64: Die Bibliothek der Manyeos

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Während die beiden so über den Innenhof schlenderten, das grelle Licht der immer höher steigenden Sonne im Nacken, dachte Suga noch einmal über das nach, was Jimin ihm erzählt hatte.

Vieles an seiner Vergangenheit war doch ziemlich schön gewesen.

Er hatte Taehyung kennengelernt, sich Joon - Shoo mutig in den Weg gestellt, die Übergangszeremonie mitgemacht und war schlussendlich zu der jungen Hexe geworden, die er immer gewollt hatte zu werden.

Genauso talentiert, genauso gerissen wie seine Mutter.

Genauso bescheiden, genauso abenteuerlustig wie sein Vater.

Doch eine Sache gab es, die Suga mehr beschäftigte als alles andere in Jimins Geschichte.

Eine Sache, wo er vollkommen sicher war, dass es einfach nicht stimmte.

Nicht stimmen konnte.

Und doch wurde er das Gefühl nicht los, dass das Große Orakel ihm alles andere als Märchen aufgetischt hatte.

Dennoch - es musste sich irren.

Es musste einfach.

Suga geriet ins Schwitzen, spürte Jimins neugierige Blicke auf ihm ruhen, die sich ganz plötzlich wie tausend Messerstiche in seinen Rücken bohrten.

Ohne zu zögern, wirbelte er herum und packte die junge Hexe an den Schultern, zog ihn in die hinterste Ecke des Hofes.

Nachdem Suga sich vergewissert hatte, dass sie niemand belauschen konnte, atmete er tief durch und fragte mit zittriger Stimme:

"Jimin? Was hat das Große Orakel genau gemeint, als es sagte, dass du Dunkelheit in deinem Herzen trägst? Was...was hat das alles zu bedeuten?"

Jimin, der diese Frage überhaupt nicht erwartet hatte, hüllte sich in Schweigen.

Er war noch nicht vorbereitet, ihm das zu sagen.

Er wusste nicht, ob Suga die Wahrheit vertragen konnte.

Er wusste noch nicht einmal, ob er es selbst vertragen konnte.

Aus der Miene des Teenagers sprach schiere Verzweiflung, Ungewissheit.

Neugier darauf, endlich Antworten zu bekommen.

Und die konnte Jimin ihm ja wohl kaum vorenthalten.

"Komm mit!", murmelte er tonlos und 
griff nach seiner Hand.

"Ich kenne einen Ort, wo wir ungestört  reden können!"

Suga blieb die Luft weg, als er sich wenig später in der riesigen Bibliothek der Manyeo Academy befand.

Wohin man auch blickte, es gab kaum eine Ritze, die nicht mit Büchern vollgestellt oder gestopft worden war.

Kniehohe, mannshohe und noch höhere Regale erstreckten sich links und rechts der Wände, nahmen einem die Sicht durch das kuppelartige Dach.

Der Teenager, der sich vorher noch nie richtig für Bücher interessiert hatte, bis vielleicht auf die, die Jin ihm einst vorgelesen hatte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Fasziniert betrachtete er die vielen verschiedenen Werke, nahm hier und da eins heraus und blätterte durch die Seiten.

Es gab Märchenbücher(Die kleine Manyeo und der Wunschbaum), Kochbücher(Hexische Küche von A bis Z), Ratgeber(Mein Besen und Ich - So gelingt eine perfekte Zähmung), Schulbücher und noch Abertausende mehr.

Und es gab sogar ein paar Gedichtbände, an denen sich Hoseok bestimmt tagelang fest gebissen hätte, hätte er sie einmal in den Händen gehalten.

Kurzum - es gab so viele Bücher, dass es wohl kaum jemand geschafft hatte, alle zu lesen.

Doch Jimin schien sich nicht für irgendeines dieser Bücher zu interessieren.

Wortlos schritt er durch die Reihen und zog einen besonders dicken Wälzer aus dem ihm nächsten Regal.

Auf dem bereits vergilbten Einband stand in schnörkeligen, goldenen Lettern Magieenzyklopädie, Numero 2123.

Jimin murmelte ein paar Worte und das Buch sirrte aus seinen Händen, klappte sich wie von selbst auf einer ganz bestimmten Seite auf.

"Hier findest du alles, was du suchst!", meinte er und schlug die Augen nieder, drehte sich beschämt weg.

Neugierig begann Suga zu lesen, jedes einzelne Wort schnürte ihm die Kehle zu, eiskalte Panik ergriff seine Eingeweide.

Denn dort, auf dem verwitterten Pergament stand eindeutig geschrieben:

"Jede Manyeo, die das Übergangsritual erfolgreich vollzieht und Herr ihrer vielseitigen Fähigkeiten wird, geht somit auch gleichzeitig einen unveränderlichen Pakt ein.

Sie muss, wenn die Zeit gekommen ist, dem Gott der Unterwelt Makuu, einen Teil ihrer Seele überlassen und sich entscheiden, welchem der beiden Zirkel sie beitreten möchte, die die Hexenwelt seit Generationen lenken und vertreten.

Wenn sie es nicht tut, stirbt die Manyeo eines qualvollen Todes."











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