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Marge holte aus und traf mit voller Wucht den Klatscher, der auf sie zugerast kam.
Ein Jäger, der dem Geschoss in letzter Sekunde hatte ausweichen können, rief fluchend etwas über das Spielfeld.
Ich lehnte mich in meinem Platz bei den Tribünen zurück und betrachtete das Geschehen grinsend.
Marge machte nicht einmal vor ihren Teamkameraden halt.
Ich biss von einem Sandwich ab, das ich mir vorhin vom Mittagsbuffet geschnappt hatte und legte die Füße auf der Lehne vor mir ab.
Marge hatte mich vorhin gefragt, ob ich Lust hatte ihr beim Training zuzusehen und ich hatte spontan zugestimmt.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, auch diesen Sonntag im Raum der Wünsche zu verbringen, doch mir qualmte inzwischen der Kopf vor lauter Zaubern und Runen, dass ich mir zwischendurch eine Pause gönnen sollte.
Außerdem war das Wetter heute fast schon sommerlich und ich hatte seit letztem Schuljahr keinem einzigen Quidditch-Spiel mehr beigewohnt.
Für einen Moment schloss ich die Augen und genoss das warme Kitzeln des Sonnenlichts.
Als sich meine Sicht plötzlich verdunkelte, schlug ich die Augen wieder auf.
Marge war über mir aufgetaucht und sah von ihrem Besen aus auf mich herunter.
Den Schläger hatte sie sich lässig über die Schulter gelegt.
"Mach die Augen auf, Ravenclaw, sonst kannst du mich nicht sehen", kommentierte sie und warf mir einen herausfordernden Blick zu.
Ich hob eine Augenbraue, bevor ich mir dramatisch den Arm vor die Augen schlug.
"Tut mir Leid, ich bin nur zu geblendet von deinem Talent!"
Marge schnaubte, konnte sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen. "Dann sieh zu und lerne, Sam, wenn du von meinen Fähigkeiten nicht zu sehr eingeschüchtert bist!"
"Daugherty!", donnerte auf einmal die Stimme ihren Kapitäns über das Feld, "hör auf Kaffeekränzchen zu halten, oder du fliegst aus dem Team!"
Die Hufflepuff verdrehte die Augen und beugte sich noch einmal verschwörerisch zu mir vor.
"Wenn die mich nicht brauchen würden, wäre ich schon vor Jahren aus dem Team geflogen- ohne Besen."
"DAUGHERTY!"
Angesprochene warf mir noch eine letzte Kusshand zu, bevor sie wieder auf das Spielfeld raste und den nächstbesten Klatscher von sich schleuderte- verdächtig nahe an ihrem Teamkapitän vorbei.
Ich kicherte in mich hinein und nahm noch einen Bissen von meinem Sandwich.
Kauend beobachtete ich Marge, die sich wieder auf das Spiel konzentrierte und über das Feld jagte, um den nächsten Klatscher zu treffen.
Offenbar hatte sie ihre Teamkameraden fürs erste genug genervt, denn nun lenkte sie die Klatscher gezielt von den Jägern ab und passte sie präzise dem anderen Treiber zu.
Ich ertappte mich dabei, wie ich einem Tagtraum nachhing, in dem ich mit Lea und Dylan durch den Wald vor unserem Waisenheim streifte- nur dass das Waisenheim nicht mehr existierte.
Das Bild von Jenny tauchte vor meinem inneren Auge auf und schlagartig verschlechterte sich meine Stimmung.
Sie.
Wegen ihr war all das geschehen.
Sie hatte mich all die Jahre dem dunklen Lord und alles was mit ihm zu tun hatte ferngehalten, ihn provoziert, obwohl sie wusste, dass er früher oder später vor nichts Halt machen würde, im mich zu ihm zu holen.
Spätestens als er wiederauferstanden war hätte sie sich ihm beugen und mich zu ihm bringen müssen, um ihn zu besänftigen.
Man konnte sich nicht jahrelang am selben Ort verstecken und das wusste Jenny.
Um zu glauben, man hätte eine Chance gegen den mächtigsten Zauberer Großbritanniens, musste man schon äußerst dumm sein und das war Jenny nicht.
Jenny war ein Feigling.
Wahrscheinlich hatte sie damals auch meine Mutter im Stich gelassen, als-
Ich verdrängte den Gedanken.
