27: Die Legende von Koja II

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Jin senkte die Stimme zu einem hörbaren Wispern und fuhr fort, zog die Drei vollends in seinen Bann.

"Alles begann vor langer langer Zeit, als die Götter von Koja noch auf Erden wandelten und die Menschen mit ihren wundersamen Erzählungen und Liedern beschenkten. Die Menschen wiederum pilgerten nach und nach zu ihren anmutigen Palästen, die überall im Land verstreut waren und brachten ihnen Opfergaben und ihre reiche Ernte, die sie am Ende jeden Jahres einholten. Koja selbst wusste diese Gaben stets zu würdigen und segnete die Menschen mit allumfassenden Wissen, mochten sie nie an Tugend und Güte verlieren. So vergingen die Jahre, ein Sommer und Winter wich dem nächsten, während Kojas Kinder sich schon sehr bald darauf besannen, ihre eigenen Herren zu sein und ihm nicht mehr zu gehorchen. Was nützte ihnen Macht und Geld, wenn sie es nicht einsetzten? Was war das Leben wert, wenn sie es nicht genießen, die Welt da draußen nicht sehen konnten?"

"Die noch so jungen Götter waren gefangen, festgehalten in ihren eigenen vier Wänden, von ihrem eigenen Vater. Sie sehnten sich verzweifelt nach Reichtum, wollten der Menschheit selbst etwas zurück geben. Ihre Verzweiflung wuchs von Tag zu Tag, wurde größer und größer ohne die Leere in ihren Herzen jemals füllen zu können..."

Er machte eine kurze Pause, Suga war wie gefesselt.

Es erinnerte ihn an Jins erste Geschichte, die er ihnen erzählt hatte und daran, wie fertig er am Ende gewesen war.

Dieser Jin schien absolut gar nichts davon zu verspüren, hatte noch gar keine Ahnung von der Zukunft und wie sich alles für ihn entwickeln sollte.

Im selben Moment verdrängte Suga diesen Gedanken und hörte ihm weiter zu:

"Aus Verzweiflung wurde Wut, aus Wut wurde schließlich Hass und verzehrte Kojas Kinder wie die Flamme das Holz. Sie schmiedeten einen Plan, wie sie ihren Vater dazu bringen konnten, sie aus ihren Festungen zu befreien und machten sich im Schutze der Nacht auf zu seiner Zitadelle, hoch oben auf einem nach ihm benannten Berg. Sie konfrontierten ihn, beschuldigten ihn, sie jahrelang fest gehalten zu haben und wollten nun endlich die große Welt sehen. Als sich Koja nicht umstimmen ließ und meinte, es wäre nur zu ihrem eigenen Schutz und dass die Menschen womöglich Angst vor ihnen haben könnten, töteten sie ihn."

Hoseok wurde abermals blass und kaute an seinen Fingernägeln herum, Suga und Jimin hingen förmlich an Jins Lippen.

"Ihr habt richtig gehört!", wisperte der junge Mann, drehte die Sanduhr in seinen Händen hin und her.

"Die Götter töteten ihren eigenen Schöpfer, ihren Herrn, der sie jahrelang beschützt und sich liebevoll um sie gekümmert hatte. Doch diese Liebe war längst aus ihren verkümmerten, einst so gütigen und aufrichtigen Herzen verschwunden, machte sie zu Monstern, zu blutrünstigen Dämonen. Rachegeister, die Blut sehen wollten."

"So mächtig wie die Götter waren und angespornt durch ihren unermesslichen Zorn erschufen sie vier Artefakte. Ko - Ji, der Gott des Totenreichs, erschuf eine Sanduhr.  Genau wie diese, die ihr hier seht. Ihr fragt euch, was so besonders daran ist? Nun, diese Sanduhr hat die besondere Macht, eine verstorbene Person für 48 Stunden zurück in die Welt der Lebenden zu holen. Und dieser Zauber entfaltet sich nur bei Mondschein."

Suga riss die Augen auf und auch Jimin ahnte, worauf Jin anspielte.

Doch kurz darauf erzählte er schließlich munter weiter.

"Weiter ging es mit Ko - La, dem Gott der Spiegellande. Er schuf einen harmlos aussehenden Spiegel, der jedem sogleich die Wahrheit enthüllt, sollte er dort hinein sehen. Dieser Zauber funktioniert auch nur bei Mondschein, was sich mir noch nicht ganz erschließt...na ja. Der Dritte im Bunde, Ko - Ki, Gott über die Zwischendimension, schuf ein glänzendes Schwert. Dieses Schwert, einmal in den Händen eines Würdigen, wird dem Träger überallhin folgen und die größten Kriege und Fehden mit einem Schwung zerteilen."

"Der letzte Gott war Ko - Ku. Wächter über das Reich der Manyeos und Menschen zugleich. Herrscher über alles, was je euren Weg gekreuzt hat. Er schuf einen Hexenbesen, der der Königin auf ewig als Gefährte dienen und nur in ihren Händen gehorchen konnte. Sie hat jedoch schon sehr früh das Zeitliche gesegnet und ihr Gefährte ist in alle Winde verstreut...wie auch immer."

Kurz kam es Suga so vor, als musste Jin eine Träne verdrücken und griff automatisch nach seiner Hand.

Jin senkte den Blick, reagierte jedoch nicht und schüttelte seine Hand wieder weg.

Er fuhr fort, als sei nichts gewesen, was dem Teenager irgendwie einen Stich versetzte.

"Bis heute sind diese vier Artefakte sicher in Kojas Tempel aufbewahrt. Es ist mir gelungen, die Sanduhr zu entwenden und leider nicht ganz unbeobachtet zu fliehen. Diese Geisterreiter lassen nicht locker, bis sie mich gefunden und eingebuchtet haben - sollen sie machen, was sie wollen. Schließlich bin ich kein Schatzjäger oder so...was seht ihr mich so an?"

Jimin hatte die Arme verschränkt und blickte Jin aus dunklen, blitzenden Augen vorwurfsvoll an.

"Schatzjäger hin oder her, diese Artefakte gehören an ihren rechtmäßigen Ort!", rief er und presste die Lippen fest aufeinander.

"Und einen heiligen Tempel zu entweihen gehört nicht gerade zu einem Kavaliersdelikt, Kim Seokjin - "

Bevor Jimin seinen Fehler bemerkt hatte, war es schon zu spät.

Jin starrte die junge Hexe entgeistert an, zählte Zwei und Zwei zusammen und stotterte:

"W - Woher wisst ihr, wer ich bin? Ihr - Ihr seid gar keine Gaukler, richtig? Ihr - Ihr habt mich rein gelegt..."

Er wich ängstlich gegen die Wand zurück, stolperte und plumpste auf seine vier Buchstaben.

"B - Bleibt bloß weg von mir!", zischte er, umklammerte die Sanduhr wie einen Schraubstock.

"Schert euch aus meinem Haus, ihr alle. Ihr Hochstapler, ihr Wichte, ihr...wenn ihr diese Sanduhr wollt, vergesst es. Das ist meins, alles wird bald meins sein und niemand kann mich davon abhalten..."

Jin grinste fiebrig, als es plötzlich an der Tür klopfte und eine vertraute Stimme schrie:

"Aufmachen, sofort. Wir haben dich umstellt, du Tempelschänder..."

"Momentchen, ich habe die wahren Diebe auf frischer Tat ertappt!", flötete Jin und brachte sich in letzter Sekunde vor der Feuerzunge in Sicherheit, die die Tür nun endgültig aus den Angeln brach und den Blick auf ein Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Geisterreiter frei gab.

"Das hier sind die, wonach ihr sucht!", rief Jin und lachte gehässig, zerrte die Drei am Kragen zu dem Anführer hinüber.

"Sie haben sich in dieser Bruchbude versteckt und ausgelassen ihren Beutezug gefeiert, da bin ich durchs Fenster und habe sie allesamt überwältigt. Sie mögen zwar aussehen wie Kinder, in Wahrheit sind sie jedoch durch und durch Verräter...lasst euch nicht täuschen, schon gar nicht von dieser dreckigen Manyeo!"

Er stieß Jimin unsanft in die Rippen, Suga konnte nicht glauben, was sich hier gerade abspielte.

Jin war doch so nett gewesen und jetzt...

Das konnte einfach nicht sein.

Der Geisterreiter packte Jimin am Ohr und knurrte:

"Eine Manyeo, hm? Keine Sorge, für dich finden wir eine schöne Grube - die beiden da. Nehmt sie mit zu den Feuerinseln, die kleine Hexe soll auch mitkommen. Wir werden sie dort schön kochen und für ihre Sünden bezahlen lassen - einen schönen Abend noch, Sir. Die Sanduhr kommt natürlich wieder an ihren Platz zurück, versprochen!"

Er salutierte eifrig und schnippte mit den Fingern, dicke Seile erschienen in seinen skelettartigen Fingern.

Nachdem er die Drei fest verschnürt hatte, wurden Jimin, Suga und Hoseok auf die Pferde geladen und abgeführt - für eine Tat, die sie nicht einmal begangen hatten.

Und während die Reiter mit den zu Unrecht Gefangenen davon preschten, stand Jin am Fenster und winkte ihnen fies lächelnd hinterher.

Suga schlug hoffnungslos die Augen nieder.

Wer hätte gedacht, dass ihr kleiner Ausflug durch die Zeit so ein böses Ende nehmen konnte?

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