In einer Nische hinter dem Bahnhof Kings-Cross wartete eine dunkel gekleidete Gestalt auf mich.
Es machte ihr offensichtlich nichts aus, dass sie von den Muggeln aufgrund ihrer merkwürdig geschnittenen Robe schief angesehen wurde und hob erst den Kopf, als ich unmittelbar vor ihr stand.
Es war der vierundzwanzigste Dezember und ich hatte soeben den Hogwarts-Express verlassen, der die Schüler zum Weihnachtsfest nach Hause gebracht hatte.
Ich hatte die Anweisung erhalten, mich hinter das Bahnhofsgebäude zu begeben, um dort abgeholt zu werden.
Nun war offensichtlich, mit wem ich mich hier treffen sollte. Eben jene Person funkelte mich unter ihrer dunklen Kapuze her an.
Ihre Hände hoben sich zu ihrem Gesicht und schlugen die Kapuze nach hinten.
Ich blickte in die schwarzen Augen von Bellatrix Lestrange.
Mit schweren Lidern musterte diese mich. Ich erschauderte, bemühte mich aber, ihrem Blick standzuhalten.
"Da bist du ja endlich", bemerkte sie kühl, "der dunkle Lord erwartet uns bereits in einer Stunde."
Widerwillig hakte ich mich bei ihr unter und spürte sogleich den vertrauten Sog, als wir disapparierten.
Zumindest hatte ich dies schon oft genug getan, um vor der Frau meine Würde zu bewahren und bei der Landung mein Gleichgewicht zu fangen.
Bellatrix trat vor und stieß einen Pfiff aus, als sie das vor uns liegende Gebäude sah.
"Da hat Mattilein aber was angerichtet. Und du glaubst wirklich, dass noch was von deinen Sachen übrig geblieben ist?"
Sie schenkte mir ein schiefes Grinsen, das mir die Haare zu Berge stehen ließ, bevor sie enthusiastisch auf das zerstörte Waisenheims zulief.
Immer noch an der Stelle stehend, an der wir gelandet waren, blickte ich zu der steinernen Fassade auf. Oder dem, was davon übrig geblieben war.
Der erste Stock des Waisenheims war auf der einen Seite komplett zerstört, dort, wo Matthews Zimmer gewesen war, klaffte nur noch ein Loch.
Im umliegenden Gebüsch lagen immer noch Trümmer verstreut.
Bellatrix kickte vergnügt die Überreste eines Ziegelsteins in die Ruine.
Ich wagte einen Schritt vorwärts, um ihr hineinzufolgen.
Sie hatte mich hergebracht, damit ich die Besitztümer, die ich im Sommer zurückgelassen hatte, einsammeln konnte, ein ungewöhnliches Entgegenkommen des Dunklen Lords.
Ich würde meine wenigen Klamotten und Bücher in meinen Koffer packen und damit endgültig ins Malfoy Manor ziehen.
Als ich an dem Gebäude angekommen war und durch die aufgebrochene Tür trat, breitete sich auf einmal ein Stechen in meiner Brust aus.
Es war erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich ein Ort verändern konnte.
Hier im Waisenheim war ich aufgewachsen. Es war zwar nicht das gewesen, wie man sich eine glückliche Kindheit vorstellte, doch dieses Haus, dieser Ort hatte für mich einmal ein Zuhause dargestellt. Ein Ort, an dem meine Freunde auf mich warteten, meine kleine Familie, ein Ort, an den ich immer zurückkehren konnte.
Jetzt war alles davon fort. Meine Kindheitsfreunde waren geflohen und versteckten sich irgendwo, wo ich sie nicht finden konnte, mein Halbbruder war tot, das Waisenheim zerstört.
Das Haus, in dem ich noch vor einem halben Jahr gelebt hatte, war nun verfallen und nicht mehr bewohnbar. Eine Ruine, wo sich nicht mal die Mühe gemacht wurde, sie abzureißen.
Ich blickte nach oben. Wie immer führte eine breite Holztreppe in das obere Stockwerk, zu den Zimmern, in denen die Kinder geschlafen hatten.
Die Türen im unteren Stockwerk standen alle sperrangelweit offen, wenn sie nicht ganz herausgerissen waren, der Gang, der einmal zu Jennys Büro geführt hatte, war mitsamt letzterem verschwunden. Die restlichen Räume waren verwüstet.
Unser Geschirr war komplett über dem Küchenboden verteilt, die Stühle im Esszimmer lagen im Zimmer verstreut. Zwischen den Möbeln lag eine zerschlissene Matratze, die jemand dort hatte liegen lassen. Abscheu überkam mich.
Das hier hatte nichts mit den Todessern zu tun. Nichts mit dem Obscurus, der Matthew umgebracht hatte. Das hier waren Muggel gewesen. Erbärmliche, nicht magische Gestalten, die nichts besseres zu tun hatten, als in jemandes Zuhause zu hausen und es zu verhunzen.