Ich wusste nicht, was damals zwischen ihr und dem dunklen Lord geschehen war und ich war mir nicht sicher ob ich das überhaupt wollte.
Ich hatte schon zu häufig darüber nachgegrübelt und kein einziges Mal hatte ich mich danach besser gefühlt.
Im Gegenteil.
Ich schüttelte energisch den Kopf und zwang meine Aufmerksamkeit wieder auf das Spielfeld.
Der Sucher der Hufflepuffs hatte gerade Gas gegeben, um anscheinend dem Schnatz nachzujagen, als auf einmal eine blaue Gestalt von der Seite kam und vor ihm zum stoppen kam.
Der Hufflepuff-Spieler konnte in letzter Sekunde abbremsen, bevor er in die Spielerin vor ihm hineinfliegen konnte.
Bei der Spielerin in Blau handelte es sich um niemand geringeres als Cho Chang, die grinsend den Schnatz in die Luft hielt.
Nun schossen auch weitere Ravenclaw-Spieler auf ihren Besen über das Spielfeld und hinderten die Hufflepuffs dadurch an ihrem Spiel.
Einer der Treiber lenkte einen Klatscher, den Marge gerade hatte erwischen wollen, von seiner Bahn ab, woraufhin die Hufflepuff drohend ihren Schläger hob.
Als der Hüter von Hufflepuff schließlich den Ball an sich nahm und damit das Spiel beendete, flog Hufflepuffs Kapitän empört zu Cho hinauf, um sich bei ihr zu beschweren.
Diese warf lässig den Schnatz hoch, um ihn wieder aufzufangen, während ihre Mannschaft um sie herum positionierte.
Wie automatisch landeten meine Augen auf dem Rücken eines bestimmten Jägers.
"Was soll das Chang!?", rief der Kapitän Hufflepuffs empört, "wir haben gerade Training!"
Odair
Der Name prangte bronzen über der Nummer 5 und zog meinen Blick wie einen Magnet an.
Zack drehte sich nicht zu mir um. Wenn er mich bemerkt haben sollte, hatte er beschlossen mich zu ignorieren.
Wahrscheinlich war es besser so.
Schweigend packte ich meine Sachen zusammen, während sich die beiden Kapitäne darum stritten, wer nun trainieren durfte und wer nicht.
Ich hatte keine Lust, jetzt den beiden Teams beim Streiten zuzusehen und noch weniger, mit Zack konfrontiert zu werden.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die restlichen Spieler Hufflepuffs sich nun auch um ihren Kapitän aufbauten, doch ich hatte die Tribüne bereits verlassen.
Wie automatisch trugen mich meine Füße zum Schloss herüber und die Treppen hoch, bis ich mich schließlich vor der kahlen Wand im siebten Stock wiederfand.
Ich atmete einmal tief ein und wieder aus.
Ich hatte mir heute vorgenommen, eine Auszeit zu nehmen.
Keinen Gedanken an das Verschwindekabinett oder die Aufgabe zu verschwenden, bei der Malfoy mich im Stich gelassen hatte und ich würde dieses Vorhaben weiterhin verfolgen.
Vielleicht konnte ich mir einen Zeichenblock schnappen und mich auf den Astronomieturm setzten-
Ich hatte mich gerade von der Tür abgewandt, um hoch in meinen Gemeinschaftsraum zu eilen, als ich in der Bewegung erstarrte.
In dem Gang vor mir war ein Mädchen aufgetaucht.
Zweite Klasse, Slytherin- eigentlich nichts Ungewöhnliches, da es sich hierbei um ein Internat handelte.
Doch es war äußerst ungewöhnlich, sich als Zweitklässlwrin in diesem Teil des Schlosses aufzutauchen, vor allem als Slytherin.
Eben jene hatte gerade die Augen aufgerissen und starrte mich entsetzt an.
Für einen Moment war mein Kopf wie leer gefegt- dann begann er zu arbeiten.
Das da vorne war ohne Zweifel entweder Crabbe oder Goyle- was bedeutete-
Ich riss meinen Kopf wieder zur Seite und starrte die Tür an, die aus dem Nichts dort aufgetaucht war.
Malfoy.
Wenn er wieder angefangen hatte zu recherchieren, bedeutete das vielleicht-
Ich verbot mir, mir irgendwelche Hoffnungen zu machen, doch meine Hand lag bereits auf der Türklinke.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass das Mädchen von der Seite her auf mich zurannte, doch zu spät-
Ich hatte mich bereits in den Raum geschoben und die Tür hinter mir geschlossen.
Stille umgab mich.
Der Raum der Wünsche lag wie immer vor mir- die hohen Decken, die bodentiefen Fenster, der große Schreibtisch- und das Verschwindekabinett daneben.
Vor dem ein gewisser Blondschopf stand.
Ich hielt die Luft an.
Malfoy öffnete gerade die Schranktür und zog einen grünen Apfel daraus hervor.
Er schloss die Schranktür und drehte sich zu mir um.
In seinen Augen lag keine Überraschung.
Er musste mich gehört haben.
"Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst."
Seine Worte hingen zwischen uns im Raum.
Ich schluckte.
Dann bewegte ich mich langsam von der Tür weg, auf ihn zu.
"Ich habe mich gefragt, wann du kommst", ich blieb etwa zwei Armlängen entfernt vor ihm stehen.
"Denkst du, du kannst wieder mit mir zusammenarbeiten? Obwohl du ja offensichtlich auch ohne mich gut klar kommst."
Ich nickte zu dem Apfel in seiner Hand herüber, der offenbar unversehrt transportiert worden war.
Bei dem Anblick der perfekten grünen Schale fing mein Herz an, aufgeregt zu klopfen, doch es machte sich auch eine Spur an Eifersucht in mir breit.
Malfoy hatte etwas innerhalb eines Tages geschafft für das ich Tage lang über verschiedenster Literatur gegrübelt hatte.
Der Slytherin schüttelte den Kopf und legte den Apfel auf dem Schreibtisch ab, direkt neben meinen Unterlagen.
"Wann hast du das letzte Mal deine Rechercheergebnisse ausprobiert? Ich habe mich nur an die Sachen gehalten, die du aufgeschrieben hast.
Ohne dich wären wir kaum so weit."
Wir.
Ich unterdrückte das verdächtige Lächeln, das sich auf meine Lippen zwingen wollte.
Mein Herz fühlte sich augenblicklich leichter in meiner Brust an.
Ich setzte mich in Bewegung, um zu ihm herüberzulaufen.
Malfoy verfolgte jede meiner Bewegungen, bis ich neben ihm stand und mir den Schrank besah.
Ich strich mit meinen Fingern über das glatte Holz.
"Welche Zauber hast du angewendet?"
Malfoy antwortete für einen Moment nicht, bevor er ein "Was?", herauspresste.
Ich klopfte auf das Holz. "Was hast du mit dem Kabinett gemacht?"
Malfoy schluckte nervös. "Achso. Ähem. Ich habe die Runen unten am Saum erneuert und die Zauber ausprobiert, die du aufgeschrieben hast. Du weißt schon- äh ... ja."
Ich kniff bei seinen Gestammel misstrauisch die Augen zusammen. "Ist alles in Ordnung?"
Malfoy wandte sich ab und lief zum Schreibtisch herüber.
"Ja. Klar."
Ich musterte skeptisch, wie er sich in einen Sessel fallen ließ und die Beine überschlug.
"Und? Was willst du jetzt machen?"
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
"Was meinst du?"
Malfoy deutete auf das Verschwindekabinett. "Der Apfel ist sicher transportiert worden. Wir sind fertig."
Er stand auf und strich sich die Hose glatt.
"Ich gehe jetzt. Dir noch einen schönen Tag."
Mit diesen Worten machte er Anstalten zu gehen.
"Warte!", rief ich ihm hinterher und er fror förmlich auf der Stelle ein.
Langsam drehte Malfoy sich wieder zu mir um. "Was ist denn?", fragte er nervös.
Ich schluckte einen Kommentar zu seinem merkwürdigen Verhalten herunter und deutete auf das Verschwindekabinett.
"Wir müssen noch sicherstellen dass lebende Objekte sicher transportiert werden."
Malfoys Blick huschte zwischen mir und dem magischen Schrank hin und her.
"Ja... sicher."
Ich seufzte und fuhr mir in die Haare. "Ich würde sagen, du besorgst uns ein Tier, irgendwas Kleines und wir treffen uns in zwei Tagen wieder hier. Eine Stunde nach Arithmantik. Alles klar?"
Malfoy nickte einmal knapp, dann wandte er sich ab.
Ich sah ihm stirnrunzelnd hinterher.

The dark LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt