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Am Morgen darauf erwachte ich mit einem merkwürdig zufriedenem Gefühl. Das Wissen, dass ich ab jetzt nicht mehr Mandy auf Schritt und Tritt verfolgen musste, dass ich nicht in jedem Moment mit Gefahr rechnen musste, beruhigte mich ungemein. Die letzten Wochen hatte ich unter Dauerstress verbracht, hatte mich einzig mit der unmittelbaren Bedrohung, die von meiner Klassenkameradin ausging, beschäftigt. Es, schien, als könnte ich endlich durchatmen. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Und das an Weihnachten.
Im nächsten Moment fror mein Lächeln ein. Ich war über Weihnachten immer ins Waisenheim gefahren, um dort mit Lea und Dylan zu feiern. Ein schmerzliches Stechen fuhr durch meine Brust, bei dem Gedanken, dass sie sich jetzt irgendwo verstecken mussten, dass ich sie nicht sehen konnte. Das Waisenheim war zerstört, mein Halbbruder war mit ihm untergegangen.
Und Jenny- Jenny hatte mich verraten. Selbst wenn alles wäre wie sonst, ich hätte es nicht ertragen, sie noch einmal zu sehen und so zu tun als wäre nichts.
Ich hatte mich dafür entschieden, der unschönen Wahrheit ins Gesicht zu blicken, anders als sie, die immer davor weggelaufen und sich in eine angenehme Lüge geflüchtet hatte.
Diese Weihnachten würde ich im Malfoy Manor verbringen.
Natürlich würde mich alles andere als ein gemütliches Weihnachtsfest erwarten.
Ich streckte mich und schob den Vorhang an meinem Bett beiseite, um aufzustehen. Aus dem Panoramafenster neben meinem Bett schien schwaches Morgenlicht und tauchte das Zimmer in einen bläulichen Schimmer.
Ich lief an den Betten der anderen vorbei, an denen die Vorhänge alle noch zugezogen waren. Misstrauisch musterte ich den Vorhang von Mandy. Sollte ich warten bis sie aufwachte, um sicherzugehen, dass der Zauber wirklich gewirkt hatte?
Bei dem Gedanken daran, dass heute kein Unterricht stattfand und dass Mandy gerne mal bis Mittag schlief, verwarf ich mein Vorhaben und machte mich fertig für den Tag. Wie neuerdings auch immer zog ich mir als erste Maßnahme das Paar Armstulpen unter den Pullover, um das dunkle Mal vor Blicken zu schützen.
Im Gemeinschaftsraum traf ich auf Zack, der schon auf mich wartete und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Frühstück.
Am Hufflepuff-Tisch entdeckten wir tatsächlich Marge und so setzten wir uns zu der Siebtklässlerin, die wir in letzter Zeit so selten gesehen hatten.
"Morgen", grummelte diese und nahm einen großen Schluck Kaffee.
"Hey", begrüßte ich sie fröhlich und ließ den Blick über das Büffet wandern. Vor uns stapelte sich eine große Menge an Pancakes.
Zack bediente sich an der Platte. "Und, wie läufts mit Lernen?"
Marge warf ihm einen genervten Blick zu und streckte sich. "Ich tue mal so, als hättest du mich gefragt, was ich in den Weihnachtsferien mache. Also falls es euch interessiert", sie zwinkerte mir zu, "ich bleibe hier."
Ich erinnerte mich an unser Gespräch vor den Sommerferien zurück und legte den Kopf schief. "Kein Familienfest?"
Marge schüttelte bedauernd den Kopf. "Zu riskant, du weißt schon- außerdem ist es auch nicht so, dass ich mich um Weihnachten mit meiner Familie reißen würde."
Zack warf mir einen Seitenblick zu und ich versteckte meine Reaktion in meiner Kaffeetasse.
Ich hätte es gern gehabt, wenn Marge mit mir ins Malfoy Manor kommen würde, doch es war einfach zu riskant. Die Chance, dass sie zum Dunklen Lord überlaufen würde, war verschwindend gering und ich konnte nicht darauf vertrauen, dass sie wie Zack dichthielt, wenn sie von meinem Geheimnis erfuhr. So war es wahrscheinlich am besten.
"Ich bin die Ferien über Zuhause", erklärte Zack, "meine Eltern meinten, es wäre zu gefährlich in den Urlaub zu fahren, jetzt mit Ihr-wisst-schon-wem. Wird ziemlich öde. Vielleicht hat eine von euch beiden ja Lust, mitzukommen?"
Er warf mir einen vielsagenden Blick zu und ich stöhnte innerlich auf. Natürlich dachte er, dass ich immer noch vor dem Dunklen Lord fortlief.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich feier mit Lea, Dylan- und Jenny. Die drei haben ein Versteck und es dürfte gut gehen. Außerdem will ich euch nicht in Gefahr bringen."
Ich warf Marge einen Blick zu. Sie wusste von dem Todesser-Angriff und auch von Matthews Tod, sonst wäre sie misstrauisch geworden. Der Version nach, die ich ihr erzählt hatte, war Jenny eine ehemalige Todesserin, die aufgrund ihrer Untreue verfolgt wurde- was ja eigentlich sogar stimmte. Die Waisen, die sie aufgezogen hatte, darunter auch ich, waren demnach auch im Visier.
"Bei mir ist es genauso", erwiederte Marge, "ich würde dich auch nur in Gefahr bringen und in Hogwarts ist es ohnehin am sichersten", sagte sie an Zack gewandt, "aber vielleicht hast du ja Lust, früher aus den Ferien zurückzukommen."
Zack setzte gerade zu einer Erklärung an, als sich Lisa Turpin und Sue Li zwei Tische weiter setzten. Ich blendete das Gespräch neben mir aus und konzentrierte mich stattdessen auf die beiden Mädchen. Etwas stimmte nicht.
Beide schienen ziemlich niedergeschlagen zu sein und was mich noch mehr beunruhgte- Mandy war nicht bei ihnen.
Unruhig sah ich mich in der Halle um. Nach den Mädchen kamen gerade Terry, Anthony und Michael herein, die ähnlich besorgt wie die anderen beiden wirkten. Irgendetwas stimmte nicht.
Ich stieß Zack an. "Hey, da sind deine Kumpels."
Zack, der gerade Marge zugehört hatte, sah verwirrt auf, bevor er die drei Ravenclaws entdeckte.
"Hey!", zu meiner Erleichterung setzte er sich auf und winkte den dreien zu.
Marge grummelte mürrisch, als sie auf unseren Tisch zuhielten, während ich sie lauernd musterte. Es wäre zu auffällig, zum Ravenclaw Tisch herüber zu laufen und nachzufragen, was los war, also konnte ich vielleicht über die drei Jungs erfahren, ob etwas mit Mandy nicht stimmte.
"Morgen", sagte Anthony lasch, während die anderen beiden sich wortlos auf die Bank fallen ließen.
Zack zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. "Was ist los? Ihr seht aus als wäre eure Eule gestorben." Michael und Terry tauschten einen Blick.
"Es ist Mandy", erklärte Anthony schließlich. Für einen Moment schien mein Herz in der Brust stehen zu bleiben. "Was ist mit ihr?", fragte ich atemlos.
Terry warf mir einen merkwürdigen Blick zu, während Michael resigniert den Kopf schüttelte. "Sie ist gestern Nacht in einem der Korridore gefunden worden, ganz in der Nähe von Slughorns Büro. Irgendwer muss sie angegriffen haben, aber sie kann sich an nichts mehr erinnern."
Terry erschauderte. "Das erinnert mich zu sehr an die Sache in unserem zweiten Schuljahr."
Während die Jungs sich um den mysteriösen Angreifer sorgten, musste ich ein triumphierendes Lächeln unterdrücken. Es hatte funktioniert! Es hatte wirklich funktioniert!
Zack warf mir einen scharfen Seitenblick zu. Natürlich wusste er, wer der Angreifer gewesen war. Und natürlich war er nicht gerade begeistert. Seiner Meinung nach hätte ich noch mindestens zwei Tage Übung gebraucht. Aber sobald ich die Gelegenheit fand würde ich ihm die Umstände erklären- Außerdem hatte der Zauber ja geklappt.
Ich erwiederte seinen Blick unauffällig mit einem selbstsicherem Grinsen.
Michael wandte sich ab und drehte sich zum Ravenclaw-Tisch um. "Oh, Sue Li und Lisa gehen wieder."
Ich folgte seinem Blick und sah, dass die beiden Mädchen gerade aufstanden. Lisa war noch am kauen. "Sue Li hat die ganze Nacht im Krankenflügel verbracht und seit sie davon erfahren hat, war auch Lisa nicht mehr woanders. Madam Pomfrey schickt ausnahmsweise mal nicht alle weg, in der Hoffnung, dass sie vielleicht jemanden erkennt."
Ich runzelte die Stirn. Im Krankenflügel?
"Was meint ihr?", fragte Zack nach, "mit in der Hoffnung, dass sie jemanden erkennt?"
Anthony sah betreten auf seine Füße.