Mein Blick fuhr über die Wände, die mit Graffitis verschmiert waren. Als ich zuletzt durch diesen Flur gegangen war, hatten hier noch Kinderzeichnungen gehangen. Ein paar Meter weiter lagen tatsächlich Papierfetzten herum, doch ich ließ mich nicht dazu herab, sie aufzusammeln. Sie waren feucht von Regen, der durch die offene Wand und die eingeschlagenen Wände gedrungen war.
Ich schleppte mich zu der Treppe, die ich immer hinaufgelaufen war, um mein Zimmer zu betreten. Im Hochgehen wischte ich ein gelbes Absperrband beiseite, das mir entgegen flatterte.
Ab diesem Punkt bezweifelte ich, dass sich überhaupt noch etwas in meinem alten Zimmer befand, doch ich stellte fest, dass ich nicht in der Lage war, es gut sein zu lassen und diesen schrecklichen Ort zu verlassen.
Die naive Hoffnung, es könnte sich vielleicht doch noch etwas in diesen Ruinen befinden, zog mich weiter nach oben.
Der Beginn des Flurs war das einzige, das vom oberen Stockwerk noch übrig war.
Der Gang führte noch etwa bis zur Mitte des Gebäudes, ab da klaffte ein riesiges Loch und ließ die Abendsonne hinein.
Ich trat unter den aus der Decke ragenden Stahlträgern hervor und befand mich auf einmal wieder draußen.
Von hier aus hatte ich einen perfekten Blick auf den Wald, in dem Dylan immer magische Tierwesen gefunden hatte und die Stelle, auf der ich vorhin mit Bellatrix gelandet war.
Von unten drangen immer noch dumpfe Geräusche zu mir hoch und ein Gefühl von Missmut stieg in mir auf.
Diese Frau musste meine Heimat nicht noch mehr verwüsten.
Aber- ich warf einen Blick auf den verstaubten und bereits modrigen Boden, auf den meine Füße standen- war das hier überhaupt noch noch meine Heimat?
Auf einmal packte mich die Angst, der Boden könne jeden Moment einstürzen und mich mit sich in die Tiefe ziehen.
Ich warf einen Blick zu der Stelle herüber, an der ich meine Nächte verbracht hatte, die selbst noch für mich freigehalten worden war, nachdem ich nach Hogwarts gezogen war. Nur noch mein Zimmer.
Ich trat vorsichtig über ein Stück Schutt und trat bemüht leichtfüßig zu den Überresten meines alten Zimmers herüber.
Ich starrte die Stelle an.
Es war nicht mehr viel da. Um nicht zu sagen Nichts.
Die Wände waren fast vollständig fortgerissen, abgesehen von einem kleinen Mauerstück, das noch einen halben Meter emporragte.
Von unseren Möbeln und Habseligkeiten war nichts mehr zu sehen.
Es lag nur wie überall Schutt und Staub von der Explosion herum.
Tiefe Verbitterung überkam mich, als mir klar wurde, dass die Todesser das hier ausgelöst hatten.
Sie hatten das Waisenheim überfallen, hatten Matthew als Geisel genommen, um mich zu kriegen. Wegen ihnen war der Obscurus ausgebrochen, hatten diesen Ort zerstört und meinen Halbbruder getötet. Und eine von ihnen lief unten herum und amüsierte sich über den Schaden.
Doch die eigentliche Schuldige war Jenny. Jennifer. Sie hatte mich hier gehalten, hatte sich meinem Vater widersetzt und sich geweigert, mich ihm zu überlassen. Jeder wusste, dass dieses Verhalten nur zu einer Katastrophe führen konnte.
Wegen ihr war meine Vergangenheit nun tot.
Frustriert kickte ich einen Stein durch den Raum- und stutzte.
Das Stück Schutt traf gegen einen grauen Gegenstand, den ich zunächst ebenfalls für einen Stein gehalten hatte.
Doch bei genauerer Betrachtung- ich hockte mich hin und griff danach.
Es handelte sich um den versiegelten Einband von "Traditionelle Methoden der Behandlung gefährlicher Anomalien". Ich strich den Staub beiseite, der sich darauf abgesetzt hatte und sein silbernes Schimmern kam mir entgegen.
Eine Mischung aus Aufregung und Trauer stieg in mir hoch.
Ich hatte in diesem Buch nach einer Heilung für Matthews Obscurus suchen wollen, es jedoch nicht mehr geschafft, den Schutzzauber, der darauf lag, zu knacken.
Jetzt war es zu spät.
Trotzdem steckte ich das Buch ein. Es war das einzige, das den Ausbruch heile überstanden hatte und das letzte Erinnerungsstück, das ich an meinen Halbbruder hatte.Als ich die Treppe wieder hinunterschritt, wurde klar, weshalb Bellatrix solch einen Lärm gemacht hatte.
Ich stand auf einer der oberen Stufen, als auf einmal ein hagerer Mann mittleren Alters aus dem Esszimmer hastete und einen Schlafsack an sich klammerte.
Sein Kinn war mit Bartstoppeln bewachsen, seine Kleidung dreckig und abgenutzt.
Eine neue Welle von Abscheu überkam mich.
Wie konnte er es wagen, in meinem-
Bellatrix Kichern unterbrach meinen Gedankengang.
Der Mann riss panisch die Augen auf, als sie mit erhobenem Zauberstab auf ihn zuschlenderte.
"B- bitte", stammelte er vor sich hin, "tun sie mir nichts! Ich- ich gehe schon, sehen sie-"
Er stolperte rückwärts in Richtung Tür, drückte den Schlafsack an sich wie ein Kind sein Stofftier.
Bellatrix rückte mit jedem Schritt auf.
"Du willst leben, Muggel?", fragte sie mit hoher Stimme, "dann geh auf die Knie und bettle!"
Für einen Moment starrte der Mann sie unschlüssig an.
Bellatrix zuckte mit dem Kopf vor rief laut "Buh!", sodass der Muggel vor ihr über seine Füße stolperte und auf den Rücken fiel.
Der Todesserin entwich ein vergnügtes Lachen und eilte zu ihm herüber.
"Weißt du nicht wie man bettelt, Muggel? Ich zeige es dir!"
Mit einem Schwenk ihres Zauberstabes richtete sie den Mann auf und stellte ihn auf die Knie. Mit einer weiteren Handbewegung stieß ihn eine unsichtbare Kraft nach vorne, sodass er sich vorne mit den Händen abstützen musste.
"Das ist die richtige Position!", rief Bellatrix, "und jetzt bettel um dein erbärmliches Leben!"
Der Muggel begann zu Schluchzen und stammelte Entschuldigungen und Bitten vor sich hin.
Bellatrix sah zu mir auf.
"Was meinst du Samantha? Soll ich ihn verschonen?"
Erst jetzt schien der Mann mich zu bemerken und sah flehentlich zu mir auf.
"Bitte! Bitte helfen Sie mir!"
Mitleidslos sah ich auf ihn herab.
Sah die Graffitis, mit denen seinesgleichen mein Zuhause verunstaltet hatten.
Ich wandte meinen Blick von ihm ab und schritt langsam die Treppe hinunter.
"Mach mit ihm was du willst, Bellatrix."
Ein erfreutes Funkeln leuchtete in Bellatrix Augen auf.
Der Mann flehte mich weiter um Hilfe an, doch ich ignorierte ihn, ging an ihm vorbei aus dem Haus.
Als ich ihn hinter mir zusammensacken hörte, verspürte ich weder Reue noch Mitleid.Mit dem Buch im Schlepptau und dem Obdachlosen auf den Gewissen apparierten wir in das Malfoy Manor.
Meine Ausbeute war mager und ich würde Narzissa wohl darum bitten müssen, mich komplett neu auszustatten. Das Buch lag kühl in der Innentasche meines Mantels.
Zumindest wusste ich jetzt, dass ich vorher nicht mehr ins Waisenheim zurückkehren würde.
Ich schüttelte den Gedanken ab.
Dieser Teil meines Lebens lag nun hinter mir, genauso wie meine Loyalität dem Ministerium und meiner Schule gegenüber.
Ich war einst vor die Wahl gestellt worden zwischen der Freundschaft zu den Ravenclaws und der zu den Slytherins.
Dieses Mal würde meine Wahl auf letztere fallen. Die, von denen Jenny mich hatte fernhalten wollen.
Selbstgefällig schritt ich hinter Bellatrix in den Empfangssalon hinein.
Die Todesserin stieß die Tür auf und eröffnete mir den Blick auf eine lange Tafel, an der mehrere dunkle Gestalten versammelt waren.
Augenblicklich lag der rote Blick meines Vaters auf mir, der mich förmlich durchbohrte. Mit ihm saßen weitere Todesser am Tisch, von denen ich einige aus der Zeitung und von jenem Abend am Trimagischen Turnier wiedererkannte.
Narzissa Malfoy, die mich oft begleitet hatte, saß auch dabei.
Doch meine Aufmerksamkeit richtete sich wie automatisch auf den Jungen der neben ihr saß und mich mit entsetzt geweiteten Augen anstarrte.***
Heyy, heute kommt das Kapitel mal etwas später.
Ich wusste nicht, ob ich es noch heute Abend hochladen sollte, aber da letzte Woche ausgefallen ist und wir unter der Woche haben fand ichs besser als morgen Mittag.
Im Moment sind die Updates ziemlich unregelmäßig, da ich mich viel um mein Studium kümmern muss uns immer noch auf Wohnungssuche bin.
(Bin momentan süchtig nach WG-Gesucht XD)
Dafür ist meine Motivation inzwischen etwas zurückgekehrt, das Kapitel von heute mag ich sogar ganz gerne.Euch einen schönen Abend,
-Absolina^^
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The dark Lady
FanfictionSequel zu: She who can not be named ❥︎ Für Sam hat sich Alles geändert. Denn nicht nur scheinen die Beziehungen zu ihren Mitschülern völlig neue Wege einzuschlagen, sondern auch ihre eigenen moralischen Vorstellungen und Ziele erscheinen nun merkwür...