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Ich hockte in einem der Sessel meiner Gemächer und zerstieß gerade ein getrocknetes Büschel Gänsefingerkraut mit einem Mörser.
Auf dem vollgestellten Beistelltisch, der eigentlich dazu gedacht war, ein Teeservice oder vielleicht eine Blumenvase zu tragen, quetschten sich neben unsortierten Stapeln an Büchern und Pergamentrollen unzählige Zaubertrankzutaten aneinander.
Frische Kräuter, vertrocknete Insekten, bunte Kristalle, feine Pulver aus allen möglichen Substanzen, die es zu finden gab.
In dem Kamin neben der Sitzgruppe loderte bereits ein Feuer und erwärmte den Kessel, in dem gerade einen Zaubertrank braute.
Nichts Besonderes, ein Mittel gegen Krämpfe, doch ich hatte in den letzten Wochen damit begonnen, mich für das Brauen von Tränken zu interessieren.
Nicht dass ich viel Zeit dazu gehabt hatte, jetzt da wir Todesser ständig auf Missionen geschickt wurden, die das Ministerium schwächen sollten, doch an meinen freien Tagen hatte ich meine Langeweile damit vertrieben, ein bisschen herumzuexperimentieren.
Ich hätte mich auch im Duellieren oder anderen Zaubern üben können, doch mir gefiel die Abwechslung, die das Tränkebrauen mit sich brachte.
Ich konnte nicht einfach mit dem Zauberstab schwingen und irgendwelche lateinischen Wörter hunderte Male wiederholen, bis ich die richtige Aussprache hatte, sondern musste von Hand die Zutaten vorbereiten, die ich zuvor draußen im Garten oder in der Vorratskammer der Malfoys zusammengesucht hatte.
Es hatte etwas Beruhigendes an sich, die Kräuter von eigener Kraft zu zerstoßen, zum Kamin herüberzulaufen und sie in den brodelnden Trank einzurühren, der sogleich eine sumpfig grüne Farbe annahm.
In zwanzig Minuten würde ich den Trank ein letztes Mal umrühren müssen, bevor ich das Feuer löschen und den Kessel über Nacht in der Glut ruhen lassen würde.
So war das beim Tränkebrauen- es gab keine Abkürzung, keinen Zauber, der den Trank von einer auf die andere Sekunde fertigstellen würde.
Ein guter Trank brauchte Zeit.
Ich wandte mich wieder vom Kamin ab und sah mich in meinem Zimmer um.
Die Sitzgruppe, neben der ich stand- zwei Sessel und ein kleines Sofa, beides in einem blassen Gelbton gehalten- befand sich direkt gegenüber der Tür, die hinaus in den Gang führte.
Es handelte sich um genau denselben Raum den ich bereits über Weihnachten bezogen hatte, doch diesmal handelte es sich nicht um ein einfaches Gästezimmer, sondern um die Räume, die offiziell mir, der Tochter des dunklen Lords, zustanden.
Auf dem Couchtisch und dem Kaminsims stapelten sich meine Zaubertrankzutaten und Tinkturen, der Schreibtisch in der Ecke war unter den ganzen Unterlagen und Federkielen nicht mehr zu sehen und die Kommode hinter dem Wandschirm war mit meinen Blusen und Umhängen zugestopft.
Das Bad nebenan hatte den Geruch meiner Shampoos angenommen und der Wohnbereich war stets von den Ausdünstungen der Tränke und Substanzen erfüllt, die ich im Kamin köcheln ließ.
In den zwei Monaten, die ich hier verbrachte, hatte ich bereits meine Spuren hinterlassen.
Wenn ich nicht gerade Zaubertränke braute, oder an Todesserversammlungen teilnahm, übernahm ich oft kleinere Missionen, die mir meist von anderen Todessern übermittelt wurden.
In der Winkelgasse Besorgungen machen. Einen Brief abfangen. Einen Streit zwischen zwei Todessern schlichten.
Aufgaben, die nicht spannender sein konnten. Merke die Ironie.
Den dunklen Lord bekam ich kaum zu Gesicht, nicht dass ich etwas dagegen hätte.
Doch ich wusste, das hier war die Ruhe vor dem Sturm.
Wir waren kurz davor, das Ministerium zu stürzen, kurz davor, Potter zu kriegen und hier zu sitzen und fremde Briefe zu lesen oder Streitschlichter zu spielen, fühlte sich an, als würde ich mit dem Rücken zu einer Zeitbombe sitzen, die jederzeit explodieren konnte.
Draco hatte ich in den letzten Wochen kaum gesehen.
Es war nicht so, dass Narzissa immer noch aktiv versuchte, uns voneinander zu trennen- dafür hatte sie wohl zu viel Respekt vor mir, jetzt wo sie wusste, wer ich war, vielmehr hielt ich mich bewusst von ihm fern.
Ab und zu trafen wir uns im Gang oder beim Abendessen und manchmal besuchte er mich in meinen Gemächern- doch ich hielt mich jedes Mal kurz.
Wir hatten noch Vieles zu bereden, angefangen bei unserem Kuss bis hin zu den Ereignissen des Angriffs auf Dumbledore- doch dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort dafür.
Jetzt, wo der dunkle Lord sich im Krieg gegen das Ministerium befand und mir immer noch nicht sein volles Vertrauen geschenkt hatte- ich würde wichtigere Aufgaben erledigen als den Laufburschen zu spielen, wenn dem nicht so wäre- war es einfach zu riskant, offen zu zeigen, in welcher Beziehung ich zu Draco stand.
Der dunkle Lord hatte bereits gemerkt, dass mir etwas an ihm lag, daher wollte ich nicht mein Glück riskieren und direkt vor seiner Nase zu viel Zeit mit dem jüngsten Malfoy verbringen.
Nicht im Moment, wo noch alles auf der Kippe stand.
Seufzend begann ich damit, ein paar der Zaubertrankzutaten zusammenzusammeln und in meiner Kommode zu verstauen, um das Chaos zumindest etwas zu bändigen.
Die Hälfte blieb jedoch trotzdem stehen, als die Schublade voll war und ich die darüber aufzog, um mir frische Klamotten daraus hervorzuziehen.
Die meisten Todesser, zumindest die höherer Stellung, bevorzugten allesamt eher konservative Kleidung, daher trug ich meistens ebenfalls hochgeschlossene Kleider oder zumindest lange Umhänge über dunklen Hosen.
In eine Solche schlüpfte ich nun, bevor ich mir einen pechschwarzen Umhang überwarf.
Die dazugehörige Maske lag kalt in meiner linken Umhangtasche.
Ich richtete noch einmal meinen Kragen und schnappte mir meinen Nimbus 2001, bevor ich den letzten Schliff an meinem Trank vornahm und den Raum verließ.

The dark LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt