72: Das magische Klavier

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Allmählich versank die Sonne zwischen den dichten Bäumen ringsum der Akademie und tauchte den Musikraum in grelloranges Licht.

Suga saß auf dem Fensterbrett und besah sich den Stundenplan, den Madam Sakura ihm ausgehändigt hatte.

Der Unterricht für die Neuen würde gleich morgen los gehen und der Teenager hoffte sehr, dass er in Jimins Klasse kommen und die junge Hexe ihm hin und wieder beim Lernen helfen konnte.

Als Erstes hatte er Menschenkunde mit Madam Sakura höchstpersönlich, da die alte Lehrerin dieses äußerst speziellen Fachs sehr eingefahren gewesen war, was gewisse Ansichten betraf.

Zumindest hatte ihm die Direktorin das so erklärt.

Danach hatte Suga Zaubertränke, das Jimin neulich als Taehyungs liebstes Spezialgebiet betitelt hatte.

Bestimmt würde sich der junge Alchemist sehr darüber freuen, dass er wenigstens einen Freiwilligen hatte, an dem er seine Mixturen ausprobieren konnte...

Der Teenager lächelte in sich hinein und betrachtete weiter das rissige, bereits etwas vergilbte Pergament.

Nach der Mittagspause war Angewandte Hexerei dran, worauf Suga schon sehr gespannt war.

Und zu guter Letzt hatte er Alte Runen mit einem gewissen Professor Masamoto, dessen Name ihn irgendwie an einen Charakter aus einem Videospiel erinnerte, das Jungkook damals oft gespielt hatte.

Doch das war natürlich nicht alles.

Madam Sakura hatte Suga sogar für den von Jimin geleiteten Besenflugunterricht eingetragen, der nur einer von vielen außerschulischen Kursen war, die er an der Akademie belegen konnte.

Da gab es noch Wahrsagerei, Verteidigungsmagie, Musikmagie, Heilhexerei...

Suga wollte am liebsten alles machen, wohl wissend, dass er dafür nur wenig Zeit haben würde.

Aber wozu hatte er eine wahre Superhexe an seiner Seite, die ihm bestimmt mit einem Doppelgängerzauber oder einem Zeitumkehrer wie in Harry Potter helfen konnte?

Suga war so in Gedanken versunken, dass er das schwache Glühen nicht bemerkte.

Im selben Moment hob er den Kopf und blickte zu dem verstaubten Klavier in der Ecke des Raumes, gleich neben einer Geige, mehreren Trommeln und einem Cello.

Ein gleißendes Licht drang unter dem zu geklappten Deckel hervor und eine leise, piepsige Stimme schien zu wispern:

Spiel mich, spiel mich...

Ohne lange zu überlegen, rutschte Suga vom Fensterbrett und ging auf das ihm so kostbare Instrument zu, legte seine Hand auf den hölzernen Deckel.

Ein schwaches Pulsieren wie von einem Herzschlag ertönte in seinen Ohren, erfüllte ihn mit einem sanften Schauer.

War das Klavier etwa...lebendig?

Hatte es ein Bewusstsein, ein Eigenleben, genau wie Jimins Hexenbesen?

Lag vielleicht ein Fluch auf ihm?

Für Suga gab es nur einen Weg, das herauszufinden.

Er setzte sich auf den Hocker, hob den Deckel, lockerte seine Hände und schlug ein paar Töne an.

Zuerst geschah nichts, doch dann ertönte die piepsige Stimme erneut, schien aus dem besaiteten Bauch des Klaviers zu kommen.

Hör nicht auf, spiel mich.

Spiel mich und ich werde frei sein...

Suga tat wie ihm geheißen, entlockte dem Instrument eine wahllose, rasche Abfolge von Klängen, von denen er noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten.

Seine Finger wirbelten nur so über die Tasten, erzeugten eine ihm fremde, dennoch wundersame Melodie.

Und während er so spielte, seine Finger wie von einer unsichtbaren Hand geführt, begann das Klavier von innen heraus zu leuchten.

Erst schwächer, dann immer stärker.

Bis der ganze Raum von einem so grellen Schein erfüllt war, dass Suga sich die Augen zu halten musste.

Und inmitten dieses engelsgleichen Scheins stand die wohl schönste Fee, die Suga je gesehen hatte.

Sie trug ein wallendes, mit etlichen Musiknoten besticktes Kleid und auf ihrem flammend rotem Haarschopf thronte ein Diadem, das ganz aus Klaviertasten gefertigt schien.

Flügel hatte sie keine, dennoch schwebte sie wenige Meter über dem Boden und blickte dankbar auf Suga herab.

Hab tausend Dank, dass du mich befreit hast, Sterblicher!, hauchte sie, glitt herab und ließ sich auf der Klaviatur nieder.

Ich bin Eum - Ag, die Göttin der Musik. Vor vielen Jahren wurde ich von einem bösen Magier aus dem Feenreich entführt und in dieses Klavier verbannt. Er mochte es nicht besonders, wenn ich sang oder meine selbst geschriebenen Stücke vor trug. Deshalb hat er mich verflucht und nur durch das Erscheinen eines würdigen Klavierspielers konnte er gebrochen werden - dieser Spieler bist du, Min Yoongi. Als Dank, dass du mich entbannt hast, möchte ich dir gerne dieses Klavier schenken. Möge es dich auf deinem Weg stets begleiten und dir in harten Zeiten beistehen, wenn es niemand anderes für dich tut. Und nun lebe wohl, mein lieber Junge. Auf, dass das Glück dir für immer hold sein wird!

Die Fee hob ihre Arme und schrieb etwas auf die hölzerne Verkleidung des Instruments, zwinkerte ihm noch einmal zu und verschwand in dem goldenen Licht, das sie her gebracht hatte.

Zu überwältigt von dieser unglaublichen Begegnung stand Suga schließlich auf und ging aus dem Zimmer - nicht, ohne einen Blick auf den blassen, in sich verschlungenen Schriftzug zu werfen, den die Fee ihm hinterlassen hatte.

Ihm stockte glatt der Atem, als er sah, was da geschrieben stand.

Doch diesmal nicht vor Entsetzen, sondern vor Freude.

Für Min Yoongi - den tapferen Jungen, der mich einst gerettet hat.













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