Kapitel 13: Ein leeres Leben

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Mildred tauchte aus der Dunkelheit auf und sah sich wieder dem Sprecher gegenüber. Sie waren in einem Raum, dessen Boden mit Schlafsäcken und Decken bedeckt war. Rucksäcke und Beutel lagen darauf und dazwischen, zusammen mit Umhängen und Mänteln. Es schien ihr, als würde es keine freie Stelle mehr geben.

Sie drehte leicht den Kopf als sie das Johlen und Lachen von draußen hören konnte. Es schien eine Feier stattzufinden. Vielleicht war dieser Raum aus diesem Grund so überfüllt. Sie hatten nicht genug Übernachtungsmöglichkeiten gefunden.

„Warum bin ich hier?", fragte sie und realisierte in dem Moment, als sie diese Worte aussprach, dass sie nicht nur diesen Ort meinte. Ihre Frage bezog sich ebenfalls auf ihre Existenz als Geist, genauso wie auf ihr vergangenes Leben als Mensch.

Wer war sie als Mensch gewesen und wer war sie heute?

„Ich hatte gehofft, du würdest dich nach dem letzten Mal vielleicht an mehr erinnern können. Vielleicht an eine Aufgabe, die unvollendet geblieben ist."

Etwas sagte ihr, dass er log, doch sie konnte nicht genau festmachen, was ihr dieses Gefühl gab.

Nach dem letzten Mal. Sie hatte sich an Familienmitglieder aus ihrem vorigen Leben erinnert. An Krankheit und vielleicht sogar ihren Tod. Doch die Bilder waren bereits verblasst und es war ihr, als würde sie durch blindes Glas in ein fremdes Zimmer hineinschauen und all diese Menschen dort sehen. Mildred spürte keine Verbindung zu ihnen und es hatte ihr nicht weiter geholfen herauszufinden, wer sie war.

„Ich weiß nicht einmal deinen Namen", erwiderte sie und schaute auf ihre durchscheinenden Hände hinunter. Nun da sie wusste, dass sie nicht mehr als ein Geist war, sah sie sich genau als das. Ihre Vergangenheit löste nicht mehr als ein Gefühl der Gleichgültigkeit aus. Sie wünschte sich nicht einmal mehr, dass die beiden sie in der Grabstätte gelassen hätten.

Sie hatte erkannt, dass ihre selbst gewählte Aufgabe genauso sinnlos gewesen war, wie ihre Anwesenheit in diesen Raum.

„Ich bin Kelsu", antwortete der Mann nach einigen Momenten des Nachdenkens.

Nun doch etwas aus dem Konzept gebracht schaute sie auf. „Kelsu", wiederholte sie. Mildred wusste, dass Geister Macht über Menschen gewinnen konnten, wenn sie ihren Namen wussten. Normalerweise barg dies kein großes Risiko, doch Kelsu hatte sie in seinen Ring gebannt und trug sie damit an seinem Körper. Doch mit einem ironischen Lächeln stellte sie fest, dass sie, um ihn kontrollieren zu können, erst einmal wissen musste wie man diese Kontrolle erlangte.

Wenn es Wissen gab, welches Geistern von Natur aus zur Verfügung stand, hatte man offensichtlich vergessen ihr dieses mitzugeben.

Der Krieger schaute sie nachdenklich an. „Ich kann dir sagen, dass du ein Mitglied der großen Familien warst", begann er und behielt während er sprach die Tür genau im Auge. Sie verstand, dass sie verschwinden musste, sobald die anderen Krieger den Raum betreten würden. Sie würden Mildred ohne zu zögern zerstören. Doch der Gedanke erschreckte sie nicht.

„Du hattest einen Ehemann und Kinder."

Sie nickte. Sajan und Ayoka.

Doch diese Menschen hatten nichts mehr mit ihr zu tun, oder?

Wie weit lag ihr Tod bereits zurück?

Lebten diese Menschen noch? Kelsu hatte nur davon gesprochen, dass ihr Familie wollte, dass sie verschwand, aber nicht genau wer dahinter steckte. Mildred war wie gewünscht verschwunden und mit der Zeit wäre sie völlig vergessen.


Die Tür öffnete sich leise und erschreckt zuckte Kelsu zusammen. Wie erstarrt schaute er auf die Schamanin, mit der er draußen gesprochen hatte. Ihr Blick fiel sofort auf Mildred und er wusste, dass es bereits zu spät war.

Das letzte EchoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt