Kapitel 43: Lebendige Dunkelheit (Teil 2)

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Sie wählten eines der größeren Häuser aus. Kelsu begründete dies mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von gut hinterlegten Schutzzaubern.

Nachdem sie den dunklen Flur des Hauses durchschritten hatten und sich die Schatten von ihnen fern hielten, wie Ayoka es ihnen versichert hatte, schienen alle ruhiger zu werden. Sie betraten die alte Küche, in der immer noch die Töpfe und Pfannen an der Wand hingen und die den Eindruck erweckte, als würden die Besitzer bald zurückkehren.

Vielleicht hatten sie tatsächlich vorgehabt bald wieder nach Hause zurückzukehren.

Hustend wischte Kelsu den Staub von seinem Stuhl und Jerud nieste, schaute ihn kurz danach verärgert an.

„Ich werde mich nicht auf diesen Stuhl setzen, so lange er voller... Zeugs ist!", rechtfertigte er sich grummelnd und war erst zufrieden, als er die Farbe des Holzes wieder sehen konnte.

Jerud setzte sich höchst unzeremoniell auf den nächstbesten Stuhl. Der Staub war ihm augenscheinlich völlig egal, sein Umhang war sowieso von der Reise dreckig.

Ayoka rümpfte einen Moment die Nase und wischte weitaus bedachter als Kelsu die zentimeterdicke Staubschicht vom Stuhl, während sich Shaya am Herd zu schaffen machte, bis sie es tatsächlich geschafft hatte ein Feuer zu entfachen. Der kleine Raum wurde in ein warmes, blasses Licht getaucht, welches die Schatten an den Wänden noch deutlicher erscheinen ließ.

Doch auch Mildred konnte keine Wesen mehr in den Schatten erkennen und nickte Kelsu knapp zu. Er würde verstehen was sie sage wollte.

Es war ein merkwürdiges Gefühl von Schatten umgeben zu sein, die harmlos waren.

„Du kontrollierst die Schatten?", fragte sie und konnte an Kelsus Blick erkennen, dass auch er ganz ähnliche Fragen wie sie selbst hatte.

Ihre Tochter zuckte mit den Schultern. „Ich würde es nicht Kontrolle nennen. Wir kommunizieren auf eine Art miteinander, aber ich weiß sie haben Angst vor mir. Das ist es, was sie daran hindert mich, oder die Menschen in meine Umgebung anzugreifen. Ich habe nie herausfinden können warum sie Angst haben und wie ich sie ihnen nehmen kann."

„Warum solltest du das wollen?", fragte Jerud verständnislos. „Leere Schatten sind für die Menschen besser, als bewohnte. Wenn sie sich dir fern halten, sind die Orte an denen du lebst sicher."

„Aber vielleicht wäre es möglich mit ihnen zu verhandeln", widersprach sie ihm verlegen. „Wenn sie ihre Angst verlieren würden und ich es schaffen würde sie zu verstehen. Doch die Art wie sie kommunizieren ist zu unbestimmt und unverständlich. Niemand aus meiner Familie scheint zudem meine Gabe zu besitzen. Das brachte mich auf dich, Mutter. Du bist die einzige, welche die Gabe ebenfalls gehabt haben könnte. Da Vaters Familie keinerlei Anzeichen zeigt, muss es von deiner Seite her kommen."

Kelsu hörte ihr konzentriert zu und suchte in den Schatten nach Antworten. Die Wesen waren um Ayoka herum immer noch da, als würden sie sich einerseits nicht in ihre Nähe wagen, sich aber andererseits nicht zu weit entfernen können. Ein ruheloses, schwarzes Chaos.

Er kniff die Augen zusammen und schreckte leicht zurück, als er sie wieder in der Dunkelheit erkennen konnte.

Nisha.

Der Blick ihrer tiefen Augen schien sich direkt in seine Seele bohren zu wollen und er blinzelte ein paar Mal, bevor sie wieder verschwand.

Als er sich wieder auf die Runde konzentrierte, konnte er Shayas Blick auf sich ruhen spüren.

Etwas unwohl schaute er sie von der Seite her an, während sie sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck auf einen der freien Stühle setzte und zurück lehnte.

Runik flatterte auf ihren Arm und krächzte mehrfach, woraufhin sie auflachte.

„Ja, ich sehe es."

Gut gelaunt zwinkerte sie Kelsu zu. „Alles wird einen Sinn ergeben", versicherte sie ihm. „Aber denke nicht, dass ich deswegen gut heißen kann, was du getan hast!", fügte sie leiser und sehr viel ernster hinzu.

Er schluckte unwohl und nickte unbehaglich. Kelsu hatte keine Ahnung was sie und Runik gesehen hatten. Wenn sie ebenfalls die Göttin in den Schatten hatte sehen können, dann war ihre Reaktion darauf nicht wie er erwartet hätte. Er wollte nicht wissen was sie darüber dachte. Mit Göttern ließ man sich nicht ein, sie existierten nicht. Was auch immer er in den Schatten sah würde nur Probleme für ihn bedeuten.

„Warst du bei Großmutter?", fragte Mildred in diesen Moment aufgeregt.

Ayoka hielt inne. „Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht daran... oder sie haben es dir nie gesagt. Aber deine Eltern, deine Familie, hat über die Jahre viel an Einfluss verloren. Deine Heirat hatte nicht den Effekt den sie sich gewünscht hatten. Schon zu deinem Tod war von dem einstigen Reichtum und Einfluss deiner Familie kaum mehr etwas übrig. Sie sind kurz nach deiner Beerdigung verschwunden und niemand weiß wohin. Oder ob sie überhaupt noch leben. Ich konnte niemanden fragen, außer Großmutter Selena, die keine große Hilfe war und Eluisa, die mir zumindest ein wenig weiterhelfen konnte. Sie erzählte mir von deiner Existenz als Geist und ihren Verdacht zu Nasri, die sie ebenso ruhelos glaubte, wie dich selbst."

„Eluisa... ich kenne sie" , nickte Mildred und wieder zupfte etwas am Rande ihres Bewusstseins und versuchte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Etwas war da, etwas wichtiges. Wenn sie nur wüsste wie sie darauf zugreifen könnte.

„Ich verstehe nicht wie das passieren konnte", murmelte sie leise.

Ayoka atmete tief durch. „Es gibt so vieles was du nicht weißt", sagte sie und fuhr sich durch die Haare. „Du musst ähnliche Gaben besitzen wie ich, aber deine Eltern beschlossen, dich nicht in die Lehre zu schicken, damit du lernst es zu kontrollieren. Sie entschieden sich deine Magie zu blockieren. Aber Magie lässt sich nicht so einfach blockieren und sie mussten die Dosis immer wieder erhöhen."

„Ich war immer so müde", sagte Mildred gedankenverloren.

„Nebenwirkungen, die sie aber in Kauf nahmen. Eluisa hat ihr Werk fortgeführt. Doch deine Familie hatte Gegner, darunter auch Sajans Familie. Ich habe keine Beweise, aber ich denke sie haben die Dosis der Droge langsam reduziert, damit du die Kontrolle verlierst und sie dich durch eine andere Frau austauschen können. Doch ebenso wäre es möglich, dass sich einer der zahlreichen politischen Gegner Zugang zu, Anwesen verschafft hat und für alles verantwortlich ist. Es ist zu lange her. Aber ich glaube, dass niemand damit gerechnet hat, dass es so schlimm ausgehen würde."

Mildred runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich an die Tage, an denen sie sich beschwingt und stark gefühlt hatte. An denen die Welt an Farbe gewonnen und ihr Leben einen Sinn gemacht hatte. Sie hatte immer geglaubt, dass es daher käme, dass ihre Krankheit besser werden würde.



Das letzte EchoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt