Kapitel 2: Entscheidungen

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Trotz ihrer Reaktion blieb der Sprecher ruhig, schien völlig auf seinen Schutz und seinen Partner zu vertrauen.

Kommt es dir nicht merkwürdig vor, dass du hier eine Hüterin bist?, fragte er fast schon mitleidig.

„Bist du bald fertig?", fragte der Schützende ungeduldig. „Wir sind nicht hier um Freundschaften zu schließen."

Doch der Sprecher ließ sich durch nichts in seiner Ruhe stören.

Hast du dich nie gefragt, wie du in all der Zeit hier überleben konntest?, fuhr er fort, als hätte ihn sein Partner niemals unterbrochen.

Zeit. Das Verstreichen von Zeit hatte längst an Bedeutung verloren, war nicht mehr als ein leerer Begriff. Sie könnte Monate oder Jahre hier sein und wüsste es nicht. Doch sie hatte durchaus gespürt, dass etwas falsch war. 

Ängstlich schob sie alle Zweifel von sich und ignorierte ihr wachsendes ungutes Gefühl.

Sie schüttelte den Kopf und trat zurück, wollte nur noch fort von diesen unheimlichen Männern, die ihre Welt auf den Kopf stellten. Sie waren vielleicht die Rettung der Menschheit, doch im Moment waren sie für Mildred nicht mehr als gefährliche Eindringlinge.

Bevor sie verschwinden konnte, fragte der Sprecher: Weißt du wie du gestorben bist?

Sie hielt wie erstarrt inne.

Gestorben?

Ich bin nicht tot, flüsterte sie und starrte ihn voller Grauen an als ihr klar wurde, warum er hier war.

Jene Seelen die nicht in das Jenseits übergehen wollten, waren eine Gefahr für die Lebenden. Konnte man ihnen keinen Frieden schenken, so dass sie das Tor sahen um ins Jenseits zu wechseln, so mussten sie zerstört werden. Kein Leben nach dem Tod für die Unglücklichen, die den Weg nicht fanden.

Der Schützende schaute seinen Partner auffordernd an.

„Sie weiß nicht, dass sie tot ist."

„Dann ist es leer. Du weißt was mit der Zeit geschehen wird und du kannst nicht alle retten."

Doch der Sprecher schüttelte nur stur den Kopf, was den Schützenden genervt mit den Augen rollen ließ.

Es ist viele Jahrzehnte her, du erinnerst dich nur nicht mehr. Du hast nichts falsch gemacht. Aber es ist wichtig, dass du erkennst was dir Frieden geben kann, damit du nicht länger in dieser Welt festhängst.

Mildred schüttelte vehement den Kopf. Ich bin nicht tot!, rief sie wutentbrannt. Der Zorn tauchte ihre Welt wieder in Rot, verschob ihre Wahrnehmung, so wie es sein sollte. Angst stand ihr nicht.

Sie war die Hüterin ihrer Ahnen, dies war ihre Gruft und sie würde nicht zulassen, dass jemand sie an ihrer Aufgabe zweifeln ließ.

Sie war wichtig, wichtiger noch als ihr eigenes Leben.

Mildred griff hinaus, zwischen die Welten und zog die Magie zu sich, bündelte sie zu einem Angriff gegen die beiden Männer.

Nur einen Moment später ging sie geschwächt in die Knie, die Welt rückte zurück an ihren Platz und als sie aufschaute sah sie, dass beide unversehrt waren. Sie hatte sich von ihren Gefühlen mitreißen lassen, dabei hätte ihr klar sein müssen, dass diese Krieger auf Angriffe vorbereitet waren. Sie war nicht die erste, gegen die sie kämpften.

Rachegeister.

Auch sie hatte Angst vor ihnen gehabt. Deswegen gab es Gruften wie diese, gab es Götter und Opfergaben, die Priester, Kräuter und Harze. Die Familie des Verstorbenen tat alles, damit er ins Jenseits überging und nicht keine Möglichkeit hatte zurückzukehren. Sie wusste mit absoluter Gewissheit, dass sie in der Vergangenheit nicht eine Sekunde gezögert hätte einen Geist zerstören zu lassen.

Das letzte EchoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt