77~ Wartezeit

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POV Louis

Ich ließ mich auf den Stuhl im Wartezimmer fallen und hatte wirklich große Mühe, die Tränen zu verdrängen. Der Gedanke, wie Harry in diesem Moment aufgeschnitten wurde, oder zumindest schon auf dem OP- Tisch lag, löste eine unangenehme Gänsehaut in mir aus. Dass Harry angst hatte, hatte ich gemerkt. Auch wenn er es verstecken wollte. Ich kannte ihn einfach zu gut dafür. Er wollte es sich nicht anmerken lassen, aber ich merkte trotzdem, wie er die Angst verdrängen wollte. Dass er sich im Auto auch noch einmal bedanken wollte, machte es nicht besser. Als würde er sich verabschieden oder sowas...

Es verging Stunde um Stunde, aber es fühlte sich an, als würde die Zeit in halber Geschwindigkeit vergehen.
Warum dauerte das denn so lange? Das war doch nicht normal, oder? Die Rede war von etwa zwei Stunden. Aber mittlerweile war Harry schon fast drei Stunden da drin und das machte mich verdammt nervös. Was, wenn etwas schief gelaufen ist? Oder sie vielleicht merkten, dass dieses Lipom, oder wie sie es nannten, doch größer war, als gedacht? Oder noch schlimmer. Was ist, wenn der Krebs gestreut hat? Nun konnte ich es nicht verhindern und spürte, wie mir allmählich die ersten Tränen meine Wange hinab kullerten. Gott, war das peinlich.

„Alles okay bei Ihnen?" Ich richtete meinen Blick auf und sah eine Frau, die sich über mich gebeugt hatte.

„Tut mir leid." schniefte ich.

„Oh das muss es nicht. Warum sind Sie hier?" Ich hatte das Gefühl, dieser Frau vertrauen zu können. Sie wirkte total lieb und hatte ein nettes Lächeln auf den Lippen. Sie setzte sich neben mich und wartete geduldig auf eine Antwort.

„Meinem Freund wird ein Lipom entfernt." antwortete ich und sie nickte einmal.
„Auf wen warten Sie?"

„Mein Sohn wird operiert. Er bekommt ein neues Herz." Meine Atmung stoppte für eine Sekunde und ich fühlte mich neben ihr wie ein Idiot.
„Wir haben fast zwei Jahre auf dieses Herz gewartet." Sie lächelte und ich bewunderte sie für ihre Stärke. Eine Herztransplantation beim eigenen Sohn stellte ich mir wahnsinnig schlimm vor.

„Wie lange ist er schon drin?" wollte ich wissen.

„Vier Stunden und sechsundfünfzig Minuten. Er leidet unter dilatative Kardiomyopathie, schon seit seiner Geburt. Heute ist er drei geworden." Auf ihren Lippen erkannte ich ein strahlendes Lächeln und sie strahlte so viel Geborgenheit aus. So viel Liebe.
„Wissen Sie, mein Archie hat fast sein ganzes Leben hier im Krankenhaus verbracht und als wir endlich die Nachricht erhalten haben, dass ein Spenderherz auf ihn wartet, konnte ich es kaum glauben. Mit diesem neuen Herzen beginnt sein Leben endlich richtig. Er wird auf den Spielplatz gehen können, mit anderen Kindern spielen können und in ein paar Jahren kommt er in die Schule. Das ist alles nur diesem Herzen zu verdanken." Ich konnte es nicht verhindern, dass sich auch auf meinen Lippen ein Lächeln bildete. Für andere war das alles selbstverständlich, aber für sie bedeutete es die Welt.

„Haben Sie denn keine Angst?" Ich machte mir hier schließlich fast in die Hose, weil Harry ein kleiner Hubbel entfernt werden musste und sie wirkte so ruhig, obwohl ihr Sohn ein neues Herz bekam.

„Oh doch. Und wie ich die habe. Bei jedem noch so kleinen Eingriff. Aber er schafft das. Er ist so stark..." Sie starrte auf die Wand und ich sah, dass ihre Augen glitzerten.

„Sie sind wirklich bewundernswert, wissen Sie das?" Sie lachte.
„Ich meine das ernst. Ihre positive Einstellung ist wirklich unglaublich." fügte ich hinzu.

„Naja, was bleibt mir anderes übrig? Ich versuche einfach, Archie glücklich zu machen und ihn irgendwie abzulenken. Das Leben kann so schön sein, wenn man es richtig lebt und das habe ich leider erst bemerkt, als er geboren wurde." Ein Arzt betrat das Wartezimmer und lief auf uns zu. Mein Herzschlag verdreifachte sich sofort und die fremde Frau und ich erhoben uns zeitgleich.

„Mrs. Williams?" Okay, es ging schon mal nicht um Harry. Ob das jetzt gut oder schlecht war, konnte ich nicht beurteilen.
„Es tut mir wirklich leid. Es gab einige Komplikationen. Das neue Herz wollte nicht schlagen. Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, aber-"

„Nein!" schluchzte sie und klappte zusammen. Darf durfte nicht sein. Sie war doch so voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft...
Ich merkte nur nebenbei, wie unzählige Ärzte kamen und der jungen Mutter aufhalfen. Kurz danach waren sie weg und es war still...
Wie automatisch sackte mein Körper zurück in den Stuhl und ich starrte in die Leere. Leere... Mehr war da nicht.
Wieso war das Schicksal nur immer so unfair? Er hatte doch noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, sein Leben zu leben. Sie... sie hatte so viel Hoffnung. So viel Lebensmut. Sie hat so lange durchgehalten, um ihn am Ende trotzdem zu verlieren? Was war das denn für eine Welt?

„Mr. Tomlinson?" hörte ich eine Stimme und ich erhob mich schnell.

„Wie geht es ihm?" wollte ich sofort wissen.

„Er liegt im Zimmer. Die Narkose lässt gerade erst nach, daher kann es noch etwas dauern, bis er aufwacht." Erleichtert atmete ich aus und brach plötzlich in Tränen aus. Das... ich... diese Frau von eben... Sie hatte dieses Glück auf eine erfreute Nachricht nicht und irgendwie hatte ich ein verdammt schlechtes Gewissen, dass ich mich freuen konnte und sie nicht.
„Möchten Sie zu ihm?" Ich sah ihn an, hatte gar nicht gemerkt, wie ich meinen Kopf gesenkt hatte, und nickte hastig.
„Er ist noch sehr schwach von der Operation. Seien Sie bitte behutsam." Ich nickte und folgte ihm. In Zimmer Nummer 28 blieb er stehen und deutete mit einer Handbewegung an, das Zimmer zu betreten. Ich ging rein und der Arzt ließ mich bei ihm alleine.

„Harry, Schatz." Voller Erleichterung eilte ich zu seinem Bett, setzte mich neben ihn und nahm seine Hand in meine. Ich holte mein Handy heraus, ging auf 'Sprachmemos' und machte 'Fine Line' an. Ich es einmal heimlich aufgenommen. Die Lautstärke war leise aber ich wusste, dass ihm dieses Lied viel bedeutete und um ehrlich zu sein, musste ich jetzt einfach seine Stimme hören. Ich musste immer zu an diese Frau denken, die mir innerhalb von ein paar Minuten zeigte, wie sehr man das Leben schätzen sollte und für wie selbstverständlich ich alles gesehen habe...
„Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles andere und ich... ich bin so froh, dass die OP gut verlaufen ist." Ich hatte in diesem Moment einfach so einen Drang, ihm zu sagen, wie wichtig er mir war. Mir wurde auf einmal bewusst, was für ein großes Glück ich hatte, dieses Mann meinen Freund nennen zu dürfen.
„Es tut mir so leid, dass ich das viel zu selten sage. Du bist für mich meine Welt. Du und Mia. Ihr seid meine Familie, auch, wenn das Papier anderes behauptet, aber das ist doch egal. Ich will mit dir mein Leben verbringen und nie wieder ohne dich sein." Ich umfasste seine Hände etwas stärker, als würde ich so eher an ihn heran kommen können und hauchte einen Kuss auf seine Stirn.

𝚂𝚞𝚗𝚏𝚕𝚘𝚠𝚎𝚛 ~ Larry Stylinson Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt