Witch Hunt - Die Suche ✔

39: Der Brief

Ohne ein weiteres Wort schickte Jin die beiden ins Bett, nahm ihnen obendrein noch ihre Handys ab und sperrte diese in den kleinen Wohnzimmerschrank, gleich neben dem altmodischen Fernsehgerät.

Nachdem er sich sicher war, dass niemand ihn beobachtete, ließ sich Kim Seokjin erschöpft in den Sessel fallen und zog einen zerknitterten Umschlag aus seiner Hosentasche.

Das braune, an einigen Stellen bereits abgewetzte Papier war mit einem rötlich schimmernden Wachssiegel und vertrauten, schnörkeligen Ornamenten versehen worden.

Es gab keinen Absender, dennoch war Jin zu gut bewusst, von wem dieser Brief gekommen war.

Gestern Abend war ihm ein angetrunkener Troll namens Koo - Ri über den Weg gelaufen und hatte ihm diesen speziellen Umschlag zu gesteckt, mit der sehnlichen Bitte auf den Lippen, diese Worte zu lesen und sich gründlich einzuprägen.

Er würde sie in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht noch brauchen.

Mit zitternden Fingern entfaltete Jin die beiden hastig bekritzelten Seiten und begann zu lesen, sein Herz pochte wie wild in seiner Brust.

In dem Moment ertönte die weise, allwissende Stimme von Chen - Li in seinen Gedanken, führte ihn durch jede einzelne Zeile, jedes einzelne Wort vor seinen Augen.

Mein lieber Freund,

es ist lange her, nachdem wir uns das letzte Mal begegnet sind und das nicht gerade im fröhlichen Sinn.

Ich schreibe diese Zeilen, um mir einzugestehen, dass ich vor nicht allzu langer Zeit einen schrecklichen Fehler begangen und nur auf mich selbst gehört habe.

Ich schreibe diese Zeilen, um dir zu verzeihen.

Ich weiß, wir sind nicht immer gut miteinander ausgekommen, doch ich hoffe sehr, dass du mir vergeben wirst und kannst.

Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, meine Seele wird jede Minute schwächer und mein Körper von Tag zu Tag ausgelaugter.

Es ist bald soweit, mein lieber Freund.

Ich muss diese so schöne Erde verlassen und mich der ewigen Dunkelheit widmen, ganz gleich ob ich den Segen Gottes oder das Fegefeuer verdient habe.

Ich muss diese Erde verlassen und mich der schmerzlichen Wahrheit stellen, dass ich meine Königin vielleicht niemals mehr wiedersehen werde.

Jedoch werde ich diese Erde verlassen, wohl wissend, dass du allein die Macht hast, sie zurück zu holen.

Ja, es gibt einen Weg, mein lieber Freund.

Einen Weg, der dennoch viele Gefahren und Hindernisse birgt, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Bitte erzähle deinem Sohn nichts davon, hülle dich in Schweigen, bis du diesen Weg bestritten hast und hoffentlich erfolgreich zurück gekehrt bist.

Auf der zweiten Seite dieses Briefs ist eine Karte hinterlegt, mit den einzelnen Koordinaten, die dir den Aufenthaltsort der vier göttlichen Artefakte verraten.

Du hast bereits von der Legende gehört, nicht wahr?

Ich kann dir bei dieser waghalsigen Reise leider nicht behilflich sein, du musst dies schon allein schaffen.

Doch eins kann ich dir verraten, obwohl es mich mit tiefer Trauer und Schmerz erfüllt, aus Furcht, die Götter könnten mich heimsuchen.

Ich will dich nicht lange warten lassen, also höre gut zu:

Tief unter meinem Anwesen befindet sich ein Keller mit all meinen Tränken, Mixturen und Kräutern darin.

Dort habe ich einst den Hexenbesen von Shin - La ausgestellt und ihn jahrelang vor dem verborgen, was meine Kollegen auf dem magischen Schwarzmarkt so treiben.

Sie würden nicht locker lassen, um ihn in die Finger zu kriegen und ich habe deshalb einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen.

Nur wenige von ihnen wissen, dass Juju eins der vier Artefakte ist, die meiner Königin lange nach ihrem Tod mit ins Grab gelegt und grausam entwendet worden sind.

Nun sind diese Artefakte über die komplette Menschenwelt und die Hexenwelt verstreut und im Verborgenen findet ein kleiner Wettlauf statt, um diese Artefakte in den Besitz von Unwissenden, Habgierigen zu bringen.

Ich habe dich mit dieser speziellen Aufgabe betraut, da du Shin - La mehr als alles andere vermisst und ihr Besen in deinen Händen sicher verwahrt sein wird.

Und du willst mehr als alles andere unsere beiden Welten endlich vereint sehen, das spüre ich.

Dieser Brief ist mein letzter und einziger Wille an dich, mein lieber Freund.

Finde die Artefakte und du wirst reich belohnt werden.

Hüte dich dennoch vor den unzähligen Gefahren und all den habgierigen Kreaturen, die deinen Weg beschweren und dich an dieser Mission hindern wollen.

Ich schicke dich keineswegs auf diese Reise, um dich irgendwem da draußen auszuliefern.

Ich schicke dich auf diese Reise mit dem guten Gewissen, dass du und Shin - La wieder glücklich werden könnt.

Auch, wenn ich es dir vorher alles andere als gegönnt habe.

Vergiss nie diese Worte, mein lieber Freund.

Ich weiß, du wirst es schaffen, wie du alles andere bereits geschafft hast.

Nun ist es Zeit für mich.

Gehab dich wohl, Kim Seokjin.

Und möge das Glück immer an deiner Seite sein, man weiß nie, wann man es brauchen wird.

In tiefer Reue und Sehnsucht,
ein wohlwollender Gefährte

Jin ließ den Brief sinken und stützte den Kopf in die Hände, Tränen brannten in seinen Augen.

Chen - Li war gestorben und hatte ihm kurz zuvor diesen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er sich alles eingestand, was ihm vor Jin je über die Lippen gekommen war.

Er hatte ständig gedacht, dass Jin Shin - La nicht verdient hatte und ihn deshalb als minderwertig betrachtet, als dreckigen, verlogenen Herzensbrecher.

Doch dem war nie so gewesen und nun, nach all den Jahren, kam jede noch so verzweifelte Einsicht zu spät.