schürten? Nein, denn sie wollte, dass du Angst vor dir selbst hattest. Sie wollte, dass du deine Kräfte fürchtest, damit du niemals eine Bedrohung für sie darstellen würdest. Wenn es nach ihr gefangen wäre, hättest du Hogwarts niemals betreten.
Erinnerst du dich an den Tag, an dem dir dein Hogwarts-Brief überreicht wurde?"
Sofort strömten die Erinnerungen jenes Tages auf mich ein.
Die Wut und Verzweiflung Jennys über McGonagalls Besuch. Ihr Streit mit der Professorin, ihre kurze Angebundenheit über alles, das mit der Zaubererwelt zu tun hatte.
All die Informationen über meine Familie, über ihre eigene Identität, die sie mir jahrelang vorenthalten hatte.
Ich sackte zusammen und drückte mir die Handballen auf die Augen.
Nein- das konnte nicht sein.
Jenny war die einzige, die immer für mich dagewesen war. Die letzte Verwandte, an die ich mich wenden konnte.
Sie war die Schwester meiner Mutter... aber meine Mutter war tot. Und sie hatte die Schuld daran. Genau wie sie auch an Matthews Tod Schuld hatte.
Zum ersten Mal verspürte ich bei dem Gedanken an seinen Tod einen tiefen Groll in mir aufsteigen, Hass gegen eine Person, die ich dafür verantwortlich machen konnte.
Es fühlte sich gut an, so viel besser, als das, was ich vorher verspürt hatte, die schmerzliche Trauer, die Hilflosigkeit.
Das was der Dunkle Lord gesagt hatte, ergab erschreckend viel Sinn.
Eine bleiche Hand tauchte vor meinem Gesichtsfeld auf.
"Steh auf, Tochter. Von nun an werde ich der einzige sein, vor dem du dich in dieser Position befindest. Du bist dazu bestimmt, über den anderen zu stehen."
Ich zwang mich zu einer neutralen Miene und griff nach der Hand meines Vaters.
Seine Finger umschlossen kühl die meinen, als er mich hochzog.
"Ich weiß, dass die eigene Macht beängstigend sein kann", sagte der Dunkle Lord, "aber du brauchst nicht vor ihr fortzulaufen, Samantha. Wirst du von nun an an meine Seite bleiben?"
Ich holte zitternd Atem, immer noch geschockt von den vorhergegangenen Erkenntnissen. "Ja, Mylord."
Macht. War es das, wovor ich weggelaufen war? Vor der Macht, die mir der dunkle Lord ermöglichen würde? Zumindest hatte Jenny mich davon fernhalten wollen. Sie war schon immer ein Feigling gewesen.
"Jetzt wo dies geklärt ist", setzte der dunkle Lord fort, "müssen wir uns noch um deinen Freund hier kümmern."
Mit einem Schwenk seines Zauberstabes ließ er Duncans Sessel nach oben schweben und zwischen uns schnellen.
Er saß nun direkt vor mir, doch ich wollte ihm nicht ins Gesicht blicken.
Der dunkle Lord legte seine Hände auf Duncans Schultern.
Dieser zuckte angsterfüllt zusammen.
"Du batest mich darum, ihn freizulassen", rief er mir wieder ins Gedächtnis, "nun Samantha, ich würde dir diesen Wunsch liebend gern erfüllen. Doch vertraust du ihm auch genug, deine Geheimnisse zu bewahren?"
Ich machte den Fehler, in Duncans Gesicht zu blicken.
In seine entsetzte Miene hatte sich Angst gemischt- und Abscheu.
Einmal meinen Blick auf ihn gerichtet, konnte ich mich nicht mehr davon lösen.
In den vergangenen Monaten waren wir eng aneinandergewachsen. Wir hatten nebeneinandergeschlafen, hatten Seite an Seite gekämpft, uns gegenseitig anvertraut- doch von diesem Vertrauen war in seiner Miene nichts mehr zu sehen.
Stattdessen brannte die Bestürzung in seinen Augen. Ekel über den Verrat, den ich begangen hatte.
Ich verzog meine Miene. Als ob ich etwas für diese Situation konnte.
"Ich- ich weiß nicht, ob das schlau wäre."
Ich löste meinen Blick von Duncan, fixierte stattdessen, den Dunklen Lord.
Ich ballte die Hände zu Fäusten, um ihr Zittern zu verbergen.
Etwas zwischen Duncan und mir war zerbrochen. Ich wusste nicht, ob ich das jemals wieder reparieren könnte.
"Was gedenkst du nun zu tun, Samantha?", fragte der Dunkle Lord.
Warum konnte er Duncan nicht einfach wegsperren lassen, ihn mir aus den Augen schaffen? Wieso sollte ich diese Entscheidung treffen!?
Doch in meinem Kopf formte sich bereits eine weitere Möglichkeit.
Mein Bkick schweifte erneut zu Duncan, doch ich stoppte mich und sah stattdessen in die roten Augenschlitze des Monsters, das über ihm hockte.
Ich wollte es nicht laut aussprechen, nicht vor Duncan, daher versuchte ich, es ihm irgendwie gedanklich zu übermitteln.
Ich spürte es zwar nicht, doch ich wusste, dass er immer noch in meinem Kopf herumkramte.
"Wie soll ich mit ihm verfahren, Samantha? Du musst es schon sagen."
Ich hielt seinen Blick, flehte ihn innerlich an, es einfach zu tun.
Doch er wartete nur.
Ich rang um Atem.
"Ihr- ihr könntet einen Erinnerungszauber wirken", sprach ich schließlich meine Gedanken aus.
Ich fürchtete mich vor Duncans Reaktion.
Mein Blick war starr auf einen Punkt hinter dem Schreibtisch gerichtet.
"Ab dem Punkt, an dem wir von den Todessern überwältigt wurden. Wir mussten uns trennen, weil es so sicherer war. Ich habe einen Weg gefunden, sicher nach Hogwarts zu gelangen. Dieses Gespräch ist nie geschehen."
Der Dunkle Lord nickte zufrieden.
"Sieh diese Geste als mein Entgegenkommen dir gegenüber, Samantha."
Er beugte sich zu Duncan herunter, um meinem Vorschlag nachzugehen.Ich stand am Bahnhof Kings Cross auf dem Gleis 9¾ und wartete darauf, dass sich endlich die Türen des Hogwarts Express öffneten.
Ich sah herüber zu Narzissa Malfoy, die gerade gemeinsam mit ihrem Sohn den Gleis betrat.
Vor einer halben Stunde, als der Gleis noch leer gewesen war, hatte sie mich bereits unauffällig hergebracht, nicht in der Absicht, von irgendwem bemerkt zu werden.
Sie wollte mich nicht gemeinsam mit ihrem Sohn herbringen, höchstwahrscheinlich um zu verhindern, dass andere eine Verbindung zwischen uns herstellten, doch vielleicht auch, um mich von Draco fernzuhalten.
Wahrscheinlich wollte sie ihrem Sohn keinen anvertrauen, der sich bereitwillig in die Dienste des Dunklen Lords begab.
Der Griff um meinen Koffer verfestigte sich.
Ich war nicht freiwillig in dieser Situation, doch das hatte ich natürlich nicht gesagt.
Trotz ihren Misstrauen mir gegenüber war Narzissa so nett gewesen, mir meinen Koffer zu packen mit den Dingen, die ich mir in den Ferien nicht selber hatte besorgen können. Wahrscheinlich hatte sie den Befehl dazu erhalten, doch ich bezweifelte, dass ihr aufgetragen worden war, mir viel Glück für das neue Schuljahr zu wünschen.
Jetzt würdigte sie mich keines Blickes.
Sie und Draco wirkten merkwürdig besorgt.
Ich hatte ihn während meines kurzen Aufenthalts im Malfoy Manor nicht bemerkt, doch er wirkte noch blasser als sonst und unter seinen Augen saßen dunkle Augenringe.
Er erinnerte mich unangenehm an Matthew und ich wandte meinen Blick ab.
Als die Türen des Zuges endlich geöffnet wurden, lief ich sofort darauf zu und stieg als eine der ersten ein.
Ich suchte mir ein Abteil ganz hinten und hoffte, dass mich meine Freunde nicht allzu schnell finden würden.***
Wie toxic soll das Kapitel werden?
Ich: jaZ
umindest sind wir jetzt mit Sams Flucht durch! Im nächsten Kapitel geht's dann wieder nach Hogwarts! Whew!
Also-Wir sehen uns nächste Woche wieder, bis dahin ciao!
-Absolina
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The dark Lady
FanfictionSequel zu: She who can not be named ❥︎ Für Sam hat sich Alles geändert. Denn nicht nur scheinen die Beziehungen zu ihren Mitschülern völlig neue Wege einzuschlagen, sondern auch ihre eigenen moralischen Vorstellungen und Ziele erscheinen nun merkwür...