43 | Begegnung mit der Vergangenheit

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»Hey Silverpine. Hier sind Reja und Paul.« Der Radiosprecher lasst mich die Unterlippe einsaugen, während ich die Akte vor mir bearbeite. Meine Finger wackeln den Stift hin und her. Wieso bin ich eigentlich nervös? Mein Bruder hat ein verdammtes Interview und wird nicht des Landes verwiesen. Es ist gut für ihn. Ich freue mich für ihn. Merde. Er hat so lange auf solch eine Chance gewartete. »In ein paar Sekunden starten wir Platz fünfzig der aktuellen Charts, aber zuerst -« Er macht eine Kunstpause, dann erklingt Rejas Stimme: »Zuerst haben wir einen Gast, der sich kurz bei euch vorstellen wird, bevor ihr nach dem nächsten Song mehr über ihn erfahren werdet.« Ihre Stimme zittert nicht, ist fest und selbstsicher. Und mir sackt das Herz in die Hose. Was zur Hölle ist los mit mir?

»Hey Leute. Mein Name ist Devon Cage«, erklingt die Stimme meines Bruders. Noch ehe das freudige Grinsen sich auf meinem Gesicht gefestigt hat, fliegt meine Bürotür auf und Amanda steht im Türrahmen.

»Sheriff Cage«, ruft sie aufgebracht und steht plötzlich mitten in meinem Büro. »Es gibt einen Notfall. Sie müssen dringend in die Innenstadt. Jemand hat das Tierheim angezündet und der Täter ist noch vor Ort. Zivilisten halten ihn fest. Schnell, bitte.« Ihre Stimme überschlägt sich fast. Als ihre Worte vollends in meinen Verstand vordringen, höre ich keinen Ton mehr von der Musik im Radio, sondern greife nach meiner Jacke und meinem Holster mit der Waffe.

»Ist die Feuerwehr vor Ort?« Hastig verlasse ich mein Büro, schlüpfe in die Jacke und schließe den Reißverschluss.

»Ja«, quietscht Amanda und räuspert sich. »Es tut mir leid. Ich weiß, sie wollten das Interview mit ihrem Bruder hören. Ich kann es ihnen aufzeichnen?« Ihren Vorschlag beantworte ich nur mit einem Nicken, dann knallt die Tür des Reviers hinter mir zu und ich sprinte auf meinen Wagen zu. Einige Deputys rasen bereits die Straße in die Innenstadt entlang, als ich meinen Wagen aufgeschlossen haben.

Beim Tierheim angekommen erklingt Gebrüll. Die Feuerwehr rennt durch den Hof, löscht die Brandherde. Andere bringen Tiere in Sicherheit, ziehen Hunden an Leinen aus dem brennenden Gebäude und übergeben sie an Helene Passanten. Es ist ein einziges Chaos.

»Kommen Sie bitte mit, Sheriff«, spricht mich einer meiner Deputys an und deutet in einen schmalen Weg unweit von der Eingangstür entfernt. Mit prüfendem Blick folge ich ihm, scanne die Personen auf den Gehwegen und an den Häusern. Die Menschen hinter der Absperrung sind überwiegend mit dem Kraulen und Beruhigen der Vierbeiner beschäftigt. Ein Bild das mir das Herz zeitgleich bricht und erwärmt. Nachdem ich Bucket als Welpen einer illegalen und nicht dem Tierwohl entsprechenden Zucht, aus dem Tierheim adoptiert hatte, war ich eine Weile damit beschäftigt meine Freunde und Familie von einem Tier aus dem Tierheim zu überzeugen. Der Erfolg war leider mäßig. Noch immer sitzen viel zu viele Tiere in den kleinen Heimen.

Als ich um die Ecke biege, um dem jungen Deputy in die Gasse zu folgen, traue ich meinen Augen kaum.

»Ist das dein verfluchter Ernst? Was verdammt machst du hier?«, raunze ich augenblicklich. Ich schenke dem Mann keinerlei Beachtung, welcher von Gideon festgehalten wird. Gideon blickt mich stumm an, versucht den Blick abzuwenden und meine Fragen nicht beantworten zu müssen. Dabei hat er die Rechnung allerdings ohne meinen Berufsstatus gemacht.

»Sir, würden Sie dem Sheriff bitte antworten«, fordert mein Kollege und greift sich den scheinbaren Täter. Gideon klopft seine Hände ab, als wäre der Mann besonders dreckig gewesen und hebt schließlich den Blick. Im nächsten Moment spannen seine Schultern sich an, er richtet sich zu seiner vollen Größe auf und die Schuld verraucht aus seinem Blick wie Dampf eines Kochtopfes.

»Ich bin hier aufgewachsen, schon vergessen?« Das Knurren in seiner Stimme entgeht mir nicht. Angestrengt verkneife ich mir ein Lachen oder eine Erwiderung. Stumm betrachte ich meinen ehemaligen Freund. Verändert hat er sich kaum. Seine schwarzen Haare reichen bis über seine Ohren, sind aus der Stirn gestrichen und glänzen in dem diesigen Licht nur mäßig. Auch mit seiner gefütterten Lederjacke entgeht mir nicht, dass Gideon offenbar an Masse zugelegt hat. Seine dunklen Augen blitzen angriffslustig. »Was starrst du denn so?«, brummt er. Seine tätowierten Hände verschwinden in seinen Jackentaschen, aber ich sage weiterhin kein Wort.

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