"Sie kann sich nicht mehr erinnern. An gar nichts. So wie bei Lockhardt damals."
Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen.
Mit einem Mal war ich wie erstarrt. Ich hatte Mandy nicht die Erinnerung an mein Mal genommen. Ich hatte ihr gesamtes Gedächtnis ausgelöscht.
"Wollt ihr nicht gerade vorbeisehen?", schlug Michael vor, "ihr wisst ja- vielleicht erkennt sie euch."
Ich spürte Zacks Blick auf mir, wich diesem jedoch aus.
Verdammt.
Aber ich stellte fest, dass es mich weniger traf, als wenn Mandy noch weiterhin über mich Bescheid wüsste. Und vielleicht war es ja gar nicht so schlimm.
"Wir können sie ja mal besuchen", meinte Zack. Seine Stimme klang gepresst.
Da unser Frühstück eh beendet war, standen wir auf und steuerten auf den Krankenflügel zu. Marge verabschiedete sich in vor der großen Halle von uns, da ihr nicht nach einem Krankenbesuch war, und wir liefen zu zweit weiter.
Zwischen uns herrschte eisiges Schweigen.
Wie gerne wäre ich jetzt abgehauen und hätte mich in meinem Zimmer verschanzt, doch ich musste nun einmal überprüfen, in welchem Zustand Mandy war.
Zack wollte gerade zu etwas ansetzen, da erreichten wir den Krankenflügel und ich bog ein, bevor er etwas sagen konnte.
Draußen war es nicht hell genug, um das nötige Licht zu spenden, daher waren die Lichter an der Decke angezündet und tauchten den Saal in warmes Licht.
Hie und da lagen ein Paar erkältete Schüler in den Betten, tranken Hustensaft und ruhten sich aus.
Als sie uns erblickte, kam Madam Pomfrey uns geschäftig entgegen. "Guten Morgen. Wie kann ich behilflich sein?"
Ich schluckte. "Unsere Mitschülerin- Mandy Brocklehurst- ist hier. Wir wollten nach ihr sehen."
Madam Pomfreys Blick verdunkelte sich. "Miss Brocklehurst- natürlich. Aber nur kurz. Und seien sie leise- ich habe noch andere Patienten!"
Sie bedachte uns mit einem strengen Blick, bevor sie uns in den hinteren Teil der Krankenflügels führte.
Sie schob einen weißen Vorhang, direkt neben ihrem Büro, beiseite und steckte ihren Kopf hinein. Sie tauschte kurz ein paar Worte mit jemandem, dann ließ sie uns passieren.
Ich ließ Zack den Vortritt, dann trat ich hinter ihm ans Krankenbett.
Mit uns befanden sich Sue Li und Lisa Turpin hinter dem Vorhang. Beide saßen auf einem Stuhl an Mandys Bett. Sue Li hatte die Hand ihrer besten Freundin umklammert und sah aus der Nähe noch erschöpfter aus als vorhin. Mandy selbst saß in die Kissen gelehnt in ihrem Bett und trank gerade aus einer großen Tasse Tee.
Als sie uns bemerkte, machte sie große Augen und setzte ihr Getränk ab.
"Oh, hallo. Ihr seht aus wie ein Paar. Meinst du nicht auch, Julie?", sie stieß Sue Li mit dem Ellenbogen an, "oh, aber du könntest ihn dir auch unter den Nagel reißen. Blonde Haare, süße Nase. Könnte aber ein bisschen größer sein. Er ist ja nicht größer als seine Freundin."
Mandy plapperte munter vor sich her, als würden Zack und ich sie nicht hören, während wir anderen betreten zu Boden sahen.  Zack wand sich unangenehm, während sie ihn unter die Lupe nahm.
"Hey Mandy", unterbrach Lisa ihren Redeschwall und legte ihr die Hand auf den Oberschenkel, "Das sind Zack und Sam. Zwei Klassenkameraden von dir. Sie sind auch aus Ravenclaw, wie du und-"
"Ravenclaw?", wiederholte Mandy skeptisch, "Rabenklaue? Halten sie sich für Vögel oder was?", sie kicherte, "komische Vögel. Versteht ihr- wegen Raben?"
Lisa seufzte und wandte sich an uns. "Tut mir Leid- sie ist ganz durcheinander. Nehmts nicht persönlich. Das ist jetzt bestimmt das zehnte Mal, dass wir Ravenclaw erwähnen, aber es ist, als würde sie sich an gar nichts erinnern. Nicht einmal an das, was wenige Minuten alt ist!"
Verzweifelt krallte sie sich in die dicken Bettlaken, während Mandy weiter vor sich hingluckste. Sue Li redete beruhigend auf sie ein.
Im nächsten Moment schoben sich die Vorhänge hinter uns beiseite und Madam Pomfrey kam herein. "Und? Irgendeine Reaktion?"
Lisa schüttelte den Kopf. "Wie bei den anderen auch. Sie hat keinen der beiden erkannt."
"Das war nicht anders zu erwarten", seufzte Madam Pomfrey bedauernd und beugte sich zu ihrer Patientin herüber, um ihr die leere Teetasse aus der Hand zu nehmen.
"Wissen sie, was ich mich schon immer gefragt habe, Frau Krankenschwester?", fragte Mandy und gab die Teetasse nur widerwillig fort.
"Nein, Mandy", erwiederte die, "was denn?"
"Wieso kümmern sie sich hier um mich und arbeiten nicht im Krankenhaus? Sollten sie sich nicht um Kranke kümmern?"
"Oh, das tue ich", erwiederte Madam Pomfrey, während sie Mandys Tasse abstellte, "ich arbeite hier im Krankenflügel und kümmere mich um kranke Schüler."
Mandy zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, während Zack sich an Madam Pomfrey wandte. "Gibt es irgendeine Möglichkeit-"
Er sprach den Satz nicht zuende. Die Krankenschwester verstand ihn auch so. Ihre Miene sprach Bände. "Wohl eher nicht. In der Regel kann nur derjenige, der den Gedädchtniszauber gewirkt hat, seinen Effekt wieder rückgängig machen- aber selbst wenn wir den Täter fänden, ist er nicht richtig ausgeführt worden, weshalb selbst er wahrscheinlich nicht mehr viel ausrichten kann."
Mein Magen wurde schwer.
"Ich- ich muss noch packen", meldete ich mich mit ungewöhnlich hoher Stimme und schob mich an Madam Pomfrey vorbei durch die Vorhänge.
"Gehst du etwa auf Reisen?", wehte Mandys Stimme hinter mir her, "oh, ich wollte schon immer mal verreisen! Nimm mich mit! Ich habe schonmal gehört, dass man auf einem Drachen-"
Mandys Stimme war nicht mehr zu hören, als ich den Krankenflügel durchquert hatte und in den Korridor hinausstürmte.
Es war schlimmer als ich erwartet hatte. Ich hatte gedacht das einzige, das mich schockieren würde, wäre, dass sie mich erkannte, sich erinnerte. Aber das hier- ihr gesamtes Gedächtnis schien zerstört zu sein!
Und ich- ich-
Ich stolperte gegen die nächste Wand und ballte frustriert die Fäuste.
Meine Stirn lehnte an dem kühlen Gemäuer, doch mein Kopf wollte nicht ganz klar werden.
Die Auswirkungen waren heftiger als gedacht, aber vielleicht war es nicht so schlimm, wie es am Anfang schien. Immerhin musste Mandy sich nicht mit der Angst vor mir oder einem unbekannten Angreifer herumschlagen. Und es war das einzige gewesen, was ich hatte tun können-
"Sam", jemand blieb neben mir stehen, jemand von dem ich ganz genau wusste, wer es war und was er sagen würde.
"Lass mich in Ruhe, Zack", murmelte ich gegen die Mauer.
"Sam, bitte. Du bist die einzige, die-"
"Nein", ich sah auf und schüttelte vehement den Kopf, "ich kann nichts tun. Du hast Madam Pomfrey gehört. Es ist jetzt so wie es ist."
Mit diesen Worten wandte ich mich ab und floh schnellen Schrittes aus dem Gang, vor Zack, vor Mandy.
Was immer ich tat, um Mandy zu helfen- es würde alles nur schlimmer machen.
So war mein Geheimnis am sichersten und das sollte auch so bleiben.

***

Hallo, allerseits!
Vorab, tut mir Leid, dass ich so spät dran bin, ich hab momentan ne kleine Schreibblockade... und ich bin ein bisschen aus dem Rhythmus, weil ich jetzt ja keine Schule mehr habe. Naja.

Falls es jemanden interessiert, es gab ein foreshadowing zu Mandys Gedächtnisverlust in Kapitel 11. Ich weiß auch nicht mehr genau, was ich da zusammengebastelt habe, ich hab mich vorher in ner Recherche zu Zahlenbedeutungen verloren.
Wenn ihr Lust habt, könnt ihr das ja nochmal nachlesen.

Ich weiß noch nicht, ob ich pünktlich am Wochenende hochlade, Zeit hab ich ja eigentlich zum schreiben.

Also, bis dahin,
-Absolina

The dark LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt