69: Fehler der Vergangenheit

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Kurz nachdem Kim Namjoon die Hexenwelt hinter sich gelassen hatte, den ihm sehr wertvollen Schmöker aus der Bibliothek fest an seine Brust gepresst, nahm er ein neues Ziel seiner Reise in Augenschein.

Der Hexenjäger schloss die Augen und stellte sich das Gesicht seines einst besten Freundes vor, seine Abscheu, die er die letzten Tage ihm gegenüber empfunden hatte.

Es wurde Zeit, Kim Seokjin persönlich gegenüber zu treten und alte Fehden endgültig hinter sich zu lassen.

Bevor womöglich noch viel schlimmere Dinge passieren konnten, auf die er keinen Einfluss hatte.

In der Wohnung war alles ruhig, bis vielleicht auf die leisen Schnarcher von Hoseok, der es sich auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatte und prompt weg gedöst war.

Gedankenverloren saß Jin am Klavier in Yoongis Zimmer und schlug wahllos einige Tasten an, woraufhin er dem Instrument eine fahrige Melodie entlockte.

Die Sanduhr thronte wie ein längst vergessener Gott auf der hölzernen Verkleidung, die im hellen Mondlicht schimmernden Körnchen glichen kostbaren Juwelen.

Sie wirkte so kostbar, so mächtig - als ob Shin - La selbst darin gefangen war und nur darauf wartete, von ihm befreit zu werden.

Schon seit gestern Abend saß er hier und spielte nur für sie, hatte kaum etwas gegessen und war bereits ziemlich abgemagert.

Doch das merkte Kim Seokjin nicht, war zu benebelt von dem Zauber, den Musik in sich trug.

War zu benebelt von ihr, seiner großen Liebe, wollte sie unbedingt von den Toten erwecken.

So sehr, dass es sein blutiges, schmerzerfülltes Herz noch mehr zeriss und man es nur mit noch mehr Schmerz zu stopfen vermögen konnte.

"Hallo, alter Freund!", ertönte plötzlich eine ihm allzu bekannte Stimme aus den Schatten des Zimmers und Jin wirbelte entsetzt herum.

Im selben Moment verlor der musikalische Zauber seine Macht über ihn und er realisierte, wer da vor ihm stand.

Kim Namjoon hatte sich seine Hexenjägermontur wieder angezogen und ein glänzendes Katana lugte aus dem Waffengürtel an seinem Rücken hervor, zusammen mit noch einigen anderen nützlichen Utensilien.

Belustigt sah er auf Jin herab, der wie mechanisch vom Klavierhocker aufstand und den Raum durchquerte, bis er wenige Zentimeter vor Namjoon stehen blieb.

"Was willst du?", zischte er, bedachte den Hexenjäger mit einem Blick, bei dem es Namjoon eiskalt den Rücken hinunter lief.

"Bist du gekommen, um mir auch noch meinen Sohn zu nehmen? Hoseok hat mit der ganzen Sache nichts zu tun, also lass ihn und mich gefälligst in Frieden..."

Namjoon, der sich über die Bedeutung dieser Worte mehr als gut im Klaren war, entgegnete ausdruckslos:

"Hoseok ist ebenfalls ein Teil dieser anderen Welt, genau wie Suga und Jungkook. Deine Söhne sind Teil der Prophezeiung, Jin. Und sie müssen sich über ihre Rollen in einem Spiel klar werden, was sie nicht verstehen - noch nicht. Ich bin gekommen, um dich zu warnen, alter Freund...finstere Mächte sind auf dem Weg hierher und ruhen nicht eher, bis sie dich und den Rest endgültig ausgerottet haben - "

"LÜGNER!", knurrte Jin und verlor nun endgültig die Beherrschung, warf sich auf Namjoon und drückte ihn zu Boden.

In seinen sonst so dunklen, warmherzigen Augen lag etwas Wildes, Animalisches, was dem Hexenjäger nur zu vertraut vorkam.

Dieselbe animalische, blutrünstige Gier, die auch der Seelenbrecher an den Tag gelegt und seinen zahllosen Opfern somit ein grausames Ende beschert hatte...

Dieselbe animalische Gier, die seinen Körper einst eingenommen und alles Menschliche nach und nach verzehrt hatte...

Die Dunkelmagie war bereits in der Menschenwelt angelangt.

Und sie war kurz davor, Jins Körper einzunehmen.

Ohne zu zögern, befreite sich Namjoon aus der unsanften Umklammerung und zog das Katana, heftete seine eisblauen Augen auf den Dämon in Jins Gestalt.

"Wenn du nicht sofort aus diesem Körper verschwindest, reiße ich deine widerliche Substanz in Stücke und dein Gebieter muss sehen, wie er dich wieder zusammen flickt!", intonierte er mit bedrohlicher Stimme und richtete die Waffe auf Jins Schädel, der sich langsam aber sicher in Makuu verwandelte.

"Ich warte. Noch einmal werde ich dich nicht ungestraft davon kommen lassen, du Wurm - "

Der Gott der Unterwelt lachte nur:

"Ihr Hexenjäger seid doch nichts im Vergleich zu meiner immensen Macht, Kim Namjoon. Sieh dich besser vor und händige mir die köstliche Seele deines Freundes aus, dann sind wir quitt..."

Makuu grinste und leckte sich voller Vorfreude über die Lippen, Namjoon durchbohrte ihn geradezu.

"Du bekommst seine Seele nicht!", rief der Hexenjäger und schwang das Katana, durchtrennte die Substanz des Dämons, der sich nun geschlagen in Luft auflöste und zum Fenster hinaus glitt.

Auf der Suche nach der nächsten gemarterten Seele, die ihm hoffentlich Folge leisten würde.

Lediglich seine rasselnde Stimme drang an Namjoons Ohren, erfüllte ihn mit purem Hass gegen diese alles vernichtende Kreatur.

"Merke dir meine Worte, Kim Namjoon: Es mag sein, dass du mich nun ein zweites Mal besiegt hast. Dennoch werde ich zurück kehren und all jene verschlingen, die dir wichtig sind - einschließlich diesem törichten Hexenjüngling!"

Namjoon sank erschöpft auf die Knie, das Katana rutschte ihm aus der Hand und fiel klirrend zu Boden.

Er hatte wieder einmal versagt.

Mit letzter Kraft versuchte er, das Portal zu aktivieren, doch es ging nicht.

Makuu hatte seine Magie unwirksam gemacht, es würde Stunden dauern, bis er sich wieder erholt hatte und weiter reisen konnte.

Bis dahin würde er einfach hier liegen bleiben und Hoseoks Schnarchern lauschen.

Ja.

Das würde er.

